Handbuch Psychosoziale Prozessbegleitung
Über das Handbuch
Das Handbuch Psychosoziale Prozessbegleitung gibt einen Überblick über den sozialwissenschaftlichen und kriminologischen Forschungsstand, für Verletzte von Straftaten relevante Rechtsfragen und die Funktion und Aufgaben der Psychosozialen Prozessbegleitung. Es richtet sich an alle, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Kontakt zu von Straftaten verletzten Personen haben, wie Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagogen*innen, Psychologen*innen, Polizeibeamten*innen und im Strafverfahren tätige Juristen*innen. Neben allgemeinen, einführenden Beiträgen werden die thematischen Schwerpunkte Sexualstraftaten, Vorurteilskriminalität, Menschenhandel, Häusliche Gewalt und Stalking sowie die Besonderheiten der Zielgruppen Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Benachteiligungen und Angehörige von Getöteten thematisiert. Schließlich werden praxisrelevante Musterformulierungen, Anträge usw. zur Verfügung gestellt.
Liebe Herausgeber*innen, in Kürze erscheint Ihr Handbuch Psychosoziale Prozessbegleitung. Was genau ist unter „Psychosozialer Prozessbegleitung“ zu verstehen, wer ist daran beteiligt, welche Aufgaben fallen darunter?
Die Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine nicht-rechtliche Begleitung für besonders schutzbedürftige Verletzte in einem Strafverfahren. Im Idealfall beginnt die Begleitung vor Anzeigeerstattung und endet mit einem rechtskräftigen Urteil. Psychosoziale Prozessbegleitungen haben das Recht, soweit es dem Wunsch der verletzten Person entspricht, diese zu allen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren und bei der Hauptverhandlung zu begleiten.
Durch alters- und entwicklungsgerechte Informationen über das Strafverfahren sowie die Klärung von Erwartungen und Anforderungen an die Verletzten sollen mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundene individuelle Belastungen reduziert und eine Sekundärviktimisierung verhindert werden.
Zu den Grundsätzen gehören sowohl die Neutralität gegenüber dem Strafverfahren sowie die Akzeptanz der Unschuldsvermutung und die Trennung von Beratung und Begleitung. Psychosoziale Prozessbegleitung hat keine rechtliche und/oder rechtsvertretende Funktion und ersetzt auch keine ggf. erforderliche Beratung oder Therapie. Sie schließt Gespräche über den zur Verhandlung stehenden Sachverhalt mit den Verletzten aus.
Die Umsetzung der Prozessbegleitung mit suggestionsfreien Arbeitsmethoden ist eine weitere Voraussetzung.
Strafjuristisches Vorgehen folgt einer anderen Logik als Prozesse psychosozialer Arbeit. Psychosoziale Prozessbegleitung ist am Schnittpunkt beider Bereiche angesiedelt und dient auch der Vermittlung. Das Verständnis und die Kooperation mit allen Verfahrensbeteiligten ist eine weitere Aufgabe der Psychosozialen Prozessbegleiter*innen.
Welche Themenfelder greifen Sie in Ihrem Handbuch auf?
Es werden die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse, rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten sowie Handlungsempfehlungen von Praktiker*innen für Praktiker*innen zu unterschiedlichen Zielgruppen und Schwerpunkten dargestellt. Im Einzelnen handelt es sich um die Schwerpunkte: Sexualstraftaten, Vorurteilskriminalität, Menschenhandel, Häusliche Gewalt, Stalking; sowie die Zielgruppen: Menschen mit Benachteiligung/Beeinträchtigung, Behinderung, Kinder und Jugendliche, ältere Menschen inklusive Hochaltriger, Angehörige von Getöteten, Verletzte ohne Möglichkeit der kostenlosen Beiordnung einer Psychosozialen Prozessbegleitung.
Zusätzlich wird die Tätigkeit der am Strafverfahren beteiligten Berufsgruppen aus deren Perspektive dargestellt, um die jeweiligen unterschiedlichen Aufgaben und Arbeitsweisen zu kennen, sodass eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne des Strafverfahrens und des Opferschutzes gewährleistet ist.
Ist mit der Veröffentlichung des Handbuches eine Motivation verbunden?
Es geht uns darum, Verletzte, Geschädigte und Opfer von Straftaten und ihre Probleme sichtbar zu machen. Das Handbuch soll dafür werben, mit den Verletzten in der Gesellschaft und insbesondere in den Institutionen wie Polizei und Justiz sensibel und gerecht umzugehen, und nicht durch einen fehlerhaften oder unsensiblen Umgang weitere Verletzungen hervorzurufen.
Sie als Herausgeber*innen kommen selbst aus unterschiedlichen Bereichen. Wie hat sich das auf Ihre Zusammenarbeit ausgewirkt?
