Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik: Erlebnispädagogik und BNE zusammen denken

Leseprobe Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik

Die erlebnispädagogischen Bezüge zu Nachhaltigkeit(-sbildung) aktualisieren und stärken und sie als einen Bestandteil einer (Transformativen) Bildung für Nachhaltige Entwicklung positionieren: Einen ersten Entwurf einer nachhaltigkeitsbildenden Erlebnispädagogik bietet der Band Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik. Theoretische Grundzüge und Einblicke in die Bildungspraxis von Yannick Liedholz. Eine Leseprobe.

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Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik: 1 Einleitung

Wenn mit dieser Arbeit angekündigt wird, in eine nachhaltigkeitsbildende1 Erlebnispädagogik einzuführen, dann könnte man meinen, dass es sich um kein neues Vorhaben handelt. Denn erlebnispädagogische Aktionen scheinen bereits ständig im Namen von Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsbildung unterwegs zu sein. Mit dem gezielten Aufsuchen von naturnahen Räumen, möglichst „abseits der Zivilisation“ (Lietdke 2018a: 13), und der oftmaligen Verwendung von einfachen Ausrüstungen geriert sich die Erlebnispädagogik als einer der wenigen (pädagogischen) Orte eines kurzzeitigen Ausstiegs aus „der Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn 2020: 133).

Auch in den einschlägigen Standardwerken der Erlebnispädagogik muss man nicht lange suchen, um Hinweise auf Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsbildung zu finden. Nach Ziegenspeck „beziehen“ (2000: 183) Angebote der Erlebnispädagogik „die natürliche Umwelt mit ein und verfolgen damit meist zugleich einen ökologischen Bildungsanspruch“ (ebd.: 183f.). Man könne die „Erlebnispädagogik als Umwelterziehung“ (Fischer/Ziegenspeck 2008: 281) begreifen. Reiners (2013) argumentiert, dass die Erlebnispädagogik „[d]as Wachsen eines systemischen, ökologischen Bewusstseins“ zum Ziel hat, um „einen proaktiven Einsatz für die Bewahrung von Naturräumen und -schönheiten“ (ebd.: 13) zu befördern. Für Paffrath (2017a) kann die Erlebnispädagogik eine „Einsicht in […] das Wechselverhältnis Mensch-Natur“ bieten und zur „Verantwortung für nachhaltige Entwicklung“ (ebd.: 82) beitragen. Heckmair und Michl (2018) betonen, dass „ökologisches Lernen sozusagen der Grundtenor, der Charakter in einer erlebnispädagogischen Aktivität sein [soll]“ (ebd.: 258). „Die Teilnehmer sollen lernen, Verantwortung für sich selbst, für die anderen und für ihre Umwelt zu übernehmen“ (ebd.: 120). Michl (2020) unterstreicht noch einmal: „An mindestens zwei Kriterien muss sich die Erlebnispädagogik messen lassen: Sicherheit und Ökologie“ (ebd.: 18).

Überblickt man – ausgehend von diesen prominenten Hinweisen – die weitere Fachliteratur der Erlebnispädagogik, dann stößt man vielfach auf Thematisierungen von Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsbildung im weitesten Sinne. Eine Systematisierung des Diskurses lässt sich vielleicht anhand der folgenden drei Diskursstränge vornehmen:

Ein erster Diskursstrang fokussiert die erlebnispädagogischen Angebote und deren „ökologische Verträglichkeit“ (Heckmair/Michl 2018: 119). Ein ökologisch sorgfältiger Umgang mit den naturnahen Räumen wird als eine Zielstellung hervorgehoben: „Keinen Müll zu hinterlassen ist eine Selbstverständlichkeit, fremden Müll mitzunehmen eine verständliche Maßnahme. Bei der Befahrung von Flüssen sind die Brutpflegezeiten zu beachten, von Höhlenerkundungen sollte nicht mehr übrig bleiben als der Fußabdruck unserer Schuhe im Lehm“ (ebd.: 119f.) und „bei Fahrradtouren kann deutlich gemacht werden, dass es kein effektiveres Fortbewegungsmittel gibt, das zudem so schonend mit der Umwelt umgeht“ (ebd.: 120). Muff (2001) fasst diese Aspekte unter dem Begriff einer „Ökologisierung der Rahmenbedingungen“ zusammen und buchstabiert für die Erlebnispädagogik mögliche Handlungsprinzipien in den „alltagsökologischen Bereiche[n] Verkehr, Müll, Ernährung, Energie und Versorgung“ (ebd.: 131) aus. Kölsch und Wagner (2004) weisen darauf hin, dass eine ökologische Ausrichtung ein „ökologisches Verhalten vor, während und nach erlebnispädagogischen Aktivitäten“ (ebd.: 36) notwendig macht. Diesbezüglich fordern sie: „Menschen, die erlebnispädagogisch tätig sind und Gruppen leiten, müssen sehr genaue Kenntnisse über das einzelne Ökosystem besitzen“ (ebd.: 38). Albert (2021) präzisiert dies vor dem Hintergrund natur- und umweltschutzrechtlicher Fragen. „Wer Naturräume nutzt, kommt nicht umhin, sich mit dem Thema Umweltschutz auseinanderzusetzen“ (ebd.: 361). Wenn Erlebnispädagog_innen mit Gruppen in naturnahe Räume gehen, dann würden sie sich „nicht selten in Schutzgebiete[n]“ bewegen und müssten wissen, „welches Reglement jeweils gilt, was genau zu berücksichtigen ist und warum“ (ebd.). Liedtke (2021) macht auf das Konzept „von Leave No Trace“ (ebd.: 37) aufmerksam, das in der Outdoor-Pädagogik „zu einem weit verbreiteten Standard geworden“ (ebd.: 40) ist, und erweitert es um umweltethische Reflexionen (vgl. ebd.: 40–45).

Ein zweiter Diskursstrang beschäftigt sich mit den nachhaltigkeitsbezogenen Bildungspotenzialen von Erlebnispädagogik. Schlehufer (1992) sieht die Erlebnispädagogik in einer direkten Nähe zu einer ökologischen Bildungsarbeit: „Erlebnispädagogik und Ökopädagogik sind sicherlich unterscheidbare Methoden moderner Pädagogik, doch sie haben auch vieles gemeinsam und lassen sich fruchtbar und wirksam miteinander verbinden. Sowohl in der Erlebnispädagogik wie auch in der Ökopädagogik geht es um die drei Elemente: Individuum – Gruppe – Natur“ (ebd.: 67). Breß kommt in seiner Monografie „Erlebnispädagogik und ökologische Bildung“ (1994) zu dem Schluss, dass die Erlebnispädagogik „wirksam zur Förderung des ökologischen Bewußtseins beitragen kann“ (ebd.: 247). Ebenso rückt Muff (2001) in seinem Entwurf „einer ökologisch orientierten Erlebnispädagogik […] die Bildung ökologischen Bewußtseins“ (ebd.: 113) in den Vordergrund. In neueren Veröffentlichungen wird zunehmend auf das Konzept einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)2 verwiesen. Schlehufer und Kreuzinger (2010) präsentieren ihre „Naturerlebnisfreizeiten für Kinder“ als einen „Beitrag zur UN-Dekade ,Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005 – 2014)‘“ (ebd.: 7). Kamer (2021) trägt tabellarisch zusammen, wie die Gestaltungskompetenz einer Bildung für Nach-haltige Entwicklung durch erlebnispädagogische Angebote gefördert werden kann. Merz positioniert gleichfalls die „Erlebnispädagogik als Beitrag zur Bil-dung für nachhaltige Entwicklung“ (2021). Drüen und Späker (2021) widmen sich der „Natur als Resonanzraum zur Nachhaltigkeit“ (ebd.: 131) und stehen exemplarisch für verschiedene Autor_innen, die nachhaltigkeitsbildende Hoffnungen in Naturerfahrungen setzen (vgl. z.B. Reiners 2013: 17; Paffrath 2017a: 126; Heckmair/Michl 2018: 119; Albert 2021: 365; Verch 2023a).

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1 Zu den Begriffen ,Nachhaltigkeitsbildung‘ und ,nachhaltigkeitsbildend‘ siehe Kapitel 2.

2 Der Begriff Nachhaltige Entwicklung wird in dieser Arbeit sowohl alleinstehend als auch eingebettet in eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung großgeschrieben. Er wird hier als eine feststehende Bezeichnung für ein bestimmtes Diskursfeld verstanden und daher als ein Eigenname verwendet.

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Cover Liedholz Nachhaltigkeitsbildende ErlebnispädagogikYannick Liedholz:

Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik. Theoretische Grundzüge und Einblicke in die Bildungspraxis

Gastbeitrag zum Buch

 

 

 

Der Autor

Liedholz, Yannick 2024 QUAD

Yannick Liedholz, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit und BNE, Alice Salomon Hochschule Berlin

 

 

 

 

Über „Nachhaltigkeitsbildende Erlebnispädagogik“

Erlebnispädagogik und Bildung für Nachhaltige Entwicklung – zwei Konzepte, die bisher kaum zusammengedacht wurden. Dieses Buch entfaltet die theoretischen Grundzüge einer nachhaltigkeitsbildenden Erlebnispädagogik und konturiert sie als ein transformatives und differenzästhetisches Bildungskonzept in anthropogener Natur, das Menschen zur Mitwirkung an einer Nachhaltigen Entwicklung befähigen will. Die praktische Umsetzung wird entlang des Whole Institution Approach veranschaulicht.

 

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© Foto Yannick Liedholz: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com