von Michaela Köttig, Nikolaus Meyer, Johanna Bach, Connie Castein und Mona Schäfer
Über das Buch
Rechtsextremismus breitet sich gesamtgesellschaftlich zunehmend aus, wovon auch die Soziale Arbeit in vielfacher Weise betroffen ist. Das Studienbuch ermöglicht Lernenden und Lehrenden eine systematische und kritische Auseinandersetzung mit den zentralen ideologischen Elementen sowie mit Aktivitäten und Strategien des Rechtsextremismus und dessen Folgen. Es bietet darüber hinaus Ansätze, Rechtsextremismus in der sozialarbeiterischen Praxis entgegenzutreten. Während im ersten Abschnitt zunächst relevante Phänomenklärungen vorgenommen werden, stehen im zweiten Teil Erscheinungsformen und zuletzt Handlungsoptionen in der Sozialen Arbeit im Mittelpunkt. Ergänzt werden die Darstellungen mit weiterführendem didaktischen Material wie Literaturtipps, Reflexionsfragen und Rechercheaufgaben. Das Buch eignet sich sowohl zum Selbststudium als auch zur Seminargestaltung.
Leseprobe aus den Seiten 107 bis 110
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7 Soziale Medien als Resonanzraum für rechtsextreme Akteur:innen. Selbstdarstellung und Rhetorik der Neuen Rechten in sozialen Netzwerken als Herausforderung für die Soziale Arbeit
Christoph Wenz und Hannah Hecker
In diesem Abschnitt geht es um die Bemühungen der sogenannten Neuen Rechten, rechtsextreme Ideologien unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Dabei wird auf die Stilmittel und Strategien der neurechten Akteure eingegangen und gezeigt, wie insbesondere Soziale Medien zur Ausweitung dessen, was gesellschaftlich sagbar ist, genutzt werden. Begleitend wird herausgearbeitet, welche Herausforderungen sich für die Soziale Arbeit in diesem Zuge entwickeln.
7.1 Einleitung
Das öffentliche Bild, das von Rechtsextremen gezeichnet wird, hat sich seit der Jahrtausendwende in Deutschland deutlich gewandelt. Das geht auch auf bewusste Anstrengungen der rechten Szene zurück, das eigene Image zu verändern. In den 1980er- und 1990er-Jahren wurden Rechtsextreme in Filmen und Dokumentationen meist mit Springerstiefeln, Bomberjacke und Glatze dargestellt. Einfach gestrickte Männer, die rohe Gewalt gegen Andersdenkende und vor allem als nichtdeutsch gelesene Personen ausüben. Ein Bild, das die rechtsextreme Szene dieser Zeit, und in Teilen natürlich auch heute noch, widerspiegelt. Auch wenn der Aspekt der Gewalt bleibt1, man denke nur an die Hetzjagden in Chemnitz oder eskalierende Anticoronademos in Berlin und anderen Städten, ist zu beobachten, dass die rechtsextreme Szene vieles daran setzt, ein anderes Bild von sich zu zeichnen. Rechtsextreme, die oft mit dem Sammelbegriff Neue Rechte beschrieben werden, versuchen an aktuelle gesellschaftliche Debatten anzuknüpfen und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit ihre menschenverachtenden Positionen in die Breite der Gesellschaft zu tragen, anstatt nur subkulturelle Nischen am Rand zu besetzen. Diese Entwicklung führt dazu, dass wir auch in der Sozialen Arbeit vermehrt mit menschenverachtenden Positionen konfrontiert werden (vgl. Hecker/Wenz 2020). Um diese besser einordnen und adäquat darauf reagieren zu können, ist es wichtig, sich mit der strategischen Veränderung, die rechtsextreme Akteure in den letzten Jahren durchlaufen haben, auseinanderzusetzen.
Wir werden deswegen im Folgenden aufzeigen, warum sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der medialen Debatte von einer Neuen Rechten als rechtsextreme Bewegung die Rede ist. Weiter sollen einige Strategien der Öffentlichkeitsarbeit, Inszenierung und Selbstdarstellung dieser sogenannten Neuen Rechten vorgestellt und insbesondere darauf eingegangen werden, welche Rolle in diesem Zusammenhang Soziale Medien spielen.
