Klimaresilienz im psychologischen Diskurs

Soziologiemagazin 1-2024: Mental health in climate hell. Eine Kritische Diskursanalyse des deutschsprachigen psychologischen Diskurses über Klimaresilienz

Mental health in climate hell. Eine Kritische Diskursanalyse des deutschsprachigen psychologischen Diskurses über Klimaresilienz

Esther Röcher

Soziologiemagazin, Heft 1-2024, S. 26-49.

 

Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse einer Kritischen Diskursanalyse nach Siegfried und Margarete Jäger des deutschsprachigen psychologischen Diskurses über individuelle Klimaresilienz dar. Hierfür wurden elf psychologische Publikationen aus dem Zeitraum 2020 bis 2023 in Hinblick auf die Frage untersucht, inwieweit die Verantwortung für den Umgang mit den Belastungen der Klimakrise dem Individuum in diesem Diskurs zugeschrieben wird. Hintergrund dieser Untersuchung sind sozialwissenschaftlichen Kritiken an individuellen Resilienzansätzen, die betonen, dass durch den Fokus auf Resilienz die Verantwortung für die Bewältigung gesellschaftlicher Krisen auf Individuen verlagert wird. Die Ergebnisse dieser Kritischen Diskursanalyse zeigen hingegen, dass die Grenzen individueller Resilienzansätze im psychologischen Diskurs über Klimaresilienz mehrheitlich reflektiert werden und die Notwendigkeit politischer Lösungen für die Bewältigung der Klimakrise erkannt wird.

Schlagwörter
Klimaresilienz; Kritische Diskursanalyse; Klimaemotionen; Resilienzkritik; Klimawandel

 

Klimaresilienz als Antwort auf die psychischen Folgen des Klimawandels

Die psychologische Forschung der letzten Jahre hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Klimakrise auch eine Mental-Health-Krise ist (Clayton et al., 2017). Zu den psychischen Folgen des Klimawandels gehören Phänomene wie Klimakummer, Klimaangst, Klimadepression oder Solastalgie (Pihkala, 2023), angesichts derer zunehmend auch über Möglichkeiten des Umgangs mit den Belastungen des Klimawandels diskutiert wird. Ein aktuell beliebtes psychologisches Konzept ist hierbei Klimaresilienz, „die psychische Fähigkeit und Ressource, Belastungen durch die Klimakrise gesund kognitiv, emotional, zwischenmenschlich und handlungsorientiert zu verarbeiten und so als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Dohm & Klar, 2020, S. 106). Im psychologischen Diskurs wird Klimaresilienz nicht nur eine Bedeutung für verausgabte Klimaaktivist*innen zugeschrieben (Dohm & Klar, 2020, S. 107), sondern auch die Verantwortung von Psychotherapeut*innen und verschiedenen Akteur*innen im Klimaschutz für den Aufbau von Klimaresilienz bei Individuen betont (Hunecke, 2022; Niessen et al., 2021; Pudlatz, 2023).

