Beratung lernen in psychosozialen Arbeitsfeldern

Beushausen Beratung lernen 3A Leseprobe

Beratungskompetenz ist eine grundlegende Handlungsorientierung für alle psychosozialen Arbeitsfelder – doch dafür braucht es die nötigen Fähigkeiten, die erlernt und entwickelt werden müssen. Grundwissen sowie direkte Umsetzungsstrategien bietet der Band Beratung lernen. Grundlagen Psychosozialer Beratung und Sozialtherapie für Studium und Praxis von Jürgen Beushausen, frisch erschienen in der 3., aktualisierten Auflage. Eine Leseprobe.

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Beratung lernen: Einleitung

Psychosoziale Beratung und Sozialtherapie stehen in Zeiten wachsender Unsicher­heit und Unübersichtlichkeit in einer sich stetig verändernden Welt mit zunehmen­den Flexibilitätsanforderungen vor der Aufgabe, die alltägliche Lebensführung zu flankieren, Menschen in belastenden Situationen zu unterstützen, ohne ihnen die Verantwortung für ihr Handeln abzunehmen. Beratung wird so zu einer zentralen Hilfeform, die immer in die gesellschaftlichen Anforderungen ihrer Zeit eingebunden ist. Dabei wirken diese Hilfeformen unterstützend, präventiv, rehabilitativ, kurativ, informativ, heilend und entwicklungsfördernd.

Um Beratung und Sozialtherapie zu erlernen bzw. um Beratungskompetenzen zu erweitern, benötigen Studierende und Praktiker vielfältige persönliche und me­thodische Kompetenzen. Studierende und Praktiker erhalten daher in diesem Buch entsprechende praxisnahe Hilfestellungen für die Erweiterung ihrer Beratungskom­petenzen. Solch ein „Handwerk“ gründet auf wissenschaftlich begründete Theorien und bereitet Studierende und Praktiker auf einen Berufsalltag vor, in dem eine Ziel­orientierung des Handelns und die Orientierung an Effizienz bei Interesse an der Qualitätsentwicklung und -sicherung ständig präsent sind. Entscheidend für den Berufsalltag und -erfolg, sind neben den fachlichen und methodischen Kompetenzen die personalen Kompetenzen. Letztgenannte beinhalten Respekt, Wertschätzung und Akzeptanz gegenüber dem Klientel und die Fähigkeit, im Kontakt und der Begegnung (Buber 2023) professionell handeln zu können.

Der Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit der Reflexion einer angemessenen Modalität der Relationalität, die Entwicklung von Empathie und Respekt, anerkennende Wertschätzung, Ressourcenorientierung und die Einübung einer professionellen Distanz gehören zu den zu vermittelnden und zu übenden Kompetenzen. Weitere zu erlernende Kompetenzen sind die Fähig­keit zum Rollenhandeln und zum konzeptionellen Handeln. Zudem sind die Vermitt­lungs- und Vernetzungsfähigkeit und die angemessene Anwendung von Techniken zu lehren und zu lernen. Obwohl sich diese Fähigkeiten in einem Buch nur sehr begrenzt vermitteln lassen, soll versucht werden, möglichst viele dieser Kompetenzen berufs­nah zu vermitteln.

Das hier vorgestellte Konzept gründet im Wesentlichen zum einen auf die Integ­rative Therapie und zum anderen auf systemische Ansätze. Die Integrative Therapie geht „vom Leibe“, vom „reflexiven Leib-Subjekt“ aus“, wobei der Begriff Leib/Leib­lichkeit Körperliches, Seelisches und Geistiges umfasst (Petzold 2014). Solch eine Humantherapie nimmt den ganzen Menschen in den Blick und bezieht den sozialen und ökologischen Kontext ein. Er fördert den Menschen salutogeneseorientiert oder behandelt ihn, je nach Erfordernis, pathogeneseorientiert auf fünf Ebenen:

  1. körpertherapeutisch (zum Beispiel Sport-/Bewegungs-/Atemtherapie)
  2. psychotherapeutisch (erlebnis-/emotions-/kognitions-/volitionsorientiert)
  3. nootherapeutisch (Sinngespräch, Meditation, Achtsamkeit, Weisheitstherapie)
  4. soziotherapeutisch (Netzwerk-, Familientherapie/-beratung)
  5. ökotherapeutisch (Natur-, Garten-, tiergestützte Therapie)

Dieses umfassende Konzept gründet auf empirische Forschungen, wobei Verhaltens­auffälligkeiten, Gesundheit, Krankheit und die Ressourcen von Personen nicht mit eindimensionalen Erklärungsmodellen, linearen Ursache-Wirkungs-Bezügen und ohne eine historische Betrachtungsweise erfasst werden können. Um Erkenntnisfort­schritte im Verständnis der Entwicklung, Aufrechterhaltung und Veränderung kom­plexer Phänomene zu erreichen, sind multidisziplinäre Ansätze notwendig, in denen ein Problemgegenstand mit multiplen Perspektiven untersucht wird.

