Wie gelingt es der AfD, dass sich deren Unterstützer*innen bei einer für viele Menschen abstoßenden Partei wohlfühlen? Wir haben ein Interview mit Autor Florian Spissinger zu seinem Buch Die Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative Praktiken und Räume zum Wohlfühlen geführt, mit dem er den Budrich-Dissertationswettbewerb promotion 2023 gewonnen hat.
Interview zu „Die Gefühlsgemeinschaft der AfD“
Lieber Florian Spissinger, gerade ist Ihr Buch Die Gefühlsgemeinschaft der AfD erschienen, mit dem Sie den Budrich-Dissertationswettbewerb promotion 2023 gewonnen haben. Worum geht es darin?
Zwar warnen kritische Beobachter*innen etwa aus Journalismus und Forschung seit vielen Jahren vor der Politik der AfD, sie wird öffentlich unter anderem als rassistisch und anti-demokratisch kritisiert, und nicht zuletzt steht die Partei unter Rechtsextremismus-Verdacht durch den Verfassungsschutz. Doch überzeugte AfD-Anhänger*innen scheint dies weder nachdenklich zu machen noch wirkt es auf sie abstoßend. Wie ich durch ethnografische Beobachtungen und Gespräche bei AfD-Zusammenkünften feststellen konnte, ist die Partei für ihre Unterstützer*innen eine emotionale Heimat, ein politischer Ort zum Wohlfühlen, eine attraktive Gefühlsgemeinschaft. Mein Buch handelt davon, wie es der AfD gelingt, dass sich ihre Sympathisant*innen und Unterstützer*innen – auch in Anbetracht vehementer Kritik – gut fühlen und genau am richtigen Platz sehen.
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die AfD-Gemeinschaft moralisch entlastende, attraktive und ermächtigende Gefühlspositionen bereitstellt: Wer mitmacht, kann sich beispielsweise als Hoffnungsträger*in Deutschlands, als Zukunftsgestalter*in, als kritische Aufklärer*in, als Freiheitskämpfer*in, als wahre Naturschützer*in und dergleichen mehr fühlen. Solche (verdrehten) Rollen und Gefühlspositionen gehen damit einher, die politische Welt auf eine bestimmte Weise zu deuten und zu erleben. Ein Beispiel: Wer Kritik an der AfD als Ausdruck einer „linken Meinungsdiktatur“ einordnet, muss diese inhaltlich nicht ernst nehmen und kann sich zugleich selbst im „demokratischen Widerstand“ fühlen. Meine Arbeit zeigt anhand von verschiedenen Beispielen, wie die AfD das Selbstverständnis sowie das Erleben von Politik und Alltag ihrer Sympathisant*innen formt und festigt.
An wen richtet sich Ihre Publikation?
Als Dissertation zielt das Buch erstens auf ein akademisches Publikum: (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen und Studierende, die sich mit der gegenwärtigen Rechten beschäftigen bzw. dazu forschen. Zweitens ist die Arbeit sicherlich oder hoffentlich auch für Praktiker*innen, etwa in der Politischen Bildung und der Sozialen Arbeit von Interesse. Und drittens ist das Thema von grundsätzlicher gesellschaftlicher Relevanz und mein Buch soll daher auch eine breite interessierte Öffentlichkeit ansprechen.
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Dissertation gekommen?
Es gab nicht den einen Anlass, sondern eher verschiedene Anstöße, mich näher mit rechter Gefühlspolitik zu beschäftigen: Seminare im Master-Studium, rechte Wahlerfolge, Alltagsbeobachtungen rechter Normalisierung, wissenschaftliche Literatur usw. Bis mir aber klar wurde, dass ich mich auf das „rechte Wohlfühlen“ konzentrieren werde, war es ein weiter Weg. Anfangs hatte ich auch noch die – zu große – Idee verfolgt, die Gefühlspolitik der AfD stärker im Kontext von anderen Parteien und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen vor Ort zu untersuchen. Entscheidend für die genaue Themenfindung und für die Frage nach dem Wohlfühlen in der AfD-Gemeinschaft war letztlich meine Feldforschung. Hinzu kommt, dass ich auch einen Forschungsbedarf gesehen habe, insofern die ‚produktiven‘, ermutigenden, identitätsstiftenden und ermächtigenden Facetten neurechter Gefühlspolitik, um die sich meine Arbeit dreht, in Anbetracht der destruktiven, brutalen und ausgrenzenden Folgen oftmals aus dem Blick geraten.
Planen Sie, sich auch nach Ihrer Dissertation weiter mit Ihrem Thema zu beschäftigen?
So wie es aussieht, bleibt das Thema ja leider sehr relevant und wird mich nicht so schnell loslassen. Manche Einsicht aus meiner Forschung möchte ich anhand von anderem Material noch weiterdenken oder auch stärker mit Blick auf die sozialarbeiterische Praxis verfolgen. Außerdem ist es mir wichtig, dass die Erkenntnisse nicht nur (un)geduldig in Texten darauf warten, gelesen zu werden. Daher will ich vermehrt Vorträge halten sowie meine Forschung in die Lehre für Studierende der Sozialen Arbeit einfließen lassen.
Sie haben den Budrich-Dissertationswettbewerb promotion gewonnen. Was raten Sie anderen Nachwuchswissenschaftler*innen, die sich ebenfalls bewerben möchten?
Ich kann nur empfehlen, sich zu bewerben. Der Bewerbungsaufwand ist gering, es gibt nichts zu verlieren, jedoch viel zu gewinnen: die kostenlose Veröffentlichung mitsamt professioneller Unterstützung im Publikationsprozess. In meinem Fall war sogar das Timing perfekt. Ich hatte im April 2023 die Arbeit bei der Fakultät eingereicht, im November habe ich verteidigt und im Dezember bekam ich dann die Gewinnbenachrichtigung.
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Florian Spissinger:
Die Gefühlsgemeinschaft der AfD. Narrative Praktiken und Räume zum Wohlfühlen
promotion-Gewinner 2023
auch im Open Access verfügbar
Der Autor: Florian Spissinger
Florian Spissinger hat Soziale Arbeit (B.A.) an der DHBW Stuttgart (2009-2012) und Politikwissenschaft (M.A.) an der Universität Leipzig (2015-2018) studiert sowie dort anschließend im Fach Politikwissenschaft promoviert (2018-2023). Zwischen 2018 und 2021 erhielt er ein Promotionsstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zudem arbeitete er zwischen 2018 und 2021 an der Universität Leipzig, Institut für Politikwissenschaft im vom BMBF geförderten Forschungsprojekt „Fremde im eigenen Land? Eine Studie über die Veränderbarkeit nationaler Narrative mithilfe Politischer Laboratorien (PoliLab)“ (Leitung: Prof. Rebecca Pates, PhD & Dr. Julia Leser). Derzeit ist Spissinger als Sozialarbeiter, als Lehrbeauftragter für Soziale Arbeit und in der politischen Bildung tätig.
Über „Die Gefühlsgemeinschaft der AfD“
Wie gelingt es der AfD, dass sich deren Unterstützer*innen bei einer für viele Menschen abstoßenden Partei wohlfühlen? Florian Spissinger hat Vortragsveranstaltungen, Stammtische und Wahlkampfstände der AfD ethnografisch beobachtet und Gespräche vor Ort geführt. Sichtbar geworden ist eine neurechte Gefühlsgemeinschaft, an der kritische Einwände wirkungslos abprallen und für die sich die Ablehnung von Zuwanderung und Klimaschutz gut und clever anfühlt.
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© Foto Florian Spissinger: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com