Ein Lebensweg geprägt von Widerstand, Resilienz und persönlichem Wachstum: Leseprobe aus Gleichstellung als Lebensaufgabe. Eine fiktionale wissenschaftsbiografische Erzählung von Hildegard Macha.
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Gleichstellung als Lebensaufgabe: Start auf dem Lehrstuhl
Als ich dann nach den aufrührenden Erlebnissen der Therapie im März 1992 an meinem Lehrstuhl in Augsburg mit der Arbeit begann, verlief der Start ganz leicht und schön: Meine Mitarbeitenden, die ich von meinem Vorgänger übernahm, waren lauter erfahrene Männer, die mich als Frau und Genderforscherin sowie wegen meiner rheinischen Munterkeit zuerst kritisch beäugten und mir forschungsmäßig wenig zutrauten. Aber ich bot ihnen an, gemeinsam einen Sammelband zur Familienforschung zu erstellen. Das war ein gemeinsames Thema, in dem sie schon gearbeitet hatten. So hatten wir eine gemeinsame Aufgabe vor uns, die mir ihre jeweiligen Stärken offenbarte und ich band sie gleichzeitig auch wissenschaftlich am Lehrstuhl ein. Schon nach wenigen Wochen fühlte ich mich bei der Arbeit als Lehrstuhlinhaberin sehr wohl und die unterschiedlichen Aufgaben wie Personalführung, inhaltliche Strukturierung und finanzielle Organisation lagen mir sehr.
Jetzt bin ich eine bayerische Beamtin auf Lebenszeit! Heute habe ich meine Urkunde abgeholt – und ich habe eine neue Wohnung in Augsburg-Pfersee gefunden, toll. Morgens fuhr ich mit dem Auto 4 ½ Stunden durch Regen und Schnee. Das ging gut, war aber sehr anstrengend. Ich habe alles gut gefunden, zuerst meine Sachen in die Wohnung gebracht, dann in die Uni zum Kanzler. um die Beamtenurkunde abzuholen. Danach drei Wohnungen besichtigt, mein Assistent fährt mich überall hin, nett! Ich lebe jetzt bei einer rumänischen Familie im Haus, habe eine Dachwohnung mit Balkon, einfach, hübsch und ruhig und nette Leute. (TB 13, 14.3.1992)
Ich führte am Lehrstuhl einen neuen Führungsstil ein, zu dem wesentlich Partizipation, Delegation und Kommunikation gehörten. Meine Mitarbeiter, die Sekretärin und ich gingen meist zusammen in der Mensa essen und anschließend besprachen wir in einer Kaffeerunde – einem informellen runden Tisch in meinem Sekretariat – alle Belange des Lehrstuhls, von der Lehre über die Verwaltung bis hin zur Forschung. So waren alle Mitarbeitenden bestens informiert und kannten ihre Aufgaben und ich konnte auf vertrauensvolle Weise Monitoring leisten. Ich lud sie auch ab und zu zum Essen bei mir zuhause ein, ich unternahm sogar eine Dienstreise zum Kloster Andechs mit ihnen. Langsam gewöhnten sie sich an mich und respektierten mich. Mein Assistent zeigte mir die Stadt Augsburg, deren Sehenswürdigkeiten von einer reichen Tradition seit der Römerzeit zeugten. Wir besichtigten dabei auch den hohen Turm des Rathauses. Der junge Mann spurtete in einem schnellen Tempo die hunderte von Stufen hinauf. Ich, gestählt durch mein Jogging, folgte ihm leichtfüßig und ebenso schnell. „Holla, Frau Macha“, sagte er, „sie sind ja vielleicht fit! Das hätte ich nicht gedacht!“ Auf diese unerwartete Weise gewann ich seinen Respekt als Frau.
