Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit: Gibt es Lösungen?

Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit Leseprobe

Hintergründe und Problemdiagnosen zum Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit, Handlungsstrategien und professionspolitische Forderungen: Leseprobe aus Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit. Analysen, Bearbeitungsweisen und Handlungsstrategien von Julia Franz, Christian Spatscheck, Anne van Rießen (Hrsg.).

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Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit – Ausgangspunkte und leitende Fragestellungen Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit

Julia Franz, Christian Spatscheck und Anne van Rießen

 

Der Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit und die damit einhergehenden Gefahren der De-Professionalisierung und Aufweichung fachlicher Standards werden aktuell an unterschiedlichen Orten kontrovers diskutiert, sei es in den Handlungsfeldern und bei den Trägern, in den Studiengängen und Fakultäten, den Fachgesellschaften, den unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems, in Betriebsgruppen, Gewerkschaften und Nutzer:innenorganisationen sowie in Publikationen mit Bezug auf gesamtgesellschaftliche Dimensionen (vgl. etwa Fischer/Graßhoff 2020; Thole/Richter/Rätz 2019; Alsago/Meyer 2023; Meyer 2019; DGSA 2019; AGJ 2022; AWO 2023; Ehlert 2022; Otto 2018; Laub 2024; Spatscheck et al. 2024; Winker 2015).

Die an dieser Stelle nur kursorisch benennbaren zentralen Ursachen und Hintergründe für den wachsenden Bedarf an Fachkräften der Sozialen Arbeit sind vor allem die Ausweitung neuer Handlungsfelder, der wachsende gesellschaftliche Bedarf an Lösungen sozialer Problemlagen, neue Entwicklungsaufgaben sowie der Generationswechsel innerhalb der Berufsgruppe (Fischer/ Graßhoff 2020; Schneiders/Schönauer 2022; Bundesagentur für Arbeit 2023; Hickmann/Koneberg 2022). Zudem haben die Hochschulen in Deutschland in den letzten Jahren nicht genügend neue Fachkräfte ausgebildet, die Bundesländer wurden nicht ausreichend für die Planung und den Ausbau der Studienplätze tätig, es wird zunehmend auf eine Privatisierung der Studienangebote gesetzt (Meyer/Braches-Chyrek 2023; Klomann/Breuer-Nyhsen 2019; Otto 2018). Mittlerweile gehen die Bewerber:innenzahlen für Studienplätze insgesamt zurück, ein erneuter Anstieg in den kommenden Jahren erscheint ungewiss (Wiarda 2024). Hinzu kommt, dass Fachkräfte kürzer in der Sozialen Arbeit verweilen, in andere Bereiche abwandern und neue Erwartungen an Arbeitsbedingungen stellen (Eichinger 2020; Pfiffner/Matti 2021). Die Anerkennung von vergleichbaren Abschlüssen aus dem Ausland und die Integration geeigneter Quereinsteiger:innen sind nicht hinreichend geklärt und gut organisiert (Stanulla 2019), und das Potenzial der neu hinzugekommenen Masterabschlüsse ist noch nicht hinreichend auf dem Arbeitsmarkt eingetroffen (Spatscheck et al. 2024).

In der Sozialen Arbeit als Profession und Disziplin machen sich die Auswirkungen dieser Entwicklungen vor allem auf drei Ebenen bemerkbar: zum ersten in den Arbeitsverhältnissen der Fachkräfte und damit auch in den Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Ausgestaltung von Professionalität. Mitarbeiter:innen sind mit komplexer werdenden Praxisfeldern und einer Verdichtung von Aufgaben und Verantwortungen konfrontiert, gleichzeitig fehlen die nötigen Fachkräfte in den Teams. Dies führt zu neuen organisationalen Krisen und Konflikten, die unterschiedlich bearbeitet werden: z.B. durch betriebliche Organisierung und Arbeitskämpfe, neue Formen der Personalpolitik oder individualisierte Überlastungen und Kündigungen der Fachkräfte. Mitarbeiter: innen benötigen hier förderlichere Rahmenbedingungen, um ihren fachlichen Auftrag entlang der Anforderungen der Profession realisieren zu können. Fehlende und mangelhafte Rahmen- und Arbeitsbedingungen stehen der Qualität der Angebote zunehmend gegenüber.

