„Wir wollen den politikwissenschaftlichen und politischen ,Mainstream‘ kritisch hinterfragen.“ – Interview mit Mitherausgeberin Petra Ahrens zur Zeitschrift „Femina Politica”

Wie ist die Beitragsauswahl bei der Zeitschrift Femina Politica strukturiert und organisiert? Worauf legt die Redaktion bei eingereichten Beiträgen besonderen Wert? Wir haben mit Petra Ahrens, Mitherausgeberin der Zeitschrift, gesprochen.

 

Über die Zeitschrift Femina Politica

Kritischem Denken Raum zu geben – das ist der Anspruch der Femina Politica, der einzigen deutschsprachigen Fachzeitschrift für feministische Politik und Politikwissenschaft. Seit 1997 analysiert und kommentiert die Zeitschrift politikwissenschaftliche und aktuelle politische Themen, berichtet über Forschungsergebnisse und Hochschulpolitik, Projekte und Neuerscheinungen.

 

Liebe Petra Ahrens, womit befasst sich die Zeitschrift Femina Politica thematisch?

„Kritischem Denken Raum geben“ – das ist seit jeher der Anspruch der Femina Politica und die Redaktion versucht diesem in vielerlei Form Rechnung zu tragen. Wir sind die einzige deutschsprachige Fachzeitschrift für feministische Politik und Politikwissenschaft und sind am gesamten Spektrum der Forschung (inklusive interdisziplinärer Ansätze) dazu interessiert. Wir wollen damit neben politikwissenschaftlichen Forscher*innen auch geschlechter­­politisch Engagierte und feministisch Aktive erreichen. Wir wollen den politikwissenschaftlichen und politischen „Mainstream“ kritisch hinterfragen, politikwissenschaftliche Theorien, Methoden und Fragestellungen (re)konzeptualisieren und dabei auch feministische Ansätze weiterentwickeln. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtverhältnissen und sozialen Ungleichheitsstrukturen.

 

Welche Rolle und Aufgaben haben Sie innerhalb des Herausgeberinnen-Kreises inne? Seit wann sind Sie dabei, welche Bereiche betreuen Sie etc.?

Aktuell bin ich für die Kommunikation mit dem Verlag zuständig und betreue zudem die Rubrik Lehre und Forschung. Allerdings würde ich diese Frage vermutlich in sechs Monaten anders beantworten, da wir ein permanentes Rotationssystem haben. Die Redaktion der Femina Politica ist nicht hierarchisch organisiert, alle haben die gleichen Rechte – und Pflichten. Das heißt, dass die Zuständigkeiten für die verschiedenen Rubriken – Schwerpunkt­­thema, Forum, Lehre und Forschung, Tagespolitik, Rezensionen – mit jedem Heft wechseln (können). Mit jedem neuen Heft werden Rubriken nach Interessenlage und Kapazität neu verteilt. Zu den Rubriken hinzu kommt als Aufgabe die so genannte Heftverantwortung, das sind zwei Personen, die dafür zuständig sind, dass das nächste Heft in Zusammenarbeit mit Autor*innen und Verlag fehlerfrei erscheint. Dann gibt es weitere kleinere laufende Aufgaben wie z.B. unsere eigene website, Twitter, Facebook u.ä. und einige Redaktionsmitglieder setzen aus verschiedenen Gründen manchmal für ein Heft aus.

Ich bin seit 2014 dabei und habe seitdem schon jede Rubrik mehrfach betreut und unter anderem zwei Schwerpunkthefte inhaltlich verantwortet. Der beständige Wechsel ist hilfreich, weil dadurch die ehrenamtliche Redaktionsarbeit spannend bleibt und ich, je nach anderen Aufgaben, die ich in meiner eigentlichen Anstellung an der Tampere Universität (Finnland) habe, meinen Aufwand variieren kann.

