Leseprobe aus „Evaluation einer Professionalisierungsmaßnahme für inklusiven Englischunterricht“ von Katharina Böhm

Cover "Evaluation einer Professionalisierungsmaßnahme für inklusiven Englischunterricht"

Evaluation einer Professionalisierungsmaßnahme für inklusiven Englischunterricht
Unterrichtsplanung und -durchführung vor dem Hintergrund des Universal Design for Learning

von Katharina Böhm

 

Über das Buch

Wie können Lehramtsstudierende besser auf ihren Beruf vorbereitet werden? Die explorative Studie befasst sich mit der Entwicklung und Evaluation einer universitären Professionalisierungsmaßnahme im Rahmen des Praxissemesters. Ziel ist es, angehende Lehrkräfte sukzessiv für die Planung und Durchführung von inklusivem Unterricht im Fach Englisch vor dem Hintergrund des Universal Design for Learning (UDL) und eines Planungsleitfadens zu qualifizieren. U.a. zeigt sich eine signifikante Steigerung der studentischen Selbstwirksamkeitserwartungen bezogen auf inklusive Unterrichtsgestaltung. Die Studie leistet einen ersten Beitrag zur Erforschung des Potenzials von inklusionsorientierten Professionalisierungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des UDL im Fach Englisch.

Leseprobe aus den Seiten 13 bis 16

 

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1 Inklusionsorientierte Professionalisierungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des UDL im Fach Englisch im Rahmen der universitären Lehrer/-innenbildung – ein Desiderat

Mit der Ratifikation der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich Deutschland im Jahr 2009 zur Etablierung eines inklusiven Bildungssystems verpflichtet, das menschliche Vielfalt als Stärke begreift und von Teilhabe, Chancengleichheit und Zugänglichkeit für alle Menschen geprägt ist. Die schulpolitische Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen kann dabei zum Anlass genommen werden, die Qualität von Bildung und Unterricht für alle Lernenden zu verbessern und der Heterogenität der Schüler/-innenschaft besser gerecht zu werden (vgl. Krause & Kuhl, 2018; UNESCO, 1994).

Neben wichtigen politischen und wissenschaftlichen Bemühungen zur Umstrukturierung des deutschen Bildungssystems und der Bereitstellung von ausreichend finanziellen, räumlichen, materiellen, technischen und personalen Ressourcen für alle Schulen spielt die Professionalisierung von Lehrkräften, die die individuelle Förderung und Anerkennung aller Lernenden täglich realisieren sollen, eine Schlüsselrolle für die Umsetzung von schulischer Inklusion (vgl. Amrhein & Dziak-Mahler, 2014; Feuser, 2013). Neben Fort und Weiterbildungen für bereits praktizierende Lehrkräfte ist es wichtig, bereits in der ersten Phase der Lehrer/-innenbildung an der Universität einen Grundstein für die Wertschätzung von und den unterrichtlichen Umgang mit Heterogenität im Klassenraum zu legen (vgl. z.B. KMK, 2018a, S. 2; LABG, 2018). Im Rahmen der universitären Umsetzung wird jedoch u.a. die mangelnde fachspezifische Vermittlung inklusionsorientierter Inhalte beklagt (vgl. Rischke, Baedorf & Müller, 2015, S. 49). Viele Lehrkräfte fühlen sich daher nicht ausreichend auf die Planung und Durchführung von inklusivem Fachunterricht in der Praxis vorbereitet. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Platzierung von Menschen mit Behinderungen im Regelschulsystem haben viele Lehrkräfte u.a. ein erhöhtes Informationsbedürfnis in Bezug auf Lernvoraussetzungen von Schüler/innen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf und fachspezifische Fördermöglichkeiten an allgemeinbildenden Schulen (vgl. Forsa, 2017, S. 56). Darüber hinaus sind alle Lehrkräfte, trotz des bisherigen Versuchs Leistungsheterogenität durch ein selektives Schulsystem zu verringern, täglich mit Differenzlinien wie Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund, sozioökonomischem Status und/oder Mehrsprachigkeit konfrontiert. Die Ausrichtung der Unterrichtsgestaltung an einem fiktiven Durchschnittsschüler bzw. einer fiktiven Durchschnittsschülerin dürfte dem Ziel der effektiven individuellen Förderung und Anerkennung jedoch kaum gerecht werden (vgl. Krause & Kuhl, 2018). Die Entwicklung und Evaluation von fachspezifischen inklusionsorientierten Lehrveranstaltungen im Rahmen der universitären Lehrer/-innenbildung, in denen Konzepte zum unterrichtlichen Heterogenitätsmanagement praxisnah thematisiert werden, stellt folglich ein wichtiges Forschungsdesiderat dar (vgl. Schlüter, 2018, S. 78; Tan & Amrhein, 2019, S. 376).

