„Demokratie von Anfang an“: Leseprobe

Leseprobe Schneider Jacobi-Kirst Demokratie von Anfang an

Wie kann Demokratiebildung im KiTa-Alter gelingen? Eine Leseprobe aus Demokratie von Anfang an. Partizipation leben in der KiTa von Armin Schneider und Carmen Jacobi-Kirst (Hrsg.).

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Demokratie von Anfang an: Einleitung

Armin Schneider und Carmen Jacobi-Kirst

Kinder, gerade in der frühen Kindheit, benötigen für eine gesunde Entwicklung Halt und Struktur in dem Sinne, dass sie eine sichere Umgebung brauchen, die ihnen ein exploratives Lernen, ein Ausprobieren und auch einen Rückzugsort ermöglichen. Dabei ist die Haltung der pädagogischen Fachkräfte ebenso wichtig wie die Strukturen in einem kompetenten System, zu dem auch Träger, Fachberatungen, Politik, Aus- und Fortbildungsstätten und viele andere gehören. Halt und Struktur ist ebenso für eine lebendige Demokratie und Partizipation im Feld der Kindertagesbetreuung wichtig, auch die dahintersteckenden Haltungen und Strukturen, die alltagsintegriert Demokratie erfahrbar machen.

Demokratie, und das sollte schon in der Kindertageseinrichtung deutlich werden, ist keine „Schönwetterveranstaltung“, in der Mächtige die Mitwirkungen „gewähren“, sondern eine, wie John Dewey es beschrieb „Lebensform“, die davon lebt, dass unterschiedliche Interessen selbstbestimmter Menschen miteinander diskursiv ausgehandelt werden, Perspektiven aller einfließen und ständig um bessere Lösungen gerungen wird. Dabei sind Konflikte eher die Regel als die Ausnahme, in einer freiheitlichen Demokratie liegen diesem Ringen gemeinsame Werte und Grundhaltungen (Toleranz, Menschenwürde, Minderheitenrechte, Pflichten gegenüber der Gemeinschaft) zugrunde, die eine gemeinsame Orientierung bieten. Zusammenhalt sieht J.-W. Müller nicht als zentralen Wert einer Demokratie: „Demokratie ist keine Konsensveranstaltung, sondern eine moralisch anspruchsvolle Methode zur friedlichen Konfliktbewältigung, bei der sich freie und gleiche Bürger am Ende bereitfinden, die Legitimität von Mehrheitsentscheidungen anzuerkennen“ (Müller, J. W. 2023: 8). Strukturen und Regelungen stellen sicher, dass demokratische Verfahren nicht von einzelnen Individuen und Gruppen für eigene Interessen ausgenutzt werden. Hierzu gehören z.B. unabhängige Gerichte, allgemeingültige Gesetze, Schutz und Unterstützung Schwächerer, Schutz der Privatsphäre, Gewaltenteilung, Gewaltmonopol des Staates. Was heute, zumindest in Mitteleuropa, weitgehend als selbstverständlich betrachtet wird, hat eine lange Geschichte und wurde in vielen Konflikten und Auseinandersetzungen erstritten und mühsam erkämpft. Dies heißt allerdings nicht, dass sich auch Formen und Möglichkeiten einer Demokratie nicht weiterentwickeln können und müssen. Gerade Entwicklungen wie Klimakrise, Digitalisierung und Globalisierung benötigen neue demokratische Antworten und Verfahrensweisen oder zumindest eine Anwendung vorhandener Instrumente auch im internationalen und transnationalen Kontext. Aber auch hier gelten demokratische Verfahren unter Achtung freiheitlicher und menschenwürdiger Werte als Weg zu neuen Formen und Verfahren.

Wenn es uns ernst ist mit der Demokratie, dann fängt diese nicht im Sozialkundeunterricht als abstraktes Thema zum Auswendiglernen an, sondern im Erleben in der frühen Kindheit, darin, dass meine Stimme Gehör findet, ich mich als selbstwirksam erlebe, meine Bedürfnisse und Bedarfe gesehen werden, ich mich als Teil eines großen Ganzen verstehen kann, von dem ich profitiere, aber das große Ganze sich auch auf mich verlassen kann. Die bloße Absicht ist dabei zu wenig, es bedarf einer demokratischen Haltung, die sich im Alltag beobachten und wahrnehmen lässt, in der frühen Kindheit und darüber hinaus. Solange Ängste vor der Abgabe von Macht in Kindertageseinrichtungen, solange Furcht vor Diskursen in den Schulen, solange „Ober sticht Unter“ in unseren Organisationen herrscht, solange müssen wir noch daran arbeiten, Demokratie als Lebensform lebendig werden zu lassen. Demokratie lebt von dem besseren Argument, vom Diskurs und von Entscheidungen, die selten alle zufriedenstellen.

