Was macht ein gutes Studium aus und was kann ich dafür lernen? Eine Leseprobe aus Gut studieren. Studienbegleiter für die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften von Thomas Schäfer.
***
I Gut ins Studium hineinfinden
1 Was heißt „gut Studieren“?
Gutes Studieren besteht nicht nur (und vielleicht sogar weniger) darin, wissenschaftlich-handwerklich gut arbeiten zu können, sondern auch darin, als ganzer Mensch gut im Studium zurecht zu kommen und bestehen zu können. Wem nutzt es, so könnte man fragen, wenn jemand eine handwerklich-technisch gelungene Arbeit verfasst hat, dabei aber unkreativ, geistig unselbständig und womöglich von Ängsten verfolgt war? Was braucht es also, damit die Lernprozesse im Studium bestmöglich gelingen?
Ein gutes Studium wird in diesem Buch dementsprechend als eine bestimmte Art der Persönlichkeitsbildung gesehen, als die Entwicklung mentaler Stärke, die das Studieren zu einer interessanten und fröhlichen Herausforderung macht. Deshalb ist die Hoffnung dieses Buches, dass es ihm gelingt, zu einer solchen Art „studentischer Persönlichkeit“ beizutragen; das bedeutet, dass Studierende im besten Falle und soweit möglich
- gut in sich selbst ruhen,
- geistig unabhängig sind und autonom denken,
- umsichtig und gewissenhaft mit Wissen, Gedanken und Theorien umgehen,
- zu offenem und freiem Nachdenken und Diskutieren in der Lage sind,
- gelassen, emotional ausgeglichen und stabil sind, – die Verantwortung für sich selbst zu tragen vermögen und zu sich stehen können,
- selbstsicher und selbstbejahend sind,
- sich mit den eigenen „Starken“ und „Schwächen“ akzeptieren können,
- auf das eigene Urteil über sich und die Welt vertrauen können und sich nicht zu sehr an das der anderen binden,
- sich keinen Ideologien anschließen, die nicht in Übereinstimmung mit der wohlverstandenen eigenen Persönlichkeit und den eigenen Einsichten stehen.
Damit sind die wichtigsten Eigenschaften, Qualitäten bzw. Haltungen benannt, die in den diversen Kapiteln des Textes durch konkrete Anregungen, Überlegungen, Gedankenspiele, Fragestellungen etc. gefordert werden sollen. Sie mögen Ihnen zu Quellen der Inspiration für das Studium wie auch für das Leben insgesamt werden. Dann wären das wichtigste Anliegen sowie der Sinn dieses Buches erfüllt.
2 Erfahrungen von Studierenden am Studienbeginn – Probleme, Reflexionen und Lösungsperspektiven
Dieses Kapitel richtet sich vor allem, wenn auch nicht nur, an Studienanfänger_innen. Es enthält eine Sammlung von – anonymisierten – Erfahrungsberichten Studierender am Anfang ihres Studiums, die im Rahmen von Lerntagebüchern formuliert wurden. Thematisch handelt es sich vor allem um Problemsituationen, die den Betreffenden in bestimmter Weise zu schaffen gemacht haben. Vielleicht können Sie sich darin wiedererkennen. Die Kommentare zu den jeweiligen Darstellungen sollen Ihnen einerseits die Kontexte dieser Erfahrungen näher erläutern und andererseits Lösungsperspektiven aufzeigen.
2.1 „Aber nun sitze ich in den Seminaren und verstehe nichts“
Nach den ersten Wochen hatte ich ein ziemliches Tief. Jetzt hatte ich endlich mal was gewagt und bin meinem Traum gefolgt, aber nun sitze ich in den Seminaren und verstehe nichts. Ich war deprimiert. Doch meine Kommilitonen haben mich aufgebaut, denn vielen ging es wohl so wie mir. Das hilft einem schon, wenn man weiß, dass man nicht alleine die Probleme hat. Nur, auch wenn die anderen mir von ihren Problemen erzählten, fühlte ich mich so, als ob es bei mir trotzdem schwieriger war. Meine Kommilitonen konnten in den Seminaren Beiträge leisten. Doch ich, ich traute mich nichts zu sagen oder etwas zum Seminar beizutragen. Wenn ich in den Seminaren was vortragen musste, fing ich an zu stottern und erzählte nur Mist. Also sagte ich noch weniger im Seminar, was natürlich unproduktiv war, denn je mehr man mitarbeitet, umso mehr könnte man auch lernen. (Studierende_r L. F.)