7.2 Neue Rechte, alte Ideologie?
Der Begriff Neue Rechte ist seit den 1970er-Jahren in Gebrauch. Er wurde zunächst genutzt, um den beginnenden Versuch einer Reorganisation der extremen Rechten begrifflich zu fassen, die sich jenseits einer personellen Kontinuität des nationalsozialistischen Deutschlands verortete. Als die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bei der Bundestagswahl im Jahr 1969 an der Fünfprozenthürde scheiterte, wandten sich parteilich organisierte Rechtsextreme vom Parlamentarismus ab. Die rechtsextreme Bewegung spaltete sich in zwei Lager auf: Während ein Teil der Szene den Kampf um die Straße propagierte, wandte sich ein anderer Teil dem Ringen um die gesellschaftliche Meinungshoheit zu. Letztere Idee war angelehnt an die französische Bewegung der Nouvelle Droite [Neue Rechte], die auf den Autoren Alan de Benoist zurückgeht. Angelehnt an Benoist sollte der Kampf um die Metapolitik geführt werden. Das heißt, der vorpolitische Raum – die Diskussionen am Stammtisch, in der Kantine oder im Sportverein – sollten beeinflusst werden und nicht mehr primär die Debatten in den Parlamenten. Dabei sollten insbesondere Kontakte zum konservativen Lager gepflegt werden (vgl. Feit 1987: 42; Kellersohn 2017; Salzborn 2017: 36ff.). Trotz dieser strategischen Abgrenzungen verbindet alle Akteure weiterhin ein „Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen“ (Decker/Brähler 2006: 20; vgl. auch Hecker/Wenz 2019: 18ff.).
Die Neue Rechte war und ist damit eine nichtorganisierte Verbindung politischer Akteure, die sich als bewusstes Gegengewicht zur Studentenbewegung der 1968er gründete und dabei die Strategien ihrer studentischen Gegner:innen adaptierte. Ziel war nicht mehr, eine parlamentarische Mehrheit für rechtsextreme Positionen zu erreichen, sondern die Erlangung einer kulturellen Hegemonie2 (vgl. Salzborn 2017: 35). Damit war die Hoffnung verbunden, ein breites Bündnis gegen gesellschaftliche Modernisierungs- und Emanzipationsprozesse schmieden zu können, ähnlich wie die Akteure der „konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik (vgl. Decker/Brähler 2020: 25; Salzborn 2017: 20ff.). Aus diesen strategischen Überlegungen heraus wurden verschiedene rechte Publikationsorgane ins Leben gerufen. So wurde 1986 die rechtsextreme Zeitung Junge Freiheit als Schülerzeitung gegründet, seit 1994 erscheint sie als allgemein verkäufliche Wochenzeitung (vgl. Gessenharter 2018: 47). Die Junge Freiheit dient als Debattenraum, in dem seit Gründung konservative und rechtsextreme Positionen öffentlich miteinander diskutiert werden. Nachdem die erste Generation der neuen „intellektuellen“ Rechtsextremen Mitte der 1990er-Jahre ihren Zenit erreichte, beschreibt der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher Samuel Salzborn eine Phase der Neuorganisation der Bewegung, die Anfang der 2000er begann (vgl. Salzborn 2017: 44ff.). Teil dieser Neustrukturierung war die Gründung des Instituts für Staatspolitik (IfS), eine rechte Organisations- und Aktionsplattform, die innerhalb der Neuen Rechten als „Denkfabrik“ gelabelt wird. Kern der Aktivitäten des Instituts sind regelmäßige Sommer- und Winterakademien, um die zukünftige rechte Elite auszubilden. Die Arbeit des Instituts hat das Ziel, rechtsextreme Ideologien wissenschaftlich aufzuwerten und diskursfähig zu machen. Aus dem Institut ging auch der rechte Verlag Antaios hervor, welcher als Publikationsorgan für die Arbeitsergebnisse genutzt wird und als Scharnier zum konservativen wissenschaftlichen Diskurs fungiert.