 

Wie ist die Beitragsauswahl bei der Femina Politica strukturiert und organisiert? Worauf legen Sie und die Redaktion/Herausgeberinnen bei eingereichten Beiträgen besonderen Wert?

Die Femina Politica veröffentlicht halbjährlich einen Call for Papers zu einem Schwerpunkt­­thema, das nach einem double-blind-peer-review-Verfahren abläuft. Das bedeutet, Autor*innen reichen einen Abstract für einen Beitrag ein, die Schwerpunktverantwortlichen laden aus allen Abstracts Manuskripteinreichungen ein. Die Auswahl erfolgt anhand von Kriterien wie Passgenauigkeit zum Schwerpunktthema, Originalität, politikwissenschaftliche (bzw. ggf. interdisziplinäre) Fragestellung und Qualität des Abstracts. Aspekte wie Karrierestatus, Alter, oder Anstellung an einer Forschungsinstitution sind keine Kriterien, allerdings versteht sich die Femina Politica als feministische Fachzeitschrift und fördert daher insbesondere wissenschaftliche Arbeiten von Frauen inner- und außerhalb der Hochschule. Deshalb werden inhaltlich qualifizierte Abstracts von Frauen bevorzugt.

Für die eingeladenen Manuskripte wird dann ein externes Gutachten und eines aus der Redaktion eingeholt. Die Manuskripte werden in diesem Prozess anonymisiert: Externe Gutachter*innen wissen nicht, wer den Beitrag geschrieben hat, Autor*innen wissen nicht, wer die Gutachten geschrieben hat. Anhand der Gutachten werden Beiträge dann entweder angenommen, zur Überarbeitung zugelassen oder abgelehnt.

In der Rubrik Forum können jederzeit Beiträge eingereicht werden, über deren Publikation Redaktionsmitglieder entscheiden, d.h. es gibt keine externe Begutachtung. Im Forum werden gelegentlich auch kleinere, zusätzliche inhaltliche Schwerpunkte zu akuten politischen Themen veröffentlicht. Für diese wird ggf. kurzfristig ein Call for Paper veröffentlicht, bzw. werden gezielt Autor*innen angesprochen.

In den weiteren Rubriken Tagespolitik, Lehre und Forschung, Rezensionen werden entweder Themen (bzw. Bücher) extern an uns als Redaktion herangetragen und/oder die Redaktion wählt Themen aus, für die dann Autor*innen angefragt werden.

 

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage und die Zukunft von wissenschaftlichen Zeitschriften? Wo sehen Sie hierbei die Femina Politica?

Publizieren ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einem Anstellungskriterium geworden, wobei die Rolle von Fachzeitschriften vom jeweiligen Wissenschaftskontext geprägt wird. Im anglophonen Wissenschaftsbetrieb und beispielsweise auch in den Niederlanden zählen quasi nur begutachtete Beiträge in indizierten Fachzeitschriften oder Monographien in internationalen Publikationshäusern, alles andere wird nicht in Bewertungen einbezogen. In Deutschland wiederum sind Bücher und Buchbeiträge (noch) akzeptiert und – wie z.B. in Frankreich, Finnland, Italien oder Polen – auch Publikationen in der eigenen Sprache, also nicht in Englisch.

Was sich aber in den letzten Jahren, insbesondere auf Druck von Förderinstitutionen wie der Europäischen Union, auch ändert, ist die Anforderung, Forschungsergebnisse allgemein zugänglich zu machen, also Open Acess zu veröffentlichen. Ich persönlich finde die Grundidee – alle Interessierten haben Zugang unabhängig von ihrem Kontext – gut, sehe aber auch viele kritische Aspekte. So bewegt sich bei den meisten Zeitschriften die Open Access-Gebühr im unteren vierstelligen Bereich und ist damit – angesichts oft knapper Mittel an Universitäten – oft nicht finanzierbar, insbesondere, wenn viel publiziert wird. Das schließt somit alle Wissenschaftler*innen, die keine entsprechenden institutionellen Ressourcen haben, aus, was mehr auf den Globalen Süden als den Globalen Norden zutrifft. Dadurch werden bestehende Ungleichheiten verschärft.