Den Begriff der Multiperspektivität im Rahmen einer integrativen Sichtweise führte Petzold bereits in den 1980er-Jahren ein (siehe z. B. Petzold 1993). Hierbei geht es um Polykontex­tualität, die nicht nur die quantitative Vervielfachung von Beobachterperspektiven meint, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass jede Beobachtung ihrerseits beobachtbar ist. Eine solche Analyse bietet die Möglichkeit, die jeweils theoretischen Zusammenhänge synchron als Facetten eines komplexen Geschehens zu betrach­ten. Dieser polytheoretische Diskurs benötigt auch eine Mehrdimensionalität in der theoretischen Betrachtungsweise (Petzold 1993). Eine einzelne Theorie oder Wis­senschaft kann einem umfassenden Gültigkeitsanspruch nicht genügen. Modelle der Beschreibung von Auffälligkeiten, Krankheit und Gesundheit betonen jeweils be­stimmte Aspekte und Lebensbereiche, sie sind unterschiedlich integrativ in der Ein­beziehung der einflussnehmenden Ebenen und Faktoren. Daher ist dieses Buch sehr umfassend angelegt und bezieht Aspekte verschiedener therapeutischer Ansätze ein.

Neben der Integrativen Therapie bilden der Konstruktivismus sowie die System­theorien die erkenntnistheoretischen Grundlagen des hier vorgestellten Beratungs­ansatzes. Wenn Wissenschaftler und Praktiker Ausdrücke wie „Wirklichkeit“ oder „Wahrheit“ verwenden, sind hiermit Aussagen gemeint, in denen sie unterstellen, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder einen allgemeinen Wahrheits­charakter haben. Dabei können nur Antworten gegeben werden, die in Übereinstim­mung heute für „wahr“ gehalten werden. Mit neuem Wissen werden „neue wahre“ Antworten und zugleich neue Wirklichkeiten konstruiert. Wirklichkeitserfahrungen bilden sich in komplexen, interaktionalen Konstitutionsprozessen zwischen Erken­nenden und Erkannten als Wechselwirkungen von Systemen. Vor dem Hintergrund dieses Ansatzes sind Beschreibungen und Diagnosen immer Unterscheidungen von Beobachtern, also soziale Konstruktionen. „Wirklichkeiten“ sind immer zeithisto­risch zu betrachten, sie müssen mit neuen Erkenntnissen relativiert werden.

Der Einsatz der hier verwendeten Methoden gründet sich auf Grundsätze bio­psychosozialer Arbeit, die im Folgenden zusammengefasst werden:

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Cover Jürgen Beushausen Beratung lernenJürgen Beushausen:

Beratung lernen. Grundlagen Psychosozialer Beratung und Sozialtherapie für Studium und Praxis

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Der Autor: Jürgen Beushausen

Jürgen Beushausen 2025Sehr gefreut habe ich mich 2021 über die Möglichkeit, nach meiner langjährigen praktischen Tätigkeit in der Suchtkrankenhilfe, in der Fortbildung von psychosozialen Fachkräften, in der Supervision und ab 2006 als Lehrender an einem Bachelorstudiengang der Sozialen Arbeit, nach meiner Berentung nochmals als Studiendekan an die Diploma Hochschule (Masterstudiengang Psychosoziale Beratung) wechseln zu können. Hier habe ich die Möglichkeit, meist berufserfahrenen Studierenden auch weiterhin Aspekte der psychosozialen Beratung zu vermitteln – weitere Informationen und Veröffentlichungen finden Sie auf meiner Webseite unter: https://juergenbeushausen.de.tl/.

Mein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt im Feld der Psychosozialen Traumatologie. Ein solcher Zugang bietet die Möglichkeit, neben der klassischen psychologischen/medizinischen Definition von Traumata, auch subjektive und soziale Aspekte aufzunehmen. So können Formen einer Traumatisierung fokussiert werden, die in den klinischen Diagnostikmanualen nicht ausreichend klassifiziert werden. Dies sind z.B. die Phänomene Rassismen, transgenerationale Weitergabe von Traumata, Traumata in der Arbeitswelt, sequenzielle Traumen und sekundäre Traumatisierungen. Solch ein übergreifendes Konzept eignet sich besser, um soziale Dimensionen zu integrieren und damit auch in der Folge eine bessere Zusammenarbeit verschiedener Professionen zu ermöglichen. Es stellt zugleich die aktuelle Selektion in eine Traumatherapie, der Traumapädagogik und der Traumaberatung infrage und plädiert stattdessen für eine integrative Perspektive.

 

Über „Beratung lernen“

Das Lehrbuch bietet eine umfassende Einführung in integrative und systemische Beratungskonzepte, um praxisnah die eigenen Beratungskompetenzen zu entwickeln und zu erweitern. Durch den einleitenden Teil bietet der Band einen theoriegeleiteten Einstieg in die Beratung und verfestigt diesen mit Hilfe verschiedener Arbeitsmaterialien. Beratungskompetenz ist eine grundlegende Handlungsorientierung für alle psychosozialen Arbeitsfelder – das Buch liefert das Grundwissen sowie direkte Umsetzungsstrategien, um die nötigen Fähigkeiten zu entwickeln und diese angemessen und kompetent anzuwenden. Beigefügte Reflexionsbögen, Seminarfragen und Arbeitsblätter komplettieren das Handwerkszeug.

 

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© Foto Jürgen Beushausen: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com