Powerfrauen und Heldinnen – Autobiographische Selbstdarstellungen der weiblichen Wirtschaftselite*
Julia Gruhlich**
Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, Heft 3+4-2022, S. 233-253.
Zusammenfassung: Der Beitrag untersucht die Selbstinszenierungen und Deutungsmuster der weiblichen Wirtschaftselite. Die empirische Datengrundlage bilden aktuelle deutschsprachige Autobiographien erfolgreicher Spitzenmanagerinnen und Unternehmerinnen. Der Fokus liegt auf der Wirtschaftselite, da diese als finanzstärkste und mächtigste Elite gilt und damit sowohl eine starke symbolische Vorbildfunktion hat wie auch über großen gesellschaftlichen Einfluss verfügt. Basierend auf der Autobiographieanalyse rekonstruiert der vorliegende Beitrag, auf welche (Selbst‐)Deutungen und Wissensrepertoires sich die Inhaberinnen von Spitzenpositionen beziehen, um die disparaten gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit und Führung zu bedienen.
Schlagwörter: Elite, Weiblichkeit, Management, Gründerinnen, Unternehmerinnen, Autobiographie
‘Power Women’ and heroines – Autobiographical self-representations of the female business elite
Abstract: This article analyses the self-presentations and patterns of interpretation of the female business elite. The empirical data basis is formed by current German-language autobiographies of successful female top managers and entrepreneurs. The focus is on the business elite, since it is considered the financially strongest and thus most powerful elite that has both a strong symbolic role model function and great social influence. On the basis of autobiographical analysis, this article reconstructs which (self‐)interpretations and knowledge repertoires the holders of top positions refer to in order to serve the disparate social ideas about femininity and leadership.
Keywords: elite, femininity, women in management, female founders and entrepreneurs, autobiography. JEL: Z130, B54, J71
1 Einleitung
Frauen in Spitzenpositionen sind nach wie vor selten. 2021 lag der durchschnittliche Frauenanteil in den Aufsichtsräten der großen DAX-Unternehmen bei 35,9 Prozent, in den Vorständen betrug er 13 Prozent (FidAR, 2021).1 Auch der Anteil weiblicher Unternehmerinnen und Gründerinnen liegt in Deutschland relativ niedrig, 2021 betrug er 38 Prozent (Metzger, 2021) – wobei hier einschränkend bedacht werden muss, dass es sich im Bereich der Selbstständigkeit nicht unbedingt um Top-Positionen handelt, insbesondere mit Blick auf die oftmals prekäre Soloselbstständigkeit (Hobler, Pfahl, & Wittmann, 2021). Erfolgreiche Gründerinnen und Unternehmerinnen gelten in der Forschung eher als Ausnahmeerscheinung denn als Normalfall (Hahn, 2019) und zu weiblich geführten Unternehmen sowie Frauen in der Unternehmensnachfolge wird erst in jüngster Zeit verstärkt geforscht (Kay, 2020; Welter, 2004).
Mit den wenigen Frauen in Spitzenpositionen sind jedoch vergleichsweise hohe Erwartungen verknüpft. Zum einen gelten sie als Gradmesser für den Stand der Chancenungleichheit zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft (Holst und Wiemer, 2010). Zum anderen wird von ihnen ein anderes, sozialeres und nachhaltigeres Führungshandeln als von bisherigen, männlichen Führungskräften erwartet. So formuliert beispielswese die OECD in ihren Environment Working Papers die Erwartung, dass Frauen in Entscheidungspositionen den Klimawandel engagierter bekämpfen würden, weil sie eher an der Umwelt, Sozialem, Demokratie und Nachhaltigkeit interessiert seien (Strumskyte, Magaña,& Bendig, 2022, S. 3). Auch im Hinblick auf Korruption in Wirtschaft und Politik wird ihnen ein positiver Einfluss attestiert (Breen, Gillanders, Mcnulty, & Suzuki, 2016; Bauhr & Charron, 2021). In wirtschaftlicher Hinsicht verknüpft die Bundesregierung mit mehr Frauen in Aufsichtsräten auch einen Reputationsgewinn für die Unternehmen; sie sollen als Vorbilder für andere Frauen fungieren und begehrte Fachkräfte anziehen (KPMG AG& BMFSJ, 2015, S. 18).