Zum zweiten sind die Auswirkungen des Fachkräftemangels auch an den Hochschulen bemerkbar. Dort steigt der Druck, die Qualität in Forschung und Lehre auch unter schwindender Personaldecke, mit wachsenden Studierendenzahlen und zunehmenden Verwaltungsaufgaben fachlich zu sichern. Dabei besteht zudem die Herausforderung, den sich diversifizierenden und individualisierenden Ansprüchen und Konfliktlagen gerecht zu werden und gleichzeitig wissenschaftliche und berufspraktische Kompetenzen in sich stark wandelnden Feldern adäquat und hinreichend zu vermitteln. Durch eine stärkere Verlagerung von Studienplätzen an privatgewerbliche Hochschulen – mit der die Bundesländer Studienkosten an Studierende, Eltern und Arbeitgeber:innen outsourcen – geht einher, dass Marktdynamiken dazu einladen, die Qualität, die Bedingungen und die Freiheit von Forschung und Lehre zu unterlaufen. Für viele Forschende steigt der Druck, in prekären Verhältnissen zu arbeiten, mehr Drittmittelanträge in Förderlinien mit wachsender Zahl an Mitbeantragenden zu stellen, komplexer werdende Forschungsprojekte durchzuführen, diese umfangreicher zu dokumentieren und zu publizieren oder neue Aufgaben wie die Promotionsbegleitung bzw. die Schaffung von Transferformaten zu bewältigen. Für Studierende kommt die Herausforderung hinzu, stärker strukturierte Studiengänge in Einklang mit steigenden Lebenshaltungskosten, eigener Lohnarbeit und Sorgetätigkeit sowie persönlichen und gesellschaftlichen Krisen zu bringen und sich dabei dennoch Lern- und Entwicklungsorte zu erschließen und nutzen zu können.

Zum dritten wirkt sich der Fachkräftemangel auf die Verfügbarkeit von sozialen und bildungsbezogenen Angeboten und deren Infrastrukturen für die oft vulnerablen Adressat:innen der Sozialen Arbeit und die beteiligten gesellschaftlichen Systeme aus. Ein Fehlen von Fachkräften macht sich hier zunächst in längeren Warte- und Schließzeiten, geringeren oder höherschwelligen Zugängen, Unterversorgung oder geringer Nutzbarkeit, Unzuverlässigkeit von Angeboten, stärker schematisierten Formaten, fachlich unangemessener Konfliktbearbeitung sowie fehlenden Möglichkeiten von Partizipation, Innovation und Teilhabe bemerkbar. Auf organisationaler Ebene erhöht sich der Druck, fachliche Standards und Ansprüche in der Personalauswahl herabzustufen, weniger oder geringer qualifizierte Fachkräfte einzusetzen, mit Anbietern zu kooperieren, die fachlich geringere oder weniger verlässliche Qualität anbieten oder Adressat:innen abzuweisen, die nicht in das eingeschränktere Angebotsspektrum „passen“. Für die Infrastruktur der sozialen, bildungs- und gesundheitsbezogenen Daseinsvorsorge führen diese Entwicklungen zu Verlusten von Qualität, Vielfalt und Weiterentwicklung.

Gleichzeitig sind diese Dynamiken und das fachliche Feld des Fachkräftemangels noch relativ wenig erforscht und die vorliegenden Studien beziehen sich oft noch wenig systematisch auf die Entwicklungen. Die hier versammelten Beiträge widmen sich der systematischen Sichtung oder exemplarischen Bearbeitung dieser Leerstelle. Dies dient auch einer nötigen fachlichen Positionierung. Es geht zum einen um Hintergründe, Ursachen, Rahmenbedingungen oder Entwicklungsdynamiken des Fachkräftemangels. Hier werden das Ausmaß und die verschiedenen Dimensionen des Mangels an Fachkräften in spezifischen Handlungsfeldern und einzelnen Organisationen der Sozialen Arbeit sowie deren Auswirkungen auf die beteiligten und betroffenen Adressat:innen und Fachkräfte in stärkerer fachlicher Breite betrachtet. Zum anderen werden jenseits der Hintergründe auch die Folgen und Auswirkungen des Fachkräftemangels in der Sozialen Arbeit fokussiert, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Fachlichkeit und Professionalität, den Arbeitsbedingungen in Praxis, Lehre und Forschung und den dabei vorfindbaren Herausforderungen, Infrastrukturen und Rahmenbedingungen. Damit einhergehend werden spezifische Bearbeitungen in den jeweiligen Organisationen, den spezifischen Handlungsfeldern oder weitergehende Handlungsoptionen skizziert. Schließlich werden vorhandene und nötige Strategien und Bearbeitungsweisen für eine fachliche Bewältigung und Umgestaltung des Fachkräftemangels ausgelotet. Hier wird deutlich, welche Konflikte um Aufgabenverteilung und Vereinbarkeit verschiedener Anforderungen vorliegen, welche Bearbeitungsweisen und Strategien in unterschiedlichen Kontexten vorhanden sind und auf welchem Wege die Arbeitsbedingungen und die Qualität der Angebote verbessert und gesichert werden kann.

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Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit DGSA 150 pxJulia Franz, Christian Spatscheck, Anne van Rießen (Hrsg.):

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Die Herausgeber*innen

 

Über „Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit“

Der Fachkräftemangel und die damit einhergehenden Tendenzen der De-Professionalisierung und der Aufweichung fachlicher Standards werden aktuell in der Sozialen Arbeit an unterschiedlichen Orten kontrovers diskutiert. Der Band stellt Hintergründe und Problemdiagnosen zum Fachkräftemangel zusammen und zeigt Handlungsstrategien und professionspolitische Forderungen auf. Die Autor*innen betrachten dabei Beschäftigungsverhältnisse, Lehr-, Studien- und Forschungsbedingungen sowie die Verfasstheit der sozialen Angebots- und Infrastruktur.

 

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