Vor diesem Hintergrund wird nach geeigneten Formen und Rahmenkonzepten gesucht, die Lehrenden die fachbezogene Planung und Durchführung von inklusivem Unterricht – im Sinne der Gestaltung von zugänglichen, adaptiven, lernwirksamen Lehr/Lernangeboten für alle Schüler/innen – ermöglichen und ihnen dabei helfen können, der natürlichen Heterogenität von Lerngruppen besser gerecht zu werden. Die sukzessive Annäherung verschiedener Fachwissenschaften und Fachdidaktiken an das Thema Inklusion schreitet jedoch in unterschiedlichem Tempo voran (vgl. Köpfer, 2015, S. 347). Die „Diskussion um eine inklusive Englischdidaktik bzw. einen inklusiven Englischunterricht wurde [z.B. lange Zeit] stark vernachlässigt“ (Köpfer, 2015, S. 347), obwohl Englisch an vielen Schulformen und in verschiedenen Jahrgangsstufen ein versetzungsrelevantes Hauptfach im Sinne einer vierten Kulturtechnik ist, das u.a. auch für Lernende mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf eine wichtige Voraussetzung zum Erwerb verschiedener Bildungsabschlüsse und zur vollwertigen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist (vgl. AOSF, 2016, §35, Abs. 3 & 4; Floyd, 2015, S. 335; Köpfer, 2015, S. 347348). So besteht in der einschlägigen Literatur zunehmend Konsens, dass „das Fach Englisch ein bedeutsames Element der Allgemeinbildung darstellt, welches keiner Personengruppe vorenthalten werden darf“ (Köpfer, 2015, S. 350). Daher wird auch in der Fachdidaktik Englisch die Forderung nach einem „verbindende[n] didaktische[n] Prinzip zwischen verschiedenen Heterogenitätsdimensionen“ (Küchler & Roters, 2014, S. 237) für den Fremdsprachenunterricht laut.

Ein solches Rahmenkonzept stellt z.B. das Universal Design for Learning (kurz: UDL) dar, das vom Center for Applied Special Technology (kurz: CAST) in den USA aus der psychologischen und neurologischen Lehr/Lernforschung und Universal Design-Bewegung in der Architektur abgeleitet worden ist. Seit den 1990er-Jahren ist das Konzept international zunehmend verbreitet, adaptiert und weiterentwickelt worden. Mittlerweile gibt es eine wachsende Zahl an internationalen Studien, die die lernwirksamen Auswirkungen einzelner konstituierender Komponenten des UDL für Lernende mit verschiedenen Lernvoraussetzungen auch im Hinblick auf den (fremd)sprachlichen Bereich empirisch belegen (vgl. z.B. Dalton & Proctor, 2007; Dalton, Proctor, Uccelli, Mo & Snow, 2011; Proctor, Dalton & Grisham, 2007). UDL ist z.B. in den USA bereits in die schulpolitische Gesetzgebung mit dem Ziel der steigenden Realisierung von Menschenrechten im Bildungssystem integriert worden (vgl. ESSA, 2015; HEOA, 2008) und ist somit auch zunehmend Gegenstand und Desiderat von Professionalisierungsmaßnahmen1 im Rahmen der Lehrer/-innenbildung geworden (vgl. z.B. Courey, Tappe, Siker & LePage, 2012; Israel, Ribuffo & Smith, 2014; Spooner, Baker, Harris, Ahlgrim-Delzell & Browder, 2007). Vor dem Hintergrund von drei übergeordneten UDL-Prinzipien sowie operationalisierenden Richtlinien und Checkpunkten, die zusammengefasst von CAST auch als UDL Guidelines bezeichnet werden (vgl. CAST, 2011b, 2018), sollen dabei curriculare Ziele, Evaluationsformen, Methoden sowie Medien bzw. Materialien so flexibel gestaltet werden, dass der Unterricht proaktiv, d.h. von der Planung an, für ein möglichst breites Spektrum an Lernvoraussetzungen von Schüler/innen universell zugänglich und lernwirksam ist (vgl. Lapinski, Gravel & Rose, 2012; A. Meyer, Rose & Gordon, 2014; Ralabate, 2016; Rose & Meyer, 2002).