Früh fördern meint auch, dass eine dezidierte Förderung notwendig ist. Viele aktuelle Entwicklungen zeigen auf, dass es, bei aller Wertschätzung und Ressourcenorientierung, Defizite und Fehlentwicklungen gibt, die sich nicht schönreden lassen, sondern einer Förderung der Demokratie und Partizipation bedürfen. Oft, und das war nicht nur in Zeiten der Covid-19-Pandemie zu beobachten, neigen Menschen gerade in schwierigen Situationen oder Zeiten dazu, in frühere Entwicklungsstufen zurückzufallen, im Sinne einer Regression. Und so manche schienen darüber froh zu sein, dass einfache (Covid-) Verordnungen einen autoritären Stil vorgaben und die Exekutive dadurch in den Vordergrund trat und auf einmal partizipative Strukturen in den Hintergrund gerieten. Sicher gibt es Notwendigkeiten, Regelungen durchzusetzen, aber es muss gerade auch in einer Demokratie möglich sein, Dinge wie z.B. die im Nachhinein unsinnige Verordnung aus dem Herbst 2020, auf Supermarktparkplätzen Masken zu tragen, zu hinterfragen und in einem Diskurs nach besseren Möglichkeiten zu suchen. Also: Förderung der Demokratie gerade in frühen Jahren tut not. Das bedeutet allerdings nicht, dass diese Förderung nur den Kindern zu Gute kommen muss, sondern in erster Linie geht es um das demokratische Handeln und die demokratische Haltung aller im „kompetenten System“ der Kindertagesbetreuung. Daher ist dieses Buch kein „Kinderbuch“, sondern ein Buch, dass dafür werben und Anleitungen dazu geben will, dass Erwachsene in allen Kontexten der Kindertagesbetreuung an ihrer eigenen demokratischen und partizipativen Haltung arbeiten, um die frühe Förderung überhaupt erst möglich zu machen.

Strukturen und Regelungen bieten Sicherheit und Orientierung, sie brauchen aber auch „Freiraum für alle Beteiligten, Freiraum zu eigener Entwicklung, zu eigenen Entscheidungen, zu neuen Ideen. Nur mit diesem Freiraum können neue Herausforderungen aktiv bearbeitet, neue Inhalte erarbeitet und neue Erkenntnisse gewonnen werden“ (Messinger und Pohlmann 2022: 37).

Wenn es heißt „Bildungspolitisch wird gefordert, in Kindertageseinrichtungen als erster außerfamiliärer Bildungseinrichtung Kinder auf ein Leben in Vielfalt, gegenseitiger Anerkennung und Selbstbestimmung vorzubereiten“ (Birnbacher und Durand 2021: 21) geht dies an der Vorstellung und Überzeugung vorbei, dass Kinder nicht erst auf ein Leben vorbereitet werden müssen, sondern leben und in diesem Leben eine Ernstnahme, wie jede andere Person auch, erfahren müssen. Es geht nicht darum, mit Kindern Leben quasi zu „spielen“, sondern ihnen altersadäquat Beteiligung, Demokratie zuzutrauen und zuzumuten. Treffender heißt es dann „Demokratie kann in Kindertageseinrichtungen – anders als in der Schule oder der Erwachsenenbildung – nicht gelehrt werden, sondern muss im Alltag für alle Beteiligten durch die Erfahrung von Zugehörigkeit in Vielfalt und die Möglichkeit von kindgerechter Beteiligung an den Prozessen in ihrer Lebenswelt erfahrbar sein. Kinder müssen demokratische Werte wie Anerkennung, Wertschätzung und Beteiligung auf unterschiedliche Weise erleben und sich selbst darin erproben können“ (a.a.O.: 24). Dies gilt im Übrigen auch für Jugendliche und Erwachsene auch in Schule und Erwachsenenbildung, denn auch dort ist die Lehre allein zu wenig!

In diesem Sammelband werden Erfahrungen und Beispiele vorgestellt, die Strukturen, Netzwerke und auch Haltungen betreffen, die im System der Kindertagesbetreuung zur frühen Förderung einer partizipativen und demokratieförderlichen Haltung beitragen. Ausgehend von den Beteiligten in der Kindertagesbetreuung und deren Perspektiven werden strukturelle Möglichkeiten in und außerhalb der Einrichtungen erörtert, die mit wenig Aufwand Partizipations- und Demokratiemöglichkeiten verstärken und fördern, wie z.B. den Kita-Beirat als Abbildung und Partizipation aller Beteiligten in einer Kita.

Dabei werden aktuelle Ergebnisse aus Forschungsprojekten des und im Umfeld des Institutes für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB) auf ihre praktische Relevanz hin vorgestellt.

Neben der klassischen Kita werden in diesem Band auch Themen des Übergangs zur Grundschule behandelt.

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3D Cover Demokratie von Anfang an 150 pxArmin Schneider, Carmen Jacobi-Kirst (Hrsg.):

Demokratie von Anfang an. Partizipation leben in der KiTa

Interview mt den Herausgeber*innen

 

 

 

Die Herausgeber*innen

Prof. Dr. Armin Schneider, Direktor des Instituts für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz, Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz

Carmen Jacobi-Kirst, M.A., pädagogische Mitarbeiterin des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz (Abteilung Kindertagesstätten) und Lehrbeauftragte an der Hochschule Koblenz

 

Über „Demokratie von Anfang an“

Die bloße Absicht und die interessantesten Methoden der Demokratiepädagogik können zwei wesentliche Voraussetzungen für eine lebendige Demokratie von Kindesbeinen an nicht ersetzen: Die eigene Haltung sowie Strukturen, die helfen, demokratische Überzeugungen auch umzusetzen und den Kindern in einer demokratischen Gesellschaft den nötigen Halt zu geben. Der Band stellt Erfahrungen und Beispiele vor, die Strukturen, Netzwerke und Haltungen betreffen, die in der Kindertagesbetreuung zur frühen Förderung einer partizipativen und demokratieförderlichen Haltung beitragen.

 

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