„Soziale Arbeit wird institutionell über nationalstaatliche Grenzen hinaus agieren müssen.“ – Interview mit den Herausgeberinnen von „Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft“

Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft Cover

Wie kann es gelingen, menschen- und zugleich naturgerechte Lösungen für sozial, ökonomisch, ökologisch und global verwobenen Probleme der (Post)Migrationsgesellschaft zu finden? Wir haben ein Interview mit Monika Alisch und Manuela Westphal, Herausgeberinnen von „Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft“, geführt.

 

Über „Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft“

In der Diskussion um Nachhaltigkeit als Ziel einer großen Transformation werden Migration, Flucht und ihre Ursachen meist nur indirekt angesprochen. Doch sie sind Ausdruck globaler und nicht-nachhaltiger Entwicklungen. Transformation bedeutet daher auch, Migration nicht als Krisenphänomen zu verstehen, sondern als dauerhaft und gesellschaftlich nachhaltig relevant. Soziale Arbeit kann hier einen wichtigen Beitrag leisten: Sie erkennt, bearbeitet und bewältigt soziale Probleme. Der Band versammelt Erkenntnisse aus Forschungsprojekten, die eine subjektive und partizipative Perspektive auf Spannungsfelder von Transformation einnehmen. Die Autor*innen formulieren Erfordernisse institutioneller Transformation und setzen sich kritisch mit Ansätzen transformativer Bildungsforschung auseinander.

 

Interview zu „Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft“

 

Liebe Monika Alisch, liebe Manuela Westphal, worum geht es in Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft?

Die weltweite Migration und Flucht sind Ausdruck von nicht-nachhaltigen Entwicklungen. Zwar kommt Migration auch in den Nachhaltigkeitszielen vor, aber da geht es eher selten um die Folgen für die migrierten Menschen im Aufnahmeland. In dem Band geht es deshalb darum, an sehr konkreter Forschung von jungen Wissenschaftler*innen aus der Sozialen Arbeit und der Sozialpädagogik diese Themen stärker in die Diskussion um die Transformation zu einer nachhaltigen und gerechten (Post)Migrationgesellschaft zu bringen. In den Beiträgen werden subjektive und partizipative Perspektiven auf solche Transformationen aufgemacht, es wird geschaut, was sich auf der Ebene der Institutionen der Sozialen Arbeit braucht und welche Ansätze für eine transformative Bildungsforschung es aktuell gibt.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Die Idee ist aus zum einen aus unserer gemeinsamen Forschung zum Wandel der Sozialen Arbeit durch Zuwanderung entstanden und zum anderen aus unserer langjährigen Zusammenarbeit im Forschungsverbund Sozialrecht und Sozialpolitik der Uni Kassel und der Hochschule Fulda. Hier haben wir auch schon junge Wissenschaftler*innen, die bei uns promovieren, dazu eingeladen, sich an der Fachdiskussion zu Migration, Gender und sozialen Praktiken zu beteiligen. Da die Nachhaltigkeitsdebatte gerade wieder überall an Fahrt aufnimmt und das jetzt vor allem als Ziel einer großen Transformation, war es uns wichtig, die ersten Forschungen der jungen Wissenschaftler*innen in diese brandaktuelle und wichtige Debatte einzubringen.

 

Sie sprechen sich im Buch dafür aus, Migration nicht nur als Krisenphänomen im Ankunftsland, sondern im Sinne eines transformativen Ansatzes auch als für die Entwicklung einer Gesellschaft nachhaltig relevant zu betrachten. Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus?

Das hat tatsächlich reichhaltige Konsequenz, wenn man in unserer Gesellschaft und der Politik nicht mehr so tut, als müsse man alle Unterstützungsmöglichkeiten für aus Kriegsgebieten geflüchteten Menschen nur mal kurzfristig  wie bei einem „Feuerwehreinsatz“ bereithalten, sondern sich bereit macht, Gesellschaft so konsequent zu verändern – eben zu transformieren – , dass es selbstverständlich erkannt wird, dass die Zuwanderung von Menschen – woher auch immer – schon immer Teil gesellschaftlicher Entwicklung war und bleibt. Darauf bezieht sich ja auch der Begriff der Post-Migrationsgesellschaft. Hier geht es eben nicht darum, über das zu sprechen, was NACH der Migration kommt, sondern darüber, wie eine Gesellschaft aussieht, in der man es überwunden hat, gesellschaftlich und politisch und rechtlich, Menschen danach einzuteilen und zu beurteilen, wann und warum sie woher einst gekommen sind.

 

Was kann Soziale Arbeit im Kontext globaler Migrationsbewegungen leisten und wo liegen ihre Grenzen?

Soziale Arbeit kann eine Schlüsselrolle dabei spielen, Migrationsbewegungen sozial nachhaltiger zu gestalten, da sie über vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten in nahezu allen Lebensbereichen verfügt. Hier wird sie konzeptionell und institutionell über nationalstaatliche Grenzen hinaus agieren müssen, da die Lebenswelten der Menschen in vielerlei Hinsichten transnational sind.

Die Allzuständigkeit der der Sozialen Arbeit für die Bearbeitung sozialer Ungleichheit und ihrer gesellschaftlichen Probleme bedeutet dabei keine soziale, politische und fachliche Alleinzuständigkeit. Sie ist im Kontext nationaler Migrationspolitiken in besonderer Weise auf Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen und nicht-staatlichen Organisationen und Akteur:innen sowie auf transdisziplinäre Arbeitsweisen angewiesen und muss auf Solidarität mit und Partizipation von Menschen, die migrieren, beruhen. Da eine politische und menschenrechtsorientierte Ausrichtung nicht per se professionalisiert in Ausbildung, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit gegeben ist, wird sie im Sinne der transformativen Anstrengungen weiter in Lehrpläne und Nachwuchsförderung gestärkt werden müssen.

 

Darum sind wir Autorinnen bei Budrich

MA: Meine Erfahrungen mit dem Verlag sind schon zwei Jahrzehnte alt und ich habe hier immer eine sehr schnelle und gute Unterstützung bei der Umsetzung von Buchprojekten erlebt. Der vorliegende Band ist ja Teil einer Schriftenreihe (Gesellschaft und Nachhaltigkeit), die ich selbst mit ins Leben gerufen habe und die sich sehr gut entwickelt, seit wir damit im Verlag Barbara Budrich sind. Hier kann ich immer davon ausgehen, dass meine Publikationen auch wirklich sichtbar werden in den Fachkreisen, auf die es ankommt!

MW: Ich bin aufgrund meiner Zusammenarbeit mit der Kollegin Alisch und ihrer Rolle als Reihenherausgeberin dabei. Ich habe selbst vor etlichen Jahren bei Budrich die Ergebnisse einer empirischen Studie zum Thema Gender lernen? Genderkompetenzen für Schüler und Schülerinnen, gemeinsam mit Nora Schulze, veröffentlicht und als positiv erinnert.

 

Kurzvitae von Monika Alisch und Manuela Westphal in eigenen Worten

MA: Studium der Soziologie, Anthropogeographie, Volkswirtschaftslehre und Umweltpsychologie sowie Promotion in Soziologie zum Thema „Frauen und Gentrification“ an der Universität Hamburg. Bis 1998 wissenschaftliche Referentin des Senators für Stadtentwicklung der Freien und Hansestadt Hamburg, Habilitation an der Humboldt Universität zu Berlin mit dem Thema „Soziale Stadtentwicklung – zum gesellschaftlichen Kontext eines Politikfeldes im Entstehen“, seit 2004 Professorin für Sozialplanung, Sozialraum- und Gemeinwesenarbeit am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Fulda. Seit 2011 Leitung des wissenschaftlichen Zentrums „Gesellschaft und Nachhaltigkeit – CeSSt“ der Hochschule Fulda, seit 2023 Sprecherin des Hessischen Promotionszentrums Soziale Arbeit.

Portraitfoto von Budrich-Autorin Manuela WestphalMW: Studium der Erziehungswissenschaft, im Schwerpunkt interkulturelle Frauen- und Geschlechterforschung. Nach dem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG Forschungsprojekt FAFRA „Familienorientierung, Frauenbild, Bildungs- und Berufsorientierungen von eingewanderten und einheimischen Frauen und Männern im interkulturellen Vergleich“, Promotion 1997 mit einer Studie über Geschlecht, Beruf und Bildung unter Einwanderungsbedingungen an der Universität Osnabrück. 1998 bis 2002 in der beruflichen Weiterbildung und Personal-/Organisationsentwicklung tätig. 2002-2009 Juniorprofessorin an der Universität Osnabrück, 2008-2009 Gastprofessorin an der Universität Augsburg und seit 2010 Professorin für Sozialisation mit Schwerpunkt Migration und interkulturelle Bildung am Fachbereich Humanwissenschaft, Institut für Sozialwesen an der Universität Kassel.

 

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Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft Cover 150 pxMonika Alisch, Manuela Westphal (Hrsg.):

Soziale Nachhaltigkeit in der (Post)Migrationsgesellschaft

Gesellschaft und Nachhaltigkeit, Band 14

 

 

 

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© Autorinnenfotos: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com