In diesem Kontext versucht meiner Meinung nach die Femina Politica einen Spagat: Der Schwerpunkt ist seit einigen Jahren begutachtet, die anderen Rubriken sind aber offener gestaltet und bieten zusätzliche Publikationsmöglichkeiten. Davon profitieren neben Wissenschaftler*innen (vor allem jene, die zum ersten Mal publizieren) alle, die wissenschaftlich publizieren wollen. Wir sprechen damit also ein größeres Autor*innenpotenzial an. Den Druck zu mehr peer review und zu Open Access spüren wir auch. Mit unserem Verlag Barbara Budrich haben wir aber für letzteres eine, wie ich finde, gute Lösung gefunden: Alle Femina Politica-Beiträge sind nach 24 Monaten frei zugänglich.

Die Femina Politica unterscheidet sich auch in anderer Weise von vielen (internationalen) Zeitschriften, die oft eine finanzierte Redaktionsassistenz für Routineaufgaben haben. Unsere gesamte Redaktionsarbeit zur Hefterstellung beruht auf ehrenamtlicher Arbeit und dem Willen der Redaktionsmitglieder, regelmäßig ein Heft zu veröffentlichen. Dass sich das dauerhaft in einem fortschreitend neoliberalisierten Wissenschaftsbetrieb gewährleisten lässt, erfordert viel Engagement und eine fortlaufende Anpassung der redaktionellen Zusammenarbeit.

 

Welche Rolle spielt das Thema Open Access innerhalb des Herausgeberinnen-Kreises und der Redaktion?

Mit dem generellen Open Access nach 24 Monaten sind wir bei der Femina Politica vielen internationalen Zeitschriften voraus. Aber natürlich diskutieren wir immer wieder darüber, ob das ausreicht oder wie wir den Zugang verbessern können. Bei der Femina Politica gibt es auch die Möglichkeit einen ‚Gold Open Access‘, d.h. sofortigen Open Access nach Zahlung einer Gebühr zu gewährleisten, wobei diese mit 399 € deutlich unter den im internationalen Bereich üblichen Sätzen liegt. Das Problem mangelnder Ressourcen für Autor*innen ist damit nicht gelöst.

 

Kurzvita von Petra Ahrens in eigenen Worten

Portraitfoto von Petra AhrensAktuell bin ich an der Tampere Universität, Finnland, angestellt mit meinem über die Academy of Finland (vergleichbar zur DFG) geförderten fünfjährigen Forschungsprojekt „On the road to gender-sensitive parliaments? Gender Equality and Democratic Practices in the Finnish, German, and Polish Parliament Compared“ (GSParls). Ursprünglich habe ich an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und dort auch 2014 zu gleichstellungspolitischen Politikprogrammen der Europäischen Union promoviert. Anschließend war ich dort als Postdoc angestellt, habe in der Zeit ein prestigeträchtiges Marie-Sklodowska-Curie-Fellowship zum Thema „Effects of Institutional Change on Participatory Democracy and the Involvement of Civil Society Organisations“ (DemocInChange) eingeworden und bin damit 2017-2018 an die Universität Antwerpen, Belgien, gewechselt. Dort hatte ich 2018-2019 eine Gastprofessur für Gender, Diversity und vergleichende Politikwissenschaft in Teilzeit inne. Parallel begann ich Anfang 2019 als Senior Researcher im ERC-geförderten Forschungsprojekt „Gender, party politics and democracy in Europe: A study of European Parliament’s party groups“ (EUGenDem) an der Tampere Universität. Im Sommersemester 2021 unterbrach ich die Stelle für eine Gastprofessur an der Freien Universität Berlin, erhielt aber währenddessen die Zusage für mein aktuelles Forschungsprojekt, das ich im September 2021 begann.

 

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© Foto Petra Ahrens: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com