Während der Begriff der individuellen Klimaresilienz zumindest im deutschsprachigen Diskurs erst in den letzten drei Jahren Verwendung findet (Pudlatz, 2023, S. 5), stellt der Fokus auf Resilienz keineswegs eine Neuheit im wissenschaftlichen Diskurs dar. Vielmehr ist die Beliebtheit der Klimaresilienz auf die allgemeine Hochkonjunktur zurückzuführen, die der Resilienzbegriff in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Feldern sowie im öffentlichen Diskurs seit einigen Jahren erfährt (Karidi et al., 2018; Wink, 2016). Die Inflation des Resilienzbegriffs hat in den Sozialwissenschaften zunehmend auch zu Kritik, vor allem an individuellen Resilienzansätzen, geführt, die in kritischen Untersuchungen von Resilienz nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Zu den Hauptargumenten der Kritiker*innen gehört, dass Resilienz kein wertneutrales Konzept zur Gesundheits- und Entwicklungsförderung darstellt, sondern einem „neoliberalen Subjektivierungsmodus“ (Endreß, 2022, S. 1) unterliegt (Bröckling, 2012, 2013, 2017; Graefe, 2019; Graefe & Becker, 2021; Rungius et al., 2018; Slaby, 2016). Resilienz wird daher aus gesellschaftskritischer Perspektive auch als „passgenaues Konzept des flexiblen Krisenkapitalismus“ (Graefe, 2019, S. 151) oder als „diskursive Verarbeitung einer verunsichernden Moderne“ (Rungius et al., 2018, S. 33) gedeutet. Die Gefahr von Resilienzansätzen wird von den Kritiker*innen vor allem darin gesehen, dass die Verantwortung für den Umgang mit gesellschaftlichen Krisen auf das Individuum verlagert wird und somit zu einer tiefgreifenden Entpolitisierung der Bewältigung gesellschaftlicher Krisen führt (Becker, 2021; Bröckling, 2013; Graefe, 2019; Hurtienne & Koch, 2018; Rungius et al., 2018; Slaby, 2016).

Diese Kritik verdeutlicht nicht zuletzt, dass (Klima-)Resilienz auch für kritische sozialwissenschaftliche Analysen interessant ist. Dieser Artikel möchte daher an die bisherige sozialwissenschaftliche Kritik des Resilienzansatzes anschließen und untersuchen, ob und inwiefern die Kritikpunkte in Bezug auf den psychologischen Klimaresilienzdiskurs Bestand haben. Ferner lautet die Forschungsfrage: Inwieweit wird die Verantwortung für den Umgang mit den Belastungen der Klimakrise dem Individuum im psychologischen Klimaresilienzdiskurs zugeschrieben? Die Untersuchung der Forschungsfrage erfolgt durch eine Kritische Diskursanalyse nach Margarete und Siegfried Jäger (2007) und beschränkt sich auf den psychologischen Diskurs über individuelle Klimaresilienz im deutschsprachigen Raum. Mit psychologischem Diskurs ist in dieser Arbeit der wissenschaftliche psychologische Diskurs gemeint, welcher unter anderem in Fachzeitschriften, aber auch in wissenschaftlich fundierter Praxisliteratur geführt wird.

Zu Beginn dieser Untersuchung wird der Begriff der Klimaresilienz erläutert und in den Resilienzdiskurs eingeordnet. Hierauf folgt ein kurzer Überblick über die bisherige sozialwissenschaftliche Kritik an vorrrangig individuellen Resilienzverständnissen. Im Anschluss wird die Wahl der Methode begründet sowie das methodische Vorgehen der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger und Jäger (2007) dargelegt. Hieran anschließend werden die Ergebnisse der Struktur- und Feinanalyse dargestellt. Zuletzt werden die Ergebnisse der Kritischen Diskursanalyse zusammengeführt und diskutiert.