Wissenschaftlich wird hingegen durchaus ambivalent diskutiert, ob die neuen machtvollen Frauen eine neue Form von Weiblichkeit repräsentieren oder ob sie, da sie sich entlang vorherrschender Arbeits- und Karrierevorstellungen orientieren, nicht doch eher hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen reproduzieren (Gruhlich, 2013; Stückler, 2013; Scholz, 2010). Die weiblichen Führungskräfte selbst stehen wiederum vor dem Problem, dass hegemoniale Weiblichkeitsvorstellungen, bei denen Weiblichkeit mit Emotionalität und Mütterlichkeit assoziiert wird, im Widerspruch zu Vorstellungen von Macht und Professionalität stehen (Holtz-Bacha, 2008; Müller, 1999; Jamieson, 1995; Kanter, 1977), was bedeutet, dass sie entweder als Frau anerkannt, aber damit als nicht kompetent genug gelten, oder aber sich entsprechend gängiger, meist männlich geprägter Vorstellungen von Professionalität verhalten können, dabei aber immer drohen als „unweiblich“, „Mannsweib“ etc. sanktioniert zu werden (Bührmann, 2014, S. 101). In einer Studie zur medialen Darstellung der weiblichen Wirtschaftselite arbeitet Bührmann (2014) heraus, dass erfolgreiche Frauen in der Wirtschaft entweder als Typ „Businessfrau“ oder als „Powerfrau“ dargestellt werden. Als Businessfrau werden sie als „zu männlich“ marginalisiert, als „Powerfrau“ wird ihnen zwar durchaus das Recht auf eine eigenständige Karriere zugestanden, gleichwohl aber erwartet, dass sie die ihr „als natürlich gegeben zugeschriebene Mütterlichkeit wenigstens in einem (für)sorgenden Führungsverhalten“ zeigen (Bührmann, 2014, S. 101). Auch die Historikerin Mary Beard (2018) zeigt in ihrem Essay „Frauen und Macht“ auf, dass Frauen in Machtpositionen auch heute noch keine Selbstverständlichkeit seien und von ihnen vielfach immer noch die eher weiblich konnotierten Verhaltensweisen von Zurückhaltung und Bescheidenheit erwartet werden.
Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Beitrag der Frage, wie erfolgreiche Frauen mit den unterschiedlichen an sie gerichteten Ansprüchen umgehen und wie sie sich zu ihrer Führungsposition ins Verhältnis setzen. Damit knüpft der Beitrag an bereits vorhandene Studien zu den Deutungsmustern von Führungskräften in der Wirtschaft an (Alemann, 2015; Liebold, 2010; Imbusch, 2007), fokussiert aber nur die weibliche Wirtschaftselite und analysiert unter Anwendung der Dokumentarischen Methode (Bohnsack, 2010) die Deutungsmuster von Frauen im Top-Management und in der Unternehmensleitung.
Da die Elite eine empirisch schwer zugängliche soziale Gruppe bildet (Brandl & Klinger, 2006), wird zur Beantwortung der Ausgangsfrage auf die deutschsprachigen Autobiographien erfolgreicher Spitzenmanagerinnen und Unternehmerinnen zurückgegriffen. Liebold zufolge eignen sich „massenmediale Selbst-Veröffentlichungen“ in besonderer Weise, um etwas über die Art und Weise in Erfahrung zu bringen, „wie die Akteure die gesellschaftlichen Erwartungen übersetzen, die an sie herangetragen werden“ (Liebold, 2010, S. 281). Die Autobiographie als empirisches Material zu begreifen, ist demnach eine einzigartige Möglichkeit, sich dem Selbstverständnis von Eliten anzunähern. Bisher liegt eine solche Analyse lediglich von Liebold (2010, 2018) vor, die die Autobiographien männlicher Manager und Unternehmer analysiert hat, sodass der vorliegende Beitrag mit dem Fokus auf die weibliche Wirtschaftselite einen innovativen Beitrag zur Weiterentwicklung in diesem Forschungsfeld leistet.
2 Selbstverständnis und Deutungsmuster der weiblichen Wirtschaftselite
Die Anzahl an Studien, die Einblick in die Werthaltungen und Deutungsmuster der Wirtschaftselite erlauben, ist insgesamt alles andere als groß, schrumpft aber noch weiter, wenn spezifisch nach der weiblichen Wirtschaftselite gesucht wird. In den frühen Elitestudien, wie z. B. der Potsdamer Elitestudie aus dem Ende der 1990er Jahre, wurde darauf verwiesen, dass der Frauenanteil in der Wirtschaftselite im Vergleich zur politischen Elite deutlich geringer sei und sich über die Zeit kaum erhöht habe, so lag er 1981 bei einem Prozent und 1995 bei ein bis zwei Prozent (Schnapp, 1997, S. 95). Auch das Sample der Untersuchung von Buß (2007) zu Werten deutscher Spitzenführungskräfte setzte sich ausschließlich aus männlichen Spitzenmanagern zusammen, weil Frauen in Spitzenpositionen der Gesellschaft und insbesondere der Wirtschaft „nach wie vor selten anzutreffen“ seien (Buß, 2007, S. 12). In der großen deutschen Elitenstudie von Allmendinger et al. (2013) zu gesellschaftspolitischen Einstellungen und Handlungsmaximen bei Inhaber*innen von Spitzenpositionen aus Politik und Verwaltung, Justiz und Militär, Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in Deutschland finden sich sektorübergreifend immerhin 12,1 Prozent Frauen im Sample.
Die Ergebnisse der bisherigen Studien zeigen keine systematischen Unterschiede in den Werthaltungen männlicher und weiblicher Führungskräfte – einzige Ausnahme bildet die Bedeutung von Geschlecht und Familie für die Karriere bzw. die Möglichkeiten für den Aufstieg. Demnach messen Frauen dem Aussehen entscheidenden Einfluss auf ihre Erfolgschancen bei (Allmendinger et al., 2013, S. 11), während Männer die Familie stärker als Erfolgsfaktor werten, insbesondere die Ehe wurde auf dem Karriereweg als förderlich eingeschätzt (Allmendinger et al., 2013, S. 12). Dies deckt sich mit anderen Befunden, die belegen, dass die Karrieren in Spitzenpositionen im Grunde ein „Anderthalb-Personen-Beruf“ (Beck-Gernsheim, 1976, S.103) sind und die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie insbesondere für berufstätige Mütter einen Wettbewerbsnachteil darstelle, während Männer ihre Ehefrau als Karriere-Ressource nutzen können, die ihnen Care-Verpflichtungen sowie andere Aufgaben (Koordination von Umzügen, Reisen, Herstellung eines Zuhauses etc.) abnimmt (Spiegel & Mense-Petermann, 2016).
Entgegen dieser Befunde halten die Führungskräfte selbst jedoch an der Idee der Geschlechterdifferenz fest. So zeigt Alemeann (2015), dass männliche wie weibliche Führungskräfte davon überzeugt seien, „dass Frauen besonders gute Führungskräfte“ seien und „das zum Teil sogar besser können als Männer“ (Alemann, 2015, S. 250). Ihre Studie verdeutlicht, dass die Wirtschaftselite im Vergleich zu anderen Eliten nach wie vor eher traditionelle Einstellungen im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Berufstätigkeit von Frauen aufweist (Alemann, 2015; Liebig, 2000). Außerdem, so Alemann, sei sich die Wirtschaftselite im Vergleich zur politischen Elite weniger über die kulturellen und sozialen Barrieren für den Aufstieg von Frauen bewusst und bevorzuge individualistische Erklärungen (Alemann, 2015, S. 48). So betone die Wirtschaftselite die individuelle Leistungsbereitschaft und gehe damit davon aus, dass „vor allem der Wille zählt“ (Alemann, 2015, S. 229) – besonders ausgeprägt sei der Glaube an die Kraft des eigenen Willens und Anstrengung bei sozialen Aufsteiger*innen und weiblichen Führungskräften, die davon überzeugt seien, dass sich schlechtere Startbedingungen durch überdurchschnittliches Engagement ausgleichen lassen (Alemann, 2015, S. 229). Trotz öffentlicher Debatten um die strukturellen Barrieren für Geschlechtergerechtigkeit in der Wirtschaft würden insbesondere Managerinnen die androzentrischen Organisations- und Machtstrukturen als gegeben erachten, diese nicht in Frage stellen, sondern im Gegenteil von Frauen eine Anpassung an die männlich geprägten Spielregeln fordern (Alemann, 2015, S. 255). Dazu passen die Befunde von McRobbie (2010), die anhand erfolgreicher Frauen bzw. den „Top Girls“ in der Medien- und Populärkultur zeigt, dass diese besonders dann Akzeptanz erfahren, wenn sie sich an die androzentrischen und neoliberalen Prinzipien des globalen Kapitalismus anpassen, ohne dabei bestehende Geschlechterhierachien grundlegend in Frage zu stellen (McRobbie, 2010, S. 201).
Intersektionale Analysen, die die Bedeutung von Geschlecht und Kombination mit anderen sozialen Zugehörigkeiten für die Wirtschaftselite analysieren, sind selten. Vorhandene Studien verweisen darauf, dass die Wirtschaftselite großbürgerlich geprägt sei (Hartmann, 2013, S. 120) und die Klassenzugehörigkeit einen Unterschied mache in der Einschätzung von strukturellen Hindernissen und den Möglichkeiten, diese durch individuelle Leistung zu überwinden (vgl. auch Vester, 2003). So seien Aufsteiger*innen aus dem Arbeitermilieu eher der Auffassung, dass „das Elternhaus für die Lebenschancen entscheidend ist“ (Hartmann, 2013, S. 127), während Angehörige der Mittelschicht, stärker noch als das Bürger- und Großbürgertum davon ausgehen, „dass die persönliche Leistung und nicht die Herkunft den Lebensweg bestimmt“ (Hartmann, 2013, S. 127). Insgesamt dominiert in der Selbstwahrnehmung der Eliten, so auch Alemann (2015, S. 344), eine Selbstpositionierung als ‚Leistungsträger‘ und die Überzeugung, dass sich ihre Position ihren überdurchschnittlichen Leistungen verdanke.
* Artikel eingegangen: 17. 09. 2021. Revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 10. 11.2022
** Dr. Julia Gruhlich, Georg-August-Universität Göttingen, Sozialwissenschaftliche Fakultät, Institut für Diversitätsforschung, Platz der Göttinger Sieben 3, 37073 Göttingen, julia.gruhlich@uni-goettingen.de
1 Mit der Einführung der Frauenquote für Vorstände vom Juni 2021 wird eine Erhöhung des Frauenanteils in den Top-Positionen der Wirtschaft erwartet.
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