Ich fühlte mich an der Universität als Lehrstuhlinhaberin buchstäblich wie auf Rosen gebettet. Ich hatte ein wunderschönes Arbeitszimmer in der Philosophischen Fakultät mit Blick ins Grüne. Der Campus der Universität war etwas außerhalb der Innenstadt Augsburg in eine reizvolle hügelige Landschaft mit einem Teich und einem Flusslauf und Wäldchen eingebettet. Ich verfügte über einen soliden Lehrstuhl-Etat, meine Kolleg*innen in der Fakultät waren mir gegenüber offen und herzlich und es ergaben sich alsbald Möglichkeiten der Kooperation und sogar der Freundschaft. Der Aufbau der Lehrstuhl-Schwerpunkte in Forschung und Lehre machte mir großen Spaß und, gestärkt durch die Erfahrung mit den Lehrstuhlvertretungen an drei Universitäten, gelang es mir recht schnell, meine Forschungsthemen und Lehrinhalte in den Studiengängen, zu etablieren. Die enge Verzahnung von Forschungsinhalten in die studentische Lehre war besonders erfolgreich, denn sie öffnete den Studierenden den Blick für Forschungsverfahren und sie konnten mit ihren Hausarbeiten und Examensarbeiten immer wieder an Forschungsprojekten teilnehmen.
Dennoch war der Spagat zwischen den Erinnerungen und der Aufarbeitung der Vergangenheit in der Therapie und meiner neuen Rolle als Lehrstuhlinhaberin sehr anstrengend. Ich hatte oft Migräne und andere Krankheiten, aber die Arbeit machte mir großen Spaß und ich regenerierte mich immer sehr schnell.
In der Anfangszeit war ich noch etwas unsicher – immerhin war ich eine von nur 2,4 Prozent weiblichen C4-Professorinnen in Deutschland und die erste Lehrstuhlinhaberin an der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg. Ich bemerkte, dass ich bei Vorträgen und auf Tagungen jetzt anders wahrgenommen wurde als die, die in wissenschaftlichen Forschungskommissionen Vorstandsposten übernehmen konnte und sie wurden mir auch angeboten. Ich knüpfte Kontakte mit Kolleg*innen für weitere Forschungsprojekte im Bereich der Biographie- und Genderforschung. Dabei kam mir oft der Zufall zu Hilfe und eröffnete völlig unerwartet neue Perspektiven für Forschungsthemen.
Einer dieser Zufälle ereignete sich am 1.4.1992 bei meiner Ernennung zur bayerischen Beamtin und Professorin im Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst in München durch Herrn Staatsminister Dr. Hans Zehetmaier. Ich berichtete über meine Forschungsgebiete und -Vorhaben und kündigte an, eine bayernweite Arbeitsgruppe für Frauen- und Geschlechterforschung gründen zu wollen, was den Beifall und die Unterstützung des Herrn Ministers fand. Bei einem späteren Gespräch mit dem neuen Staatsminister Herrn Dr. Goppel in der Münchner Residenz 1995 fragte der Herr Minister mich ebenfalls interessiert nach meinen Forschungsgebieten. Ich nannte Pädagogische Anthropologie, Familienforschung, Weiterbildungsforschung – und Genderforschung und berichtete auch über die inzwischen gegründete bayerische Arbeitsgruppe für Frauen- und Geschlechterforschung sowie die Ziele und Vorhaben dieser Gruppe. „Das ist interessant, und was verstehen Sie unter Genderforschung?“, fragte der Herr Minister und ich erläuterte kurz die Bedeutung der Genderforschung in Geschichte und Gegenwart als Erforschung der gesellschaftlichen Bedingungen von Mädchen und Frauen, Jungen und Männern sowie weitere Perspektiven. „Das Thema ist bisher noch nicht prominent an bayerischen Universitäten vertreten“, sagte der Herr Minister, „das sollten wir ändern.“ Und zu seinem Referenten geneigt ordnete er an: „Wir geben der Frau Macha zunächst mal einen jährlichen Betrag, den die Universität Augsburg aufstocken kann, damit kann sie anfangen, Genderforschung in Augsburg aufzubauen.“ Ich freute mich sehr über diese Vorschusslorbeeren und setzte den Auftrag in den nächsten Jahren mit neuen Mitarbeitenden in Forschungsprojekten um.
Am 24.11.1992 fand meine Antrittsvorlesung an der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg statt mit dem Titel: „Sind Aggressionen geschlechtsspezifisch? Pädagogische Reflexionen.“ Ich führte ein in die neuere Forschung und bezog das Thema auf die Erziehungswissenschaft. Der große Hörsaal der Philosophischen Fakultät war randvoll mit Kolleg*innen, Studierenden, Familienmitgliedern, Freunden und auch meine akademischen Lehrer Prof. Geißler und Prof. Kanz waren dabei. Die Diskussionen und Rückmeldungen waren intensiv und sehr anerkennend.
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Hildegard Macha: