„Die Sprache der Stadt”: 5 Fragen an Herausgeber Markus Baum

 

 

Über das Buch

Die Sprache der Stadt widmet sich dem Potential kreativen Ausdrucks, das die Auseinandersetzung mit städtischer Architektur mittels zeitgenössischer (digitaler) Technologien bietet, und dem gesellschaftlichen Kontext neoliberaler Bereicherungsökonomie und Stadtpolitik, der dieses Potential aufgrund der kommerzialisierten Präsentation von Architektur zu unterminieren droht. Neben wissenschaftlichen Auseinandersetzungen werden ästhetische Interventionen im Medium der Fotografie, Malerei und Musik vollzogen.

 

Kurzvita von Markus Baum in eigenen Worten

Markus Baum, Dr. Promotion 2016 am Institut für Politische Wissenschaft, RWTH Aachen University. Ab 2011 Lehrtätigkeit an der RWTH Aachen University (Institut für Soziologie sowie Institut für Politische Wissenschaft), seit 2018 an der Katholischen Hochschule NRW (katho), Abt. Aachen. Seit 2020 Gründungsmitglied am Zentrum für Antisemitismus- und Rassismusstudien (katho). 2018-2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration der Stadt Aachen. Seit 2003 diverse Tätigkeiten in Jugend-, Kultur- und sozialpolitisch engagierten Vereinen in Mönchengladbach und Aachen. Seit 2018 Mitglied im Neuen Aachener Kunstverein.

Ausstellungen eigener Arbeiten:

2021: Die Sprache der Stadt – Architektur zwischen normalisierten Blicken und ästhetischer Subjektivität, Oktober 2021, Raststätte Aachen.
2019: NAK Benefiz-Auktion, Dezember 2019 , Neuer Aachener Kunstverein
2019: Gruppenausstellung „Schwarz und Weiß“ Oktober 2019, Gravieranstalt Aachen

Veröffentlichungen: Zu einer Kritischen Gesellschaftstheorie der Kommunikation. Erfahrungsarmut und der Ausschluss von Ästhetik und Hermeneutik im Werke Habermas’ (Wiesbaden 2018). Rechte Verhältnisse in Hochschule und Gesellschaft – Rassismus, Rechtspopulismus und Extreme Rechte zum Thema machen (Opladen/Berlin 2021, Hg. mit Julia Breidung, Martin Spetsmann-Kunkel).

 

Lieber Markus Baum, „Die Sprache der Stadt“ – was für eine Publikation verbirgt sich hinter dem Titel?

„Die Sprache der Stadt“ ist ein Bild- und Sammelband, der auf eine von mir organisierte und kuratierte Ausstellung und Vortragsreihe mit demselben Titel im Oktober 2021 zurückgeht. Der Band enthält verschiedene Arbeiten der Künstler*innen sowie wissenschaftliche Artikel und philosophische Essays. Allesamt widmen sich dem Potential kreativen Ausdrucks, das die Auseinandersetzung mit Architektur mittels zeitgenössischer digitaler Technologien bietet, und dem gesellschaftlichen Kontext neoliberaler Bereicherungsökonomie und Stadtpolitik, der dieses Potential aufgrund der kommerzialisierten Präsentation von Architektur zu unterminieren droht. Entlang der Pole der Ästhetisierung und der normalisierenden Kapitalisierung entfalten und diskutieren Beiträge und Arbeiten die Erfahrung, Gestaltung, An- und Enteignung von urbanen Räumen, ohne die symbolische auf die materielle Ordnung zu reduzieren und vice versa. Somit schreiben sie sich in unterschiedliche wissenschaftliche Debatten zur Stadt- und Techniksoziologie, zur Ästhetischen Theorie und zur Sozial- und Kulturgeographie ein.

 

Mit der Veröffentlichung des Sammelbands verbunden sind Fotografien, Musik, eine Ausstellung. Wie kam es zu diesem Konzept? Wie integrieren Sie und die Autor*innen die unterschiedlichen Elemente?

Das Konzept geht auf meinen eigenen Bildungsprozess zurück, in dem ich mich seit Langem intensiv mit der Beziehung verschiedener Ausdruckformen auseinandergesetzt habe. Dabei treibt mich die Frage um, inwiefern Wissenschaft, Philosophie und Kunst kategorisch verschiedene Zugänge zur Welt bereitstellen und wie diese Zugänge in einen stimmigen Dialog gebracht werden können.
Formal gesehen, können die Beiträge und Arbeiten dementsprechend für sich allein stehen. Die Integration im Band geschieht jedoch über ihre Themensetzung: Durch die Zusammenstellung von Essays und Fachartikeln sowie verschiedener Arbeiten unterschiedlicher Künstler*innen werden in den Medien Sprache, Bild und Ton und in Form von Texten, Fotografien, Malerei, Gestaltung und Musik Interventionen wider kulturelle Nivellierungsprozesse und postfordistische Bereicherungsökonomie vollzogen. Die Beiträge opponieren für eine lebenswerte Stadt für alle und thematisierten utopische und dystopische Momente der Beziehung von Stadt, Wohnen und Kultur in harmonischer bis dissonanter Form. Im wechselseitigen Zusammenspiel öffnen sie gemeinsam einen ganz eigenständigen Erfahrungsraum.

 

Entstammt Ihr Konzept einer bestimmten Motivation?

Gewiss. Die institutionalisierte Differenzierung von Wissenschaft, Philosophie und Kunst begreife ich nicht allein als Gewinn an argumentativer Schärfe und Präzision der an Standards orientierten Forschung, sondern zugleich (dialektisch) als einen Verlust von Erfahrungsqualitäten.

Was meine ich damit? Unsere Bezogenheit auf die Welt ist reich an Eindrücken und Empfindungen, die – wenn es gut geht und Psyche und Gesellschaft nicht zu zerrüttet sind – wir als zusammenhängend erfahren. Das trifft auch auf Stadt und Architektur zu: Wenn wir uns durch urbane Räume bewegen, nehmen wir verschiedene Facetten und Aspekte davon in ein und demselben Moment war. In der Forschung wird diese Wahrnehmung dann jedoch zerrissen, da beim Versuch, das eigene Erleben zu reflektieren und wissenschaftlich aufzuarbeiten, spezifische Standards erfüllt werden müssen, die wiederum bestimmte Aspekte der Erfahrung abspalten. Mit Walter Benjamin lässt sich hier von Erfahrungsarmut sprechen.

Das merkt man, um etwas konkreter zu werden, immer dann, wenn man versucht, Beiträge in Fachzeitschriften zu publizieren: Wenn Sie in soziologischen Foren zu künstlerisch agieren und zu spekulativ philosophieren, dann haben sie schlechte Karten und können davon ausgehen, dass der Beitrag nicht angenommen wird – obwohl die verschiedenen Facetten von Erfahrung und Wahrnehmung, denen sie eigentlich nachspüren wollen, zusammengehören und in verschiedenen, ihnen eigenen Perspektiven thematisiert werden müssen.
Der Band gibt mir die Möglichkeit, die sonst allzu disparat behandelten Erfahrungsqualitäten und Perspektiven zumindest ein Stück weit zusammenführen.

 

Sie schreiben nach Hamm/Neumann 1996 „Architektur ist Strukturierungsmoment sozialer Interaktion“, gleichzeitig verweisen Sie darauf, dass Stadt ein „eigenständiges relationales Geflecht aus Subjekten und Objekten” (S. 14) ist. Inwiefern wird unsere Wahrnehmung von Städten durch Architektur geprägt?

In einer an der (architektonischen und philosophischen) Moderne orientierten Perspektive lässt sich sagen, dass unsere Wahrnehmung von Städten der funktionalen Differenzierung des Raumes folgt. Architektur reflektiert diese funktionale Differenzierung von öffentlichen und privaten, profanen oder sakralen Räumen, von Wohn-, Produktions- oder Kulturorten, die sich am baulichen Stil ablesen lässt. Derart bildet Architektur den Hintergrund der in den jeweiligen Räumen akzeptierten Verhaltensweisen und Interaktionsformen. Salopp gesagt: Wir wissen, dass spezifische städtische Orte verschiedener Funktionen dienen und dementsprechend verteilt sind (Industriegebiete liegen am Rande der Stadt, Rathaus und Markplatz im Zentrum usw.), und wir merken am baulichen Stil, wo wir uns befinden und wie wir uns zu verhalten haben.