Kommentar
Die hier geschilderte Erfahrung hat mehrere wichtige Aspekte:
- Der Eindruck, in der Sache nicht mitzukommen
- Der Trost, dass es anderen ähnlich geht
- Befangenheit und Schüchternheit
- Der Sinn von Mitarbeit in Seminaren
Zu 1.: Es ist wohl tatsächlich eine häufige Erfahrung, dass man in Veranstaltungen und insbesondere in Diskussionen „nicht mitkommt“. Hier sollten Sie das Problem nicht vorschnell bei sich selbst suchen. Denn oft sind Vortrage oder Diskussionen von Unklarheiten, Konfusionen, aber auch „Bluff“ geprägt. Leider ist die Welt der Sprache immer wieder von Unklarheiten und Ungereimtheiten durchzogen, sodass das Verstehen ganz objektiv erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wird. Es liegt dann also keineswegs nur an Ihnen, auch wenn viele – vor allem als Studienanfänger_innen – die Unzulänglichkeiten gern bei sich selbst suchen.
Zudem wollen einige Studierende, aber auch Lehrende offenbar häufiger dadurch beeindrucken, dass sie Fachbegriffe oder Fremdwörter benutzen, um sich damit hervorzutun. Schon das Wissen darum hilft Ihnen vielleicht und kann Sie hoffentlich etwas beruhigen. Zu dieser Thematik aufschlussreich ist das Buch „Uni-Angst und Uni-Bluff“ von Wolf Wagner (1992), das Sie hier mit Gewinn zu Rate ziehen könnten.
Andererseits gibt es Situationen, in denen wir etwas tatsächlich nicht verstehen, nicht mitkommen etc. Auch hier können Sie sich durch den Gedanken beruhigen, dass dies nur allzu normal und unvermeidbar ist, und dass sich dies in aller Regel mit der Zeit und dem eigenen Erkenntniszuwachs ändert. Deshalb sind vorschnelle Zweifel am Studium nicht sinnvoll, schon gar nicht Selbstzweifel, wie Sie sie in einem späteren Zitat noch finden werden. Erst, wenn sich die Situation auf Dauer nicht ändert, können Sie sich immer noch fragen, ob ihr Studium wirklich das Richtige für Sie ist. Aber bis dahin gilt wohl: Nehmen Sie die Situation zunächst so an, wie sie ist, und bewerten Sie diese und sich selbst nicht, und vor allem nicht vorschnell!
Zu 2.: Der Trost, dass es anderen ähnlich geht, ist eine zweischneidige Sache. Denn das Gefühl, mit etwas nicht allein zu sein, hilft psychologisch gesehen zwar sehr, aber in der Sache – dem Verstehenwollen – hilft es keineswegs. Denn Sie wollen doch etwas von der Welt verstehen und erkennen, und da nutzt es letztlich nicht viel, dass andere dabei auch Schwierigkeiten haben.
Im Übrigen ist das darin enthaltene Sich-Vergleichen höchst problematisch und kann sogar als ein Unglücks-Prinzip bezeichnet werden, das u. a. leider von unserem Schulsystem stark gefordert wird. Zunächst scheint der Vergleich zu beruhigen. Wenn er aber ergibt, dass andere im Gegensatz zu Ihnen den Lernstoff verstehen, wäre Ihr Problem nur vergrößert.
Letztlich geht es doch aber um Ihren eigenen Lernprozess und der muss und sollte auch unabhängig von anderen gestaltet werden. Wenn Sie diesen, soweit möglich, gelassen und nicht mit negativen und destruktiven Gedanken begleiten, haben Sie sicher gute Chancen, ihn auf Ihre Weise positiv zu erleben.
***
Sie möchten gern weiterlesen?
Jetzt versandkostenfrei im Budrich-Shop bestellen
Thomas Schäfer:
Gut studieren. Studienbegleiter für die Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften
→ Interview mit Autor Thomas Schäfer
„Gut Studieren“: Autor Thomas Schäfer
Seit 2010 lehre ich Ethik, Philosophie und Propädeutik an der ASH Berlin und der Hochschule Fulda. Meine letzte Veröffentlichung ist: Ethik für die Soziale Arbeit und helfende Berufe (Verlag Barbara Budrich).
Meine Homepage an der ASH Berlin mit weiteren Informationen: https://www.ash-berlin.eu/hochschule/lehrende/gastdozent-innen/dr-thomas-schaefer/
Über „Gut studieren“
Was macht ein gutes Studium aus und was kann ich dafür lernen? Das Buch bietet eine umfassende Einführung in „gutes“ Studieren und das Verständnis von Wissen und Wissenschaft. Es lehrt kritisches Denken und betrachtet die ethischen und sozialen Aspekte der Wissenschaft. Der Autor vereint philosophische und psychologische Werkzeuge, um Mut zu machen und Souveränität im Umgang mit diversen Studienanforderungen zu schaffen.
Mehr Leseproben …
… finden Sie auf unserem Blog.
© Titelbild: gestaltet mit canva.com