Titelfindung – oder: zu tief im Thema

Mann mit Stirnlampe in Höhle

Im Verlag diskutieren Lektorat, Marketing und Vertrieb darüber, wie ein Buch letztlich heißen soll. Bei diesen Überlegungen werden die Wünsche der Urheber*innen mit einbezogen. In diesem Blogpost erzähle ich, warum der Verlag das Diskussionsfass um die Titelformulierung aufmacht und wie ein guter Buchtitel gefunden werden kann. Denn wenige Dinge sind zwischen Autor*innen und Verlag so umkämpft wie Buchtitel.

Autor*innen und Herausgeber*innen verbringen Monate und Jahre mit ihren Publikationen. In dieser Zeit hat das Projekt natürlich bereits einen Namen bekommen. Und dieser Name ist häufig schon an Kolleg*innen kommuniziert. Das führt wiederum dazu, dass Projekt und Name – also, Titel – für die Urheber*innen untrennbar miteinander verbunden sind. Nicht nur der eigentliche Inhalt eines jeden Buches ist mit Herzblut geschrieben. Dies trifft auch und erst recht auf den bis dahin geführten Buchtitel zu.

 

Titelfindung – technische Aspekte

Es gibt einige handwerkliche Grundlagen, einige Grundvoraussetzungen, die so ein Titel erfüllen sollte. Dazu gehören Dinge wie

1. Schlagwörter im Titel, die Außenstehenden rasch vermitteln, worum es geht;
2. Optimieren der Auffindbarkeit (Schlagwörter aufnehmen, Sonderzeichen weglassen (s. 3.));
3. Vermeiden von Sonderzeichen, die zum Zerreißen eines Wortes führen (s. 2., z.B. Klammern, Schräg- oder Bindestriche innerhalb eines Wortes u.ä.);
4. Vermeiden von Sonderzeichen, die in den Zeichensätzen des Internets zu verzerrten Darstellungen führen (Gedankenstriche, manche Satzzeichen usw.);
5. Beachten von Titelschutz, also Urheberrecht.

In den seltensten Fällen berücksichtigt der ursprüngliche Titel, von uns Verlagsleuten „Arbeitstitel“ genannt, derartige Kriterien. Und das kann zu tiefen Verwerfungen führen.

 

Die eigene Perspektive

Als Urheber*innen stecken wir sehr tief in der Materie, sehr tief in unseren Projekten (ich mag mich da gern in meiner Rolle als Autorin einschließen!). So tief, dass uns der unbefangene Blick von außen nicht mehr gelingt. Doch nicht nur das: Die Verstrickungstiefe ist derart groß, dass wir nicht einmal klar erkennen können, wie tief verstrickt wir sind. Dies kann dazu führen, dass ein geliebter Buchtitel sehr voraussetzungsreich ist: Der Titel nimmt Außenstehende nicht an die Hand. Er erläutert nicht sofort, worum es im Buch geht. Der Titel klingt möglicherweise sehr schön. Doch die Bedeutung entzieht sich unbeteiligten Betrachter*innen. Und sollte sich jemand mit Hilfe von Suchmaschinen mit der Thematik befassen, taucht der Titel wegen fehlender Schlagwörter möglicherweise nicht einmal auf oder wird von den Suchenden als nicht relevant eingestuft, weil der Titel nicht sofort „spricht“.

Worauf also müssen wir achten?

 

Titelfindung – zwischen „Knaller“ und Verständlichkeit

Häufig wünschen wir uns einen „Knaller“-Titel: Originell soll er sein, vielleicht ein bisschen witzig-augenzwinkernd, auf jeden Fall die eigene Position vertreten und natürlich einem hohen Anspruch genügen. Soweit der Wunsch. In der Verlagswirklichkeit begegnen uns relativ häufig zwei unterschiedliche Arten von Titelformulierungen, die uns dazu veranlassen, um Änderungen zu ringen.

Manches Mal sind dies enorm lange Titel oder auch sehr lange Untertitel. Hier braucht es möglicherweise etwas mehr Mut, um den tiefen und komplexen Inhalt stärker zu generalisieren. Jede Generalisierung birgt in sich die Gefahr, nicht mehr 100% korrekt und vollständig zu sein – das ist wie mit Landkarten: Je weniger detailliert sie sind, desto mehr verschwimmen zum Beispiel feinziselierte Küstenlinien oder andere Geländemerkmale. Allerdings erhebt ein Titel (samt Untertitel) keinen Anspruch auf Vollständigkeit – nicht jeder Aspekt des Buches muss in Titel/Untertitel sofort erkennbar sein; dafür gibt es das Inhaltsverzeichnis.

Ein andernmal sind es die Art von Titeln, die besondere Assoziationen hervorrufen sollen: Zitate aus den selbst geführten Interviews oder von mehr oder weniger bekannten Buch- oder Filmtiteln, Ausschnitte von Sprichwörtern, eine Gedichtzeile, ein Stückchen Bonmot. Ich selbst spiele gern mit solchen Dingen, allerdings benötigen sie in den meisten Fällen Kontext. Als Autor*in stecke ich, wie oben ausgeführt, inhatlich tief in genau diesem Kontext. Daher fehlt mir jegliche Fantasie, was meine Begriffe ohne diesen Kontext an Assoziationen auslösen können. Ein Kompromiss könnte darin bestehen, dass wir uns mit einem doppelten Haupttitel behelfen: So wird das Schöne, aber Abstrakte, eingebettet, um den fehlenden Kontext zu bieten. Allerdings ist dies zumeist eine Behelfslösung – einen „Knaller“-Titel formulieren wir auf diesem Wege selten.

Ganz schwierig wird es im Übrigen, wenn Ironie oder ähnliche stilistische Mittel in einen Titel einfließen sollen. Meine ganz eindeutige Empfehlung: Nein! Alles, was kurz und knapp Sinn übermitteln soll – das gilt für Buchtitel, aber auch zum Beispiel für Werbetexte –, muss, meiner Meinung nach, vollkommen voraussetzungslos funktionieren. Bei Ironie verlange ich ein zweimaliges Lesen: Zunächst auf der Oberfläche dessen, was dort steht. Und dann unter der Oberfläche, um zu erkennen, was gemeint ist. Die Zeit bekommt ein Buchtitel in der Regel nicht, jedenfalls nicht beim wichtigen ersten Eindruck.

Und wenn sich die „Knaller“-Formulierung nicht finden lassen möchte? Dann gehen wir den Weg der beschreibenden Verständlichkeit. In erster Linie soll der Titel den potenziell Interessierten rasch vermitteln, worum es im Buch geht. So wird ein kompakter, inhaltlich orientierter Haupttitel gefunden, der im Untertitel weiter qualifiziert wird – sei es inhaltlich, sei es methodisch oder theoretisch, sei es mit geografischer, kultureller oder historischer Zu- und Einordnung. Das ist vielleicht eher auf der langweiligen Seite. In puncto Kommunikation – und das ist die Hauptaufgabe eines Titels – ist dies aber kaum zu übertreffen.

Gemeinsam können Verlag und Urheber*innen einen Titel finden, der dem Buch zum bestmöglichen Start verhilft!

 

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