Neben dieser „Verwissenschaftlichung“ der Aktivitäten der Neuen Rechten ist insbesondere die Gründung der Identitären Bewegung (IB) als wichtiger Teil des Neuorganisierungsprozesses in Deutschland zu nennen. Im Jahr 2014 wurde die IB als Ableger der französischen „Génération identitaire“ [Identitäre Generation] gegründet. Die sich als jung und hip inszenierende Gruppe kultiviert ein eher aktionistisches als intellektuelles Auftreten und fiel in den letzten Jahren immer wieder durch provokative Social-Media-Aktionen auf (vgl. Fuchs/Middelhoff 2019: 91). Die europaweit agierenden und meist städtisch organisierten Gruppen, die sich unter dem Label IB vereinen, vertreten ein ethnopluralistisches Weltbild und grenzen sich damit vom Rassismus des Nationalsozialismus begrifflich ab. Der Bezug auf den Begriff des Ethnopluralismus ist ein rhetorischer Kniff, mit dem Unterschiede zwischen Menschen nicht mehr, wie im klassischen Rassismus, biologisch begründet, sondern aufgrund unterschiedlicher Kulturen konstruiert werden. Daher wird nicht mehr von „Rassen“ gesprochen, sondern von ethnisch und kulturell verschiedenen Völkern. Ziel des Ethnopluralismus bleibt aber letztlich, genau wie beim Rassismus, eine Hierarchisierung von Menschen, die mit der Forderung einer geopolitischen Separierung einhergeht (vgl. Salzborn 2017: 39). Obwohl ihr Politikstil die IB auf den ersten Blick von der Grundausrichtung der Neuen Rechten unterscheidet, ist ihre inhaltliche Ausrichtung doch charakteristisch. Neben prominenten Bezügen auf ideologische Vordenker wie Julius Evola oder Alan de Benoist sind auch die Aktionsformen der IB von den strategischen Überlegungen der Neuen Rechten geprägt (vgl. Brumlik 2016). Nicht zuletzt gibt es zahlreiche persönliche Verbindungen und Überschneidungen zwischen IB und IfS (vgl. Fuchs/Middelhoff 2019: 100ff.). Während das IfS allerdings auf wissenschaftliche Debatten und Feuilletons der Republik zielt, versucht die IB sich in den Sozialen Medien und als Teil moderner Jugendkultur diskursprägend einzumischen, um rechtsextreme Ideologie zu modernisieren und anschlussfähig zu machen.
Flankiert wurden diese Entwicklungen von der Gründung der Partei Die Alternative für Deutschland (AfD), die anschlussfähig für Akteure der Neuen Rechten ist. Im Jahr 2013 als nationalistische, europaskeptische Partei gegründet, entwickelte sich die AfD schnell zu einem Sammelbecken rechtskonservativer bis rechtsextremer Akteure, die sich in der bisherigen Parteienlandschaft nicht repräsentiert sahen. Die Partei vereinigt inzwischen in sich nationalkonservative, wirtschaftsliberale, wertkonservative, christlich-fundamentalistische und direktdemokratische Kräfte, die durch autoritäre, völkisch-nationalistische, homophobe, antifeministische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Positionen verbunden werden (vgl. Celik/Decker/Brähler 2020: 149f.).
Alle diese Akteure entwickelten im Laufe des Jahres 2015 mit den steigenden Zahlen der Asylbewerber:innen eine Dynamik, die es so im Nachkriegsdeutschland nicht gegeben hatte: Ein Bündnis von außerparlamentarischen Akteuren am rechten Rand, das politisch von der AfD, die inzwischen sowohl in allen Landesparlamenten als auch im Bundestag sitzt, gestützt wurde, nutzte erfolgreich den gesellschaftlichen Resonanzraum für Hass und Gewalt gegen Geflüchtete (vgl. Decker/Brähler 2020: 73). Die Akteure sahen gemeinsam die Chance, die Bilder der Asylsuchenden an deutschen Grenzen für sich zu nutzen, indem sie zum Sprachrohr der gesamtgesellschaftlich verbreiteten, rassistischen Ängste vor Zugewanderten wurden. Dieses Bündnis, das in dieser Situation zwischen außerparlamentarischen Akteuren der Neuen Rechten sowie den rechtsextremen Parteifunktionären der AfD geschmiedet wurde, bezeichnen die Journalisten Middelhoff und Fuchs (2019: 24) als die aktuelle Gestalt der Neuen Rechten in Deutschland.
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1 In Deutschland wurden seit der Wiedervereinigung mindestens 213 Personen durch rechte Gewalt getötet, davon 112 nach der Jahrtausendwende. Eine Übersicht findet sich hier: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt/ [Zugriff: 01.05.2021].
2 Die neue Rechte propagiert dabei explizit einen „Gramscismus von rechts“ und bezieht sich auf den marxistischen Vordenker Antonio Gramsci. Seine Überlegungen zur Erringung kultureller Hegemonie werden ‒ seiner marxistischen Vorannahmen entledigt ‒ als strategische Grundpfeiler herangezogen (vgl. Brumlik 2016).
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