„Einfach versuchen!“ – 5 Fragen an Inga Nüthen, Gewinnerin des Budrich-Dissertationswettbewerbs „promotion“ 2022

Interview Inga Nüthen

2022 hat Inga Nüthen unseren Dissertationswettbewerb promotion und damit eine kostenfreie Veröffentlichung ihrer Dissertation im Verlag Barbara Budrich gewonnen. Ihr Buch Geschlecht, Sexualität und Politik: Aspekte queer_feministischer Politikverständnisse ist am 27. November 2023 erschienen.

Im Interview erzählt Inga Nüthen uns von Ihrem Forschungsthema und wie es beruflich für sie weitergeht.

 

Interview mit Inga Nüthen

 

Gerade ist Ihr Buch Geschlecht, Sexualität und Politik: Aspekte queer_feministischer Politikverständnisse erschienen, mit dem Sie den Dissertationswettbewerb promotion gewonnen haben. Worum geht es darin?

In meinem Buch geht es um das Begriffsfeld „Politik“ und dessen Verhandlung innerhalb queer_feministischer, westlicher Theorie und Bewegung. Ich schlage eine Systematisierung verschiedener Antwortmöglichkeiten auf die Frage „Was ist Politik?“ bzw. „Was ist politisch?“ innerhalb des Feldes vor, die ich anhand von fünf Aspekten gebündelt habe:

  1. der Kritik an der Trennung öffentlich-privat,
  2. der Identifizierung von Politik mit Macht,
  3. einer Verhältnisbestimmung zwischen Kontingenz und Politik sowie
  4. zwischen Dissens und Politik sowie
  5. einer Orientierung an Allianzen.

Ich habe diesen Überblick „Kartographie“ genannt, um die Vielschichtigkeit und Unabgeschlossenheit der Darstellung zu betonen. Ziel dieser Kartographie ist es nicht, eine einzige fixe Definition zu geben, sondern die Komplexität des Begriffsfeldes und die damit einhergehenden Herausforderungen zu beleuchten.

Ich diskutiere verschiedene Vorschläge für einen geschlechter- und sexualitätsanalytischen Zugriff auf Politik und erarbeite dabei verschiedene Möglichkeiten der Bestimmung von Politik aus queer_feministischer Perspektive und damit einhergehende Kontroversen.

Diese Rekonstruktion der Debatten um den Politikbegriff zeigt, dass queer_feministische Perspektiven ein eigenes, komplexes und umkämpftes Begriffsfeld bieten. Zudem hebt meine Systematisierung Spannungsfelder und Unterschiede innerhalb dieser Verständnisse hervor und bietet so eine breite Übersicht über die Komplexität queer_feministischer Politikverständnisse.

 

An wen richtet sich Ihre Publikation?

Das entstandene Buch richtet sich an Studierende und Forschende der Gender Studies, Queer Studies, Politik- und Sozialwissenschaften und kann sowohl als Einführungsbuch in zentrale Konzepte der Gender/Queer Studies gelesen werden als auch als Systematisierung wichtiger Debattenstränge der politikwissenschaftlichen Gender/Queer Studies.

 

Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Dissertation gekommen?

Ausgangspunkt meines Promotionsprojekts war die auf den ersten Blick banale, aber dann doch recht herausfordernde und grundlegende Frage, was es bedeutet, wenn wir feststellen, dass etwas politisch ist (oder eben auch nicht). Gerade in Bezug auf queere und feministische Themen und Bewegungen ist das ja ein zentrales Feld der Auseinandersetzung: Allzu oft wird queer_feministisches oder anderes emanzipatorisches Aufbegehren als unpolitisches, individuelles oder privates Anliegen zurückgewiesen. Gleichzeitig werden Herrschafts- und Machtverhältnisse durch die Zuschreibung als natürliche Gegebenheiten oder neutrale/objektive Positionen verschleiert.

Genau hier wollte ich genauer hinschauen und den großen Fundus queer_feministischer Antworten auf die Frage „Was ist politisch?“ ordnen und zugänglich machen. Damit möchte ich einerseits einen Beitrag zur Rezeption queer_feministischer Theorien innerhalb der Politischen Theorie und der Politikwissenschaft leisten. Andererseits ist es mir ein Anliegen politikwissenschaftliche Perspektiven in der Geschlechterforschung sichtbar zu machen.

Hintergrund war eine weitere Beobachtung: Bisher wurden in der queer_feministischen Politiktheorie v.a. macht- und herrschaftsanalytische Konzepte erarbeitet. Systematisierende Überblicke zu einzelnen Begriffsfeldern stellen bisher jedoch eine Leerstelle im Feld dar. Meine Arbeit füllt diese Leerstelle in Bezug auf das Begriffsfeld „Politik“, sichtet und ordnet in einer explizit breit angelegten Kartographie westliche, queer_feministische Beiträge zum Politikbegriff.

 

Sie haben den Dissertationswettbewerb promotion gewonnen. Wie sind Sie auf den Preis aufmerksam geworden?

Verschiedene Kolleg*innen haben mich auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht und mich ermuntert mich zu bewerben. Zeitlich passte das gut – ich hatte die Arbeit im Mai verteidigt und eine neue Stelle angefangen und dachte, ich versuche es einfach mal. Ursprünglich hatte ich schon überlegt, es bei einer Publikation in der Universitätsbibliothek zu belassen, habe den Wettbewerb aber dann als Chance gesehen, doch noch ein physisches Buch aus meiner Dissertation zu machen. Das hat dann tatsächlich geklappt und ich freue mich sehr, jetzt doch mein Buch in den Händen zu halten! Natürlich ist auch die Auszeichnung ein wunderbarer Abschluss einer von Höhen und Tiefen durchzogenen Promotionszeit. Es hat sich am Ende doch gelohnt.

 

Wie geht es nun beruflich für Sie weiter?

Nach einer Pause möchte ich die Ergebnisse meiner theoretisch-systematisierenden Arbeit mit empirischer Forschung ins Gespräch bringen und beschäftige mich nun im Rahmen eines Projekts mit der Verhandlung und Deutung von Geschlechterverhältnissen in der historisch-politischen Bildung. Das Projekt, das in Kooperation der Arbeitsbereiche Didaktik der Geschichte und Didaktik der politischen Bildung und dem Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung an der Philipps-Universität Marburg entstanden ist, heißt: „‘Politics of Gender‘ als Thema der historisch-politischen Bildung. Eine Untersuchung der Deutungsmuster von Jugendlichen und Lehrenden zu Diskursen um Emanzipation, (Anti-)feminismus, Geschlecht und Identität“. Ziel ist es, die Bedeutung eines politischen Verständnisses von Geschlecht für eine schulische Bildungspraxis zu beleuchten, die zur Stärkung demokratischer Handlungsweisen und Haltungen beiträgt.

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Anmerkung der Redaktion: Der Einsendeschluss für promotion 2024 ist der 31. August 2024!

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3D Cover Inga Nüthen promotion 150 pxInga Nüthen:

Geschlecht, Sexualität und Politik: Aspekte queer_feministischer Politikverständnisse

promotion, Band 14

 

 

 

Die Autorin

Portraitzeichnung von Budrich-Autorin Inga NüthenDr. Inga Nüthen, wissenschaftliche Referentin des Zentrums für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg

 

Sie möchten mehr über den Budrich-Dissertationswettbewerb erfahren?

Vorschau-Pursuit F21 GlühbirneWeitere Informationen finden Sie auf der Website von promotion.

 

© Zeichnung Inga Nüthen: Domnique Kleiner | Titelbild gestaltet mit canva.com