Sehr motivierend! Wir haben uns fachlich, persönlich und organisatorisch perfekt ergänzt. Außerdem konnten wir unsere unterschiedlichen Netzwerke nutzen und so ein interdisziplinäres Handbuch zur Psychosozialen Prozessbegleitung möglich machen. Wir haben viel voneinander und miteinander gelernt.
Welche sind die größten Herausforderungen für Menschen, die in der Psychosozialen Prozessbegleitung tätig sind?
Insgesamt gibt es fünf Herausforderungen für Psychosoziale Prozessbegleiter*innen: Die optimale Unterstützung und Begleitung der verletzten Person; eine gelingende Zusammenarbeit mit der Polizei und der Justiz im Sinne der Entlastung der Verletzten und auch der anderen am Strafverfahren beteiligten Professionen; die Vernetzung zu Opferhilfestrukturen und die Sicherstellung der eigenen Finanzierung sowie der gleichbleibend hohen Qualität der eigenen Arbeit.
Welchen Beitrag soll das Handbuch für die Praxis leisten?
Das Handbuch will mit der Darstellung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Opferwerdungen und den Folgen derselben für die Verletzten, ihrer Rechte und Handlungsempfehlungen von Psychosozialen Prozessbegleiter*innen für die Praxis sowie Musterformulierungen usw. einen Beitrag leisten, für die oben geschilderten Herausforderungen optimal vorbereitet zu sein.
Außerdem soll ermöglicht werden, dass die anderen beteiligten Professionen am Strafverfahren für die Relevanz der entlastenden Unterstützung durch die Psychosoziale Prozessbegleitung ein besseres Verständnis erlangen. Denn letztendlich bedeutet die Psychosoziale Prozessbegleitung auch einen Mehrwert für die Polizei und Justiz im Sinne der eigenen Entlastung.
Kurzvitae der Autoren in eigenen Worten
Andrea Behrmann, Sozialwissenschaftlerin M. A., Dipl. Sozialpädagogin, Psychotherapeutin (HP), zertifizierte Psychosoziale Prozessbegleiterin (RWH). Seit 1994 Mitarbeiterin bei der Fachberatungsstelle Violetta für sexuelle missbrauchte Mädchen und junge Frauen. Langjährige Erfahrung in der Fort- und Weiterbildung psychosozialer Fachkräfte, Polizei und Justiz zu den Themen: sexualisierte Gewalt, Prävention und Intervention sowie zum Thema Psychosoziale Prozessbegleitung. Verschiedene Publikationen zum Thema kindliche Zeugen*innen. Von 2010 -2018 1. Vorsitzende des Bundesvereines Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. (BPP).
Klaus Riekenbrauk, Prof. Dr. jur., Rechtsanwalt und emeritierter Hochschullehrer an der Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkten Strafrecht, Jugendstrafrecht, Jugendhilferecht und Menschenrechte. Vorsitzender der Brücke Köln e.V., eines Trägers der freien Jugendstraffälligenhilfe. Publikationen u.a. zu „Strafrecht und Soziale Arbeit“, „Menschenrechte – Kompass der Sozialen Arbeit“, Datenschutz in den Institutionen der Resozialisierung und der Jugendhilfe und zu Fragen der Psychosozialen Prozessbegleitung.
Iris Stahlke, PD Dr. phil., Diplom-Psychologin. Privatdozentin und Universitätslektorin für Sozialpsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Wirtschaftspsychologie an der Universität Bremen; Publikationen u.a. zu Psychosozialer Prozessbegleitung und Gewalt in Teenagerbeziehungen. Forschungsprojekte u.a. zu Gewalt im öffentlichen Raum sowie zu Erfahrungen gewaltbetroffener Frauen mit dem Bremer Hilfesystem. Psychosoziale Prozessbegleiterin (RWH) in Niedersachsen; Gründungsmitglied Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. (BPP); 1. Vorsitzende Recht Würde Helfen – Institut für Opferschutz im Strafverfahren e.V. (RWH).
Gaby Temme, Dr., Juristin und Diplom-Kriminologin, Master of Peace Studies. Professorin für Recht, insbesondere Strafrecht, Jugendstrafrecht, Strafvollzugsrecht, Recht der Straffälligenhilfe und Kriminologie an der Hochschule Düsseldorf. Publikationen u.a. zu: Healthy Justice; Hat Strafrecht ein Geschlecht?; Täterinnen und/oder Opfer. Frauen in Gewaltstrukturen. Forschungsprojekte (Auswahl): ,Gefährliche’ ,kriminelle Energie’ im Rechtssystem; (Nicht-)Nutzen und Nutzung Sozialer Arbeit für Menschen mit Hafterfahrung; Psychosoziale Prozessbegleitung – Analyse der Gerichtsentscheidungen seit 01.01.2017.
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