Erste Untersuchungen zeigen, dass das UDL ein geeignetes Rahmenkonzept sein kann, um angehende Lehrkräfte bereits im Rahmen von Praxisphasen in der universitären Ausbildung in Deutschland im Hinblick auf die Gestaltung von inklusivem Fachunterricht zu professionalisieren (vgl. Schlüter, 2018; Schlüter et al., 2018). Im Hinblick auf das Fach Englisch lagen im deutschsprachigen Raum zu Beginn des Projekts jedoch keine empirischen Studien vor, die das Potenzial und die Auswirkungen von Professionalisierungsmaßnahmen für angehende Lehrkräfte vor dem Hintergrund des UDL im Rahmen der universitären inklusionsorientierten Lehrer/innenausbildung eruieren. Da die Gestaltung von individualisierendem Fachunterricht ein komplexer Prozess ist, der kontextspezifisch u.a. aus dem Zusammenwirken von situationsspezifischen Fähigkeiten, vielfältigem Professionswissen und affektivmotivationalen Dispositionen von Lehrpersonen geprägt wird (vgl. Baumert & Kunter, 2006, 2011; Blömeke, Gustafsson & Shavelson, 2015; Rey, Lohse-Bossenz, Wacker & Heyl, 2018), stellt die Verknüpfung des UDL-Konzepts mit bereits empirisch bewährten fachlichen, fachdidaktischen und allgemeindidaktischen Ansätzen zur Unterrichtsgestaltung zudem ein großes Forschungsdesiderat dar (vgl. Benton-Borghi, 2015, S. 295300; Krause & Kuhl, 2018, S. 187190). Vor diesem Hintergrund reiht sich diese Untersuchung in eine Serie von Forschungsprojekten mit dem Ziel ein, das Potenzial der Arbeit mit dem UDL-Konzept im Rahmen der inklusionsorientierten Lehrer/-innenbildung für verschiedene Unterrichtsfächer zu erforschen, um einen Teilbeitrag zur Professionalisierung von angehenden Lehrkräften für inklusiven Fachunterricht zu leisten und die Implementation von universitätsweiten Konzepten zum Umgang mit Heterogenität voranzutreiben (vgl. Schlüter et al., 2018). Befunde in der einschlägigen Literatur zeigen jedoch, dass die systematische Integration und Realisierung von UDL Guidelines bereits im Rahmen der Planung von Fachunterricht eine große Herausforderung für Lehrkräfte darstellen kann. U.a. wird die Notwendigkeit von gezielter, effizienter Anleitung und sukzessiven, praxisnahen Hilfestellungen zur erfolgreichen fachspezifischen Anwendung und Umsetzung des UDL-Konzepts im Rahmen der Professionalisierung von Lehrkräften hervorgehoben (vgl. Israel et al., 2014, S. 2021; Ralabate, 2016, S. 89).

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1 Unter dem Begriff Professionalisierungsmaßnahme wird im Rahmen dieser Arbeit jegliche Maßnahme (z.B. Aus, Fort oder Weiterbildungsangebot) verstanden, die zur Professionalisierung (vgl. Kapitel 4.1) von Personen einer bestimmten Berufsgruppe beiträgt. Der Untersuchungsfokus wird dabei auf Lehr/Lernangebote im Rahmen der universitären Ausbildung von Lehrkräften gelegt.

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