Eine Leseprobe aus den Seiten 8 bis 11 aus Wie Seelsorge wirken kann. Impulse für die Praxis von Andreas Böss-Ostendorf, Kapitel „Wie wirkt Seelsorge?“.
Über das Buch
Seelsorge wird bei Notfällen, Katastrophen oder in Krisen geleistet. In Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen, Betrieben, Gefängnissen, Universitäten, Flüchtlingsunterkünften oder als Telefonseelsorge ist sie Teil des gesellschaftlichen Care-Systems. Sie wird als Disziplin der sozialen Arbeit genutzt und anerkannt. Aber es besteht auch eine gewisse Skepsis: Seelsorge? Kann nicht schaden – aber ob sie auch hilft? Wie wirkt Seelsorge überhaupt?
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Wie wirkt Seelsorge?
Anspannung
Es ist immer das gleiche dumpfe Gefühl, wenn ich vor einem Krankenzimmer stehe und an die Tür klopfe. Was wird mich erwarten? Wer wird mich erwarten? Welche Reaktion bekomme ich zu hören? Als Krankenhausseelsorger in einer großen Frankfurter Klinik bin ich auf vieles gefasst. Da ist die Patientin auf der onkologischen Station, die mir sagt: „Sie sind Seelsorger? Sie können mir ja doch nicht helfen. Ich bin unheilbar krank.“ Oder der Mann auf der gefäßchirurgischen Station begrüßt mich mit: „Sie kommen zu spät. Das Bein ist ab.“ Es kann passieren, dass mich die neue Assistenzärztin auf dem Gang fragt: „Seelsorge? Was wollen Sie denn für die Patienten auf dieser Station tun?“ An Äußerungen wie diese habe ich mich bis heute nicht gewöhnt, obwohl ich sie oft höre. Sie verunsichern mich immer wieder aufs Neue.
Wahrscheinlich geht es Kolleginnen und Kollegen in anderen Feldern der Seelsorge auch so. Studierende stehen beispielsweise vor einem Plakat der Hochschulseelsorge und grübeln: „Was machen Seelsorger eigentlich? Psychotherapie? Oder beten?“ Eine Kollegin von der Telefonseelsorge erzählte von einem Anrufer, der fragte: „Warum hören Sie mir immer zu? Dadurch ändert sich ja doch nichts. Wie denn auch?“ Es kann sein, dass der Notfallseelsorger nachts zu einem Einsatzort fährt und von der Ehefrau des plötzlich Verstorbenen hört: „Ich brauche keinen Seelentröster!“
Wenn das Leid und die Hilflosigkeit groß sind und ich gefragt werde, wie ich als Seelsorger helfen könne, spüre ich, wie mein Puls schneller schlägt, und denke: „Hoffentlich fällt mir jetzt eine passende Reaktion ein, damit das Gespräch nicht abbricht.“
Überraschende Wendungen
Ich kann mich lebhaft an Unsicherheiten in der Seelsorge erinnern. Mir fallen aber auch Gespräche ein, die zum Glück trotzdem zustande kamen und in denen viel passierte. Unmerklich veränderte sich allmählich die Atmosphäre und es entstand eine Unterhaltung mit vielen Facetten. Meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, auch wenn sie vorher abweisend waren, dankten mir: „Das hat mir gutgetan.“ Was ist da geschehen? Was hat die Veränderung bewirkt?
Die Reaktionen des Gegenübers können tatsächlich Aufschluss über die Wirksamkeit des seelsorglichen Gesprächs geben:
Ich danke Ihnen. Das Gespräch hat mir sehr geholfen.
Jetzt, in dieser Situation, überhaupt ein Gespräch führen zu können, wurde anscheinend als hilfreich empfunden.
Das war ein großes Glück, dass Sie mich auf der Intensivstation besucht und beruhigt haben.
Die Anwesenheit einer Seelsorgerin oder eines Seelsorgers in einer existentiellen Situation, in einer fremden Umgebung, kann beruhigend wirken.
Ich habe zum ersten Mal über diese Probleme gesprochen. Das hat gutgetan.
Das seelsorgliche Gespräch ermöglicht, über Themen zu sprechen, über die man ansonsten nicht spricht.
Gut, dass Sie in diesem Moment bei mir waren, das hat mir Sicherheit gegeben.
Die Person, die durch ein Ereignis beunruhigt ist, kann durch den Kontakt zur Seelsorgerin oder zum Seelsorger Sicherheit erfahren.
Solche Rückmeldungen nach seelsorglichen Prozessen sind kostbare Geschenke für Seelsorgende. Sie sollten sorgfältig wahrgenommen, gesammelt und immer wieder bewusstgemacht werden. Seelsorge ist wirksam!
Gewissheit durch eigenes Erleben
Aber auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst spüren, wenn eine Wirkung eintritt und welche Veränderung sie auslöst. Direkt nach einem Gespräch fällt es mir meist nicht schwer zu beschreiben, wie sich das Gespräch entwickelt hat, was sich an welcher Stelle veränderte, welche Stimmung plötzlich aufkam, welche Emotionen zugelassen wurden, ob es zu einer Entlastung kam oder ob am Ende neue Fragen auftauchten. Ich bin davon überzeugt: Seelsorgende haben ein Gespür dafür, wie Seelsorge wirken kann. Gut wäre es, dies in Worte zu fassen und niederzuschreiben, denn die nächste Ohnmachtssituation kommt bestimmt.
Gewissheit durch gemeinsames Erkennen
Im kollegialen Austausch mit anderen Seelsorgenden können zu zweit oder in der Gruppe noch mehr Wirkweisen erkannt werden. Warum, zum Beispiel, hat dieser Mann mir so lange von seinem Beruf erzählt, obwohl er schon sieben Jahre lang Rentner ist? Weshalb rief die Frau, noch bevor ich das Zimmer verließ, ihre Tochter an? Kolleginnen und Kollegen erkennen mit ihrem Erfahrungsschatz bedeutsame Wirkungen, die mir bisher nicht aufgefallen sind. Und, was sehr wichtig ist: Die Wirkungen werden ausgesprochen, in Worte gefasst und können so besser erinnert werden.
Wirksamkeit der Praxis
Wirksamer als über Wirkweisen zu lesen, ist es, sie selbst in der Praxis zu entdecken. Dieses Buch ist wirksam, wenn es Sie motiviert, in Ihren seelsorglichen Gesprächen nach Wirkungen zu suchen. Wo erleben Sie überraschende Themenwechsel oder Reaktionen, Irritationen oder Brüche, Tränen oder ein unerwartetes Lächeln? Auch Ihre Gefühle nach dem Gespräch, Ihre Träume in der darauffolgenden Nacht oder Gedanken am nächsten Tag können Hinweise auf die Wirkweisen der Seelsorge in diesem Gespräch geben. Sind die Wirkweisen bekannt, können sie wertvolle Impulse für die Praxis sein. Es ist gut, viele Wirkweisen der Seelsorge zu kennen, nicht zuletzt, um die eigene Arbeit wertzuschätzen und um auskunftsfähig zu sein: Seelsorge wirkt in vielfacher Weise und aus guten, benennbaren Gründen.
Zehn Wirkweisen
Ich habe zehn Wirkweisen der Seelsorge, die mir in meiner seelsorglichen Arbeit begegnet sind, in diesem Buch gesammelt, sortiert und beschrieben. Durch sie habe ich den Wert meiner Arbeit schätzen gelernt und ich kann Auskunft geben, wenn ich gefragt werde: „Was machst du als Seelsorger?“
In den kleiner gedruckten Abschnitten „Im Hintergrund“ finden Sie weiterführende Theorien und Gedanken, Quellen und Literaturhinweise zu den jeweiligen Wirkweisen, die zum Weiterlesen animieren können.
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Andreas Böss-Ostendorf:
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