In einer an der Postmoderne orientierten Perspektive lässt sich hinzufügen, dass urbane Räume zunehmend mit einer ästhetischen Komponente versehen wurden. Da Konsum seit den späten 1970er Jahren gesamtgesellschaftlich mehr in den Fokus rückt, müssen urbanen Räume als kommerzialisierbare Erlebniswelten gestalten werden. Architektur kann zu diesem Zwecke genutzt werden, denn sie oszilliert zwischen Materialität und Symbolhaftigkeit, Inhalt und Form, Funktionalität und Ästhetik und stellt das Resultat einer Praxis dar, die Technik, Ökonomie und Politik, aber auch Kunst synthetisiert. Dementsprechend lassen sich Formen und Materialien (der Fassade, des Dachs, der Türen und Fenster etc.) von Architektur als Symbole begreifen, insofern sie auf spezifische Sinn- und Bedeutungsgehalte verweise und ein Lebensgefühl vermitteln sollen. Viele von uns kennen sicherlich aufgehübschte großflächige Einkaufszentren, auf denen über mehrere Etagen geschwungene und glänzende Verzierungen den Weg leiten, oder Sauna- und Badelandschaften, in denen Palmen und Bambushütten ein trophisches Gefühl vermitteln sollen.

Die Grenzziehung zwischen Moderne und Postmoderne ist vielleicht zu strikt und impliziert eine zu harsche Wertung, aber sie mag helfen, zum einen historische Phasen der Wahrnehmung und des Verständnisses urbaner Räume, zum anderen bestimmte Stilmittel der Gestaltung urbaner Räume zu unterscheiden. Denn auch unser Blick, d.h. die Art und Weise, wie wir sehen, weist einen historischen Index auf und steht in Beziehung zu gesellschaftlichen Strukturen sowie zu architektonischen Formen und Stilen.

 

Welchen Einfluss haben digitale Medien – insbesondere Social Media – auf unsere Stadtwahrnehmung?

Mein Eindruck ist, dass die soziale Realität grundlegend ebenfalls von digitalen Medien und Infrastrukturen konstituiert wird. Die soziale Realität wird demnach im Digitalen nicht allein abgebildet. Vielmehr produzieren digitalen Medien und Infrastrukturen soziale Realität mit.

Im Kontext der Aufmerksamkeitsökonomie hebt die Bereitstellung von Bildern in Sozialen Medien sowie deren Bewertung durch soziale Praktiken (Liken, Kommentieren, Sharen usw.) bestimmte Aspekte des urbanen Raumes besonders hervor, blendet andere jedoch aus. Dementsprechend lassen sich diese Bilder als normative Aussagen begreifen, die spezifische urbane Räume positiv bewerten. Das auf diesem Wege generierte Bild ist konstitutiver Teil der sozialen Realität von Städten. Denn über Rückkopplungsspiralen nehmen digitale Bilder Einfluss auf die soziale Realität und prägen sowohl das Bildgedächtnis als auch die visuelle Wahrnehmung von uns massiv.

Unser Sinn und Blick für Städte erhält auf diesem Wege eine bestimmte Richtung, der wir dann folgen. Denn wohin wir gehen, was wir an städtischen Orten überhaupt wahrnehmen und wie wir es wahrnehmen, ist (auch) von denjenigen Bildern strukturiert, die wir in Sozialen Medien konsumieren. Ein interessanter Effekt, den man u. U. bei sich selbst wahrnehmen kann, ist, dass man nicht allein gern die Orte besichtig, die man bereits online gesehen hat. Vielmehr noch will man die Orte genau in derselben Weise sehen, wie sie bspw. in Sozialen Medien präsentiert werden. Das erklärt auch, wieso von besonders prestigeträchtigen Gebäuden so viele sich ähnelnde Bilder im digitalen Raum existieren.

 

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Die Sprache der Stadt. Architektur- und urbane Raumbilder zwischen ästhetischer Subjektivierung und normalisierender Kommerzialisierung

herausgegeben von Markus Baum

Reihe: Schriften der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Band 39