„Wichtige Orientierungen auf dem Weg in eine fehlerprofessionelle Praxis“ – Interview mit den Herausgeber*innen von „Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit”

Cover "Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit"

Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit
Orientierungshilfen auf dem Weg zu einer fehlerreflektierten Professionalität

von Jürgen Beushausen, Kirsten Rusert und Martin Stummbaum (Hrsg.)

 

Über das Buch

„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage…“ Beipackzettel sind in der Medizin üblich, aber auch in der Sozialen Arbeit muss mit Risiken, Fehlern und Nebenwirkungen gerechnet werden. Viele soziale Situationen und Entscheidungen weisen Ambivalenzen auf und sind nicht plan- und steuerbar. Studierende und Berufseinsteiger in den sozialen Berufen kennen die Handlungsmöglichkeiten und Maßnahmen, sind mit Fehlern und Widerständen in der Praxis aber oft überfordert. Das Buch versammelt unterschiedliche Ansätze zu einem produktiven Umgang mit Fehlern und trägt damit zur Entwicklung einer selbstkritischen und reflektierten Professionalität in der Sozialen Arbeit bei.

 

Liebe Herausgeber*innen, worum geht es in Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit?

Als Anthologie ausgewählter Texte möchte die vorliegende Publikation die Leser*innen einladen, sich mit Fehlerverständnissen und Fehlerkulturen in der Praxis der Sozialen Arbeit zu befassen. Die vier Abschnitte der Publikation verstehen sich als Orientierungshilfen auf dem Weg zu einer fehlerreflektierenden Professionalität in der Sozialen Arbeit. Im ersten Abschnitt erfolgt eine Annäherung an und Diskussion von Fehlern und Fehlerkulturen in bezugswissenschaftlichen Kontexten. Der zweite Abschnitt diskutiert Fehlervorstellungen und Fehlerkulturen in Zugängen bzw. theoretische Verortungen der Sozialen Arbeit. Im dritten Abschnitt werden Ansätze, Ent­wicklungen und Projekte hinsichtlich einer Fehlerkultur in der Sozialen Arbeit referiert und diskutiert. Im vierten Abschnitt werden Ansätze und Schritte der Fundierung, Realisierung und Etablierung einer Fehlerkultur vorgestellt und Transferperspektiven in die Praxis der Sozialen Arbeit diskutiert.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch herauszugeben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Den Stein des Anstoßes gab die gemeinsame Lehrtätigkeit der Herausgeber*innen an der Hochschule Emden/Leer, bei der sich aus drei unterschiedlichen Zugängen professionelle Blindflecken und Vernachlässigungen im Umgang mit Fehlern in der Sozialen Arbeit erkennen ließen.

Jürgen Beushausen brachte ein Werbespot für ein Medikament auf die Frage, warum es den Pflichthinweis zu Risiken und Nebenwirkungen nicht auch für Angebote und Leistungen der Sozialen Arbeit gibt. Seither beschäftigt er sich in seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit mit Fehlern, Risiken und Nebenwirkungen der Sozialen Arbeit.

Für Kirsten Rusert entstand die Frage nach dem Umgang mit Fehlern in der Sozialen Arbeit aus ihrer Tätigkeit als Mediatorin. Dabei zeigte sich, dass Teams und Organisationen mit einer professionellen Fehlerkultur „besser“ mit Fehlern umgehen können.

In zwei Studien von Martin Stummbaum zur Praxis der Sozialen Arbeit offenbarte sich, dass im methodischen Handeln von Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen Fragen zum Verständnis und zum Umgang mit Fehlern professionell vernachlässigt werden und ihre Beantwortung lediglich subjektiv und unter Verweis auf Dritte wie dem Strafrecht erfolgen. Die beiden Studien veranlassten die Studie „Fehler(kultur)verständnisse im Praxishandeln in der Sozialen Arbeit“, die die empirische Basis für die Publikation darstellt.

 

Welchen Herausforderungen stehen Studierende und Berufseinsteiger*innen in der Sozialen Arbeit auf dem Weg zu einer fehlerreflektierten Professionalität gegenüber?

„Shit, schon wieder einen Fehler gemacht. Der fünfte Aspekt kam wieder zu kurz […] Im Studium war klar, was ein Fehler ist. Aber jetzt in meiner Praxis lässt sich das nicht so einfach sagen, was ein Fehler ist. Es läuft laufend etwas schief, aber sind das gleich Fehler, wenn es sich irgendwie ausgeht und den Klient[*inn]en geholfen wird.“

Dieses Zitat einer Sozialarbeiter*in aus der Einleitung der vorliegenden Publikation verdeutlicht die Herausforderungen (nicht nur) für Studierende und Berufseinsteiger*innen (in) der Sozialen Arbeit. In dieser geschilderten Unsicherheit besteht die Gefahr, dass Fehler übersehen und nicht angemessen thematisiert werden und im Falle des Bekannt- und Öffentlichwerdens verkürzt als Versagen einzelner Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen bewertet und behandelt werden. Soziale Arbeit nimmt sich damit die Chance und Notwendigkeit, aus Fehlern zu lernen und ihre Professionalität fehlerreflektiert (weiter) zu entwickeln.

Die Publikation „Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit“ vermittelt grundlegende Zugänge einer Diskussion und Reflexion von Fehlern und gibt damit Studierenden und Berufseinsteiger*innen wichtige Orientierungen auf ihrem Weg in eine fehlerprofessionelle Praxis der Soziale Arbeit.

 

Was sind Ihrer Einschätzung nach die wichtigsten Bausteine für gute Fehlerkulturen in der Sozialen Arbeit?

Aus der Studie „Fehler(kultur)verständnisse im Praxishandeln in der Sozialen Arbeit“ lässt sich ableiten, dass wesentliche Voraussetzungen für die Etablierung einer professionellen Fehlerkultur in der Sozialen Arbeit bereits im Studium und insbesondere in der Berufseinmündung zu schaffen sind. Die (Weiter)Entwicklung einer professionellen Fehlerkultur in der Sozialen Arbeit beschränkt sich damit nicht auf die organisationale Ebene, sondern stellt sich vor allem auch als (überfällige) Aufgabe im Kontext von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit dar. Die (Weiter)Entwicklung von Fehlerkulturen in Organisationen stellt einen wichtigen, aber keinen hinreichenden Schritt bzw. Baustein dar auf dem Weg zu einer fehlerreflektierten Professionalität in der Sozialen Arbeit.

 

Darum sind wir Herausgeber*innen bei Budrich

Der gesamte Prozess von der Idee bis zur Veröffentlichung der Publikation verlief sehr professionell. Wir wurden bei der Herausgabe der Publikation sehr gut begleitet und unterstützt.