Zur Begriffsgeschichte der Klimaresilienz

Der Begriff der individuellen Klimaresilienz kann als eine spezielle Form eines individuellen psychologischen Resilienzbegriffes verstanden und in deren Begriffsgeschichte eingeordnet werden. Resilienz bezeichnet laut dem Dorsch Lexikon für Psychologie die „Widerstandsfähigkeit eines Individuums, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse erfolgreich zu entwickeln“ (Warner, 2020, S. 1517). Der Ursprung dieses individuellen Verständnisses von Resilienz liegt in der bekannten Langzeitstudie der Psychologinnen Emily Werner und Ruth S. Smith (1989) über die Resilienzkraft vulnerabler Kinder auf einer hawaiianischen Insel, welche ausschlaggebend für das steigende Interesse an Resilienz war. Die Forscherinnen fanden hierbei heraus, dass sich etwa 30% der sozial und emotional schwer belasteten Kinder auffallend positiv entwickelten. Sie führten dies auf ihre Resilienzkraft zurück, die hier als ein „Vorhandensein bestimmter, die Entwicklungsrisiken abschwächenden ‚Schutzfaktoren‘“ (Graefe, 2019, S. 20) gedeutet wurde. Zu diesen Schutzfaktoren gehören laut Werner und Smith unter anderem Intelligenz, positive familiäre und nicht familiäre Beziehungen sowie ein ausgeglichenes Temperament (Werner, 2006, S. 36). In diesem ursprünglichen Sinne bezeichnete Resilienz also eine relativ statische Eigenschaft, die auf unterschiedliche Ressourcen einer Person zurückgeht. In der heutigen psychologischen Resilienzforschung konkurriert dieses statische Verständnis von Resilienz mit einem prozessualen Resilienzbegriff sowie mit einem Verständnis von Resilienz als Outcome (Arnold et al., 2023). Individuelle Auffassungen von Resilienz finden nicht nur in der psychologischen Forschung Beachtung, sondern auch in der Pädagogik (beispielsweise bei Opp et al., 2020; Zander, 2011) und im Kontext von Gesundheitsförderung in Unternehmen (beispielsweise bei Moser & Häring, 2023; Schellinger et al., 2022).

Im Zuge der Erforschung der psychischen Folgen des Klimawandels wurde der individuelle Resilienzbegriff auf den psychologischen Diskurs über Klimawandel übertragen. So werden unter anderem in dem 2017 von der American Psychological Association herausgegebenen Bericht Mental health and our changing climate: impacts, implications, and guidance Empfehlungen für einen resilienten individuellen und kollektiven Umgang mit der Klimakrise gegeben (Clayton et al., 2017, S. 40). Auch Manu Pihkala, einer der derzeit bekanntesten Klimaemotionsforscher, betont in seinen Publikationen die Bedeutung von Resilienz für den Umgang mit Klimaemotionen (Pihkala, 2020, S. 13; 2023, S. 117).

Während in den meisten englischsprachigen Publikationen zu Resilienz im Kontext des Klimawandels nicht explizit der Begriff climate resilience verwendet wird (Clayton et al., 2017; Clayton & Manning, 2018; Davenport, 2017), fällt auf, dass sich im deutschsprachigen psychologischen Diskurs der Begriff Klimaresilienz durchgesetzt hat (Bauriedl-Schmidt & Fellner, 2023; Dohm & Klar, 2020; Hunecke, 2022; Niessen et al., 2021; Peter et al., 2021; Peter & Niessen, 2023; Pudlatz, 2023). Klimaresilienz wird hier als Fähigkeit und Ressource zugleich dargestellt, die durch bestimmte Strategien gefördert werden kann (Dohm & Klar, 2020, S. 106; Hunecke, 2022, S. 38; Peter et al., 2021, S. 176; Pudlatz, 2023, S. 5). Bei einigen Autor*innen wird Klimaresilienz sowohl als eine adaptive als auch als eine transformative Leistung definiert (Niessen et al. 2021, S. 37; Peter et al., 2021, S. 177; Peter & Niessen, 2023, S. 241; Pudlatz, 2023, S. 5). In diesem Sinne zielt Klimaresilienz sowohl auf eine bessere Regulation von auf den Klimawandel bezogenen Emotionen als auch auf die politische Handlungsfähigkeit von Individuen ab. Die niederländischen Psycholog*innen Valentina Lozano Nasi, Lise Jans und Linda Steg (2023) beschreiben diese Art von Resilienz auch als „transilience“, um den Fokus auf den politischen Transformationsgedanken stärker hervorzuheben.

Wie eingangs erwähnt, mehrt sich in den Sozialwissenschaften seit einigen Jahren die Kritik an diesen vorrangig individuellen Resilienzansätzen. Obgleich sich diese Kritiken im Einzelnen voneinander unterscheiden, lassen sich mindestens zwei zentrale Gemeinsamkeiten zwischen ihnen feststellen, die im Folgenden skizziert werden.

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