„Die Soziale Arbeit kann als eine Akteurin starker Nachhaltigkeit ein Teil der Lösung sein.“ – Interview mit Yannick Liedholz und Johannes Verch, Herausgeber von „Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit”

Interview Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit

Wie kann die Soziale Arbeit zu einer nahhaltigeren Welt beitragen? Wir haben ein Interview mit Yannick Liedholz und Johannes Verch, Herausgeber von „Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit. Grundlagen“, geführt.

 

Lieber Yannick Liedholz, lieber Johannes Verch, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit für unsere Leser*innen zusammen.

Der Sammelband ist so angelegt, dass er in den ersten beiden Abschnitten grundlegende und vertiefende Einblicke in die Diskurse um Nachhaltigkeit und eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) vornimmt und diese für die Soziale Arbeit kontextualisiert. Es gibt zum Beispiel Beiträge zur Geschichte von Nachhaltigkeit, zu den Nachhaltigkeitsstrategien und zu einer Transformativen Bildung für Nachhaltige Entwicklung – jeweils mit einer spezifischen Deutung für die Soziale Arbeit. Einen Fokus bildet dabei der Ansatz starker Nachhaltigkeit, der die ökologische Nachhaltigkeitsdimension akzentuiert, zugleich aber soziale Aspekte fest im Blick hat. Diesen Ansatz aufgreifend fragen Beiträge etwa nach den Verbindungen von Menschenrechten und Sozialmanagement zu (starker) Nachhaltigkeit.

Im dritten Abschnitt werden ausgewählte Handlungs- und Praxisfelder Sozialer Arbeit vorgestellt, in denen sich (starke) Nachhaltigkeit umsetzen lässt. Die Sportsozialarbeit sowie die Kinder- und Jugendsozialarbeit werden beispielhaft herangezogen. Der vierte und letzte Abschnitt des Sammelbandes wendet sich weiterführenden Überlegungen zu. Hier werden unter anderem die Geschlechterverhältnisse einer nicht-nachhaltigen Entwicklung problematisiert. Ebenso wird die Digitalisierung als ein Megatrend (auch in der Sozialen Arbeit) hinsichtlich starker Nachhaltigkeit kritisch reflektiert.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch herauszugeben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Die Idee für diesen Sammelband entstand wesentlich vor dem Hintergrund, dass es innerhalb der deutschsprachigen Sozialen Arbeit noch kein Grundlagenwerk zu Nachhaltigkeit und einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung gibt. Diese Lücke(n) wollten wir zunächst einmal schließen. Bestärkt wurden in diesem Anliegen zudem dadurch, dass wir im Austausch mit Kolleg*innen bei anderen Publikationsprojekten, in Fachgruppen und auf Fachkonferenzen festgestellt haben, dass der seit Jahrzehnten intensiv geführte Nachhaltigkeitsdiskurs von der Sozialarbeitswissenschaft kaum beachtet wird. Verbreiteter ist dagegen zum Beispiel die Rede von einer sozial-ökologischen Transformation – auch im (eher anthropozentrisch) geführten Klimadiskurs. Mit diesem Sammelband wollen wir das Nachhaltigkeitskonzept stark machen und für die Soziale Arbeit anbieten. Wir halten es für wichtig, dass die Soziale Arbeit im Bereich von Nachhaltigkeit sprachfähig wird und so an einer Nachhaltigen Entwicklung mitwirken kann. Nicht zuletzt sehen wir ein großes gemeinsames Potential beider Felder. Unserer Ansicht nach kann die Soziale Arbeit als eine Akteurin starker Nachhaltigkeit wichtige Impulse liefern und ein Teil der Lösung sein. Umgekehrt kann starke Nachhaltigkeit die Soziale Arbeit in ihrem Denken und Handeln bereichern.

 

Welche Nachhaltigkeitsbereiche werden in der Disziplin aktuell besonders intensiv diskutiert?

In unserer Wahrnehmung ist ausgehend vom Klimadiskurs in der Disziplin etwas in Bewegung geraten. In den letzten beiden Jahren sind erste Publikationen entstanden, die in einer Art Suchbewegung die Berührungspunkte von Sozialer Arbeit mit Nachhaltigkeitsthemen herausarbeiten. Die neu gegründete DGSA-Fachgruppe „Klimagerechtigkeit und sozialökologische Transformation in der Sozialen Arbeit“ ist ein wichtiger Ort dafür. Wie wir in der Einleitung des Sammelbandes argumentieren, kann unseres Erachtens aber der Klimadiskurs nur hinreichend als ein Teilgebiet des Nachhaltigkeitsdiskurses verstanden werden. Wir plädieren daher dafür, die aktuellen sozialarbeitswissenschaftlichen Diskussionen z.B. zu Ethik, sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten, Empowerment und Bildungsansätzen stärker an den ‚kritischen‘ Nachhaltigkeits- bzw. BNE-Diskurs anzubinden.

Ferner sehen wir, dass an den Hochschulen Nachhaltigkeit eine zunehmende Rolle spielt. Die junge Generation Studierender trägt das Thema ins Hochschulleben, bislang taucht Nachhaltigkeit aber kaum in den Curricula Sozialer Arbeit auf. Wie können wir angehende Sozialarbeiter*innen auf eine nachhaltigere Praxis vorbereiten? Darüber wird auch in der DGSA-Fachgruppe viel diskutiert. Zugleich ergreifen zahlreiche Verbände, Träger und Einrichtungen Sozialer Arbeit die Initiative und starten Klima- bzw. Nachhaltigkeitsprojekte. Da steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Soziale Arbeit ihre Ziele verfolgen und zugleich stark nachhaltig ausgerichtet sein kann. In diesen Bereichen sehen wir gerade einige wertvolle Entwicklungen. Der Sammelband kann dazu hoffentlich Perspektiven, Ansätze und Konzepte beisteuern.

 

Der Band enthält neben einer grundlegenden Einführung auch Beiträge zu  ausgewählten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. Würden Sie uns eine der Fragestellungen zu einer nachhaltigeren Praxis exemplarisch erläutern?

Ein wichtiges Handlungsfeld zur Nachhaltigkeit sehen wir in einer Sportsozialarbeit. Hier können Adressat_innen über sportive Elemente und vor allem über eine vielfältige Bewegung in einem weiten Sinne zu einem partnerschaftlicheren Mensch-Umwelt-Dialog animiert werden. Damit ist die nachhaltigkeitsbildende Hoffnung verbunden, dass die sonstigen, eher herrschaftlichen Körper- und Naturbezüge irritiert werden. Unsere zumeist nicht-nachhaltigen Körper-, Natur- und Gesellschaftsbezüge sind stets tief habituell verankert und leiten unsere Lebensroutinen nicht unwesentlich mit. Wenn in einem bewegungsvielfältigen Mensch-Umwelt-Dialog diese habituellen Bezüge offener (statt sportiv-rekordorientiert), weniger herrschaftlich (gegenüber der Körpernatur und äußeren Natur) und zudem freudvoll-emotional (ästhetisch, sinnesvielfältig) erfahren und gestaltet werden, gelingt es womöglich, auch die habituell geronnenen Muster in Haltung und Handeln zu verändern. Dafür hält die Soziale Arbeit in ihrer eigenen Offenheit und nachhaltigkeitskulturellen Suchbereitschaft mit ihren Zugängen einer Sportsozialarbeit oder Erlebnispädagogik bemerkenswerte Optionen bereit.

 

Darum sind wir Autoren bei Budrich

Wir haben bereits mit dem Verlag Barbara Budrich zu diesem Themenfeld zusammengearbeitet – zum Beispiel in der Schriftenreihe Ökologie und Erziehungswissenschaft sowie bei der Publikation Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Bei diesen Projekten haben wir ein aufrichtiges Interesse des Barbara Budrich Verlages wahrgenommen, Nachhaltigkeit in die Diskurse der Sozial-, Geistes- und Erziehungswissenschaften zu tragen. Insgesamt erleben wir den Verlag Barbara Budrich als sehr professionell – bei der Betreuung, beim Lektorat, bei der Gestaltung der Buchumschläge sowie beim Marketing. Der Verlag Barbara Budrich schafft es, den Büchern eine hohe Sichtbarkeit in der deutschsprachigen Sozialen Arbeit zu verschaffen, wofür wir sehr dankbar sind.

 

Kurzvitae der Herausgeber in eigenen Worten

Portraitfoto des Budrich-Autors Yannick LiedholzYannick Liedholz

  • Dozent an der Alice Salomon Hochschule Berlin im Studiengang Soziale Arbeit
  • Autor des Buches „Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel“ (2021)
  • Doktorand an der Freien Universität zum Thema einer nachhaltigkeitsbildenden Erlebnispädagogik

 

Portraitfoto des Budrich-Autors Johannes VerchJohannes Verch

  • Professor an der Alice Salomon Hochschule Berlin zu Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt BNE
  • Mitglied Fachforum Frühkindliche Bildung und Partnernetzwerk Außerschulische Bildungswelten der Nationalen Plattform BNE
  • Mitglied Scientists for Future; Deutsche Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V.
  • Mitglied Sprecher_innenrat der dvs-Kommission „Sport und Raum“
  • Klimarat, Netzwerk Umweltbildung, Netzwerk Bewegung des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf
  • BNE-Beauftragter der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz
  • Teammitglied bei think.sportainable/ Denkfabrik des nachhaltigen Sports
  • Teammitglied bei bwgt e.V. / Projekte zur gesundheitlichen, bewegungs- und nachhaltigkeitsorientierten Quartiersförderung

 

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Über „Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit“

Die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Nachhaltigkeit gewinnt in der Sozialen Arbeit an Bedeutung: Wohlfahrtsverbände positionieren sich zu gesellschaftlichen Fragen von Nachhaltigkeit, Träger und Einrichtungen entwickeln Nachhaltigkeitsleitbilder, Fachkräfte erproben Formate einer nachhaltigen Bildungsarbeit, Studierende fordern mehr Nachhaltigkeit an ihren Hochschulen und die Sozialarbeitswissenschaft diskutiert ihre Bezüge zu einer sozial-ökologischen Transformation, Klimagerechtigkeit und Nachhaltiger Entwicklung. Dieser Sammelband bietet eine grundlegende Einführung in die Diskurse um Nachhaltigkeit und eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Beiträge zu ausgewählten Handlungsfeldern zeigen eine nachhaltigere Praxis Sozialer Arbeit auf.

 

© Titelbild: gestaltet mit canva.com, Herausgeber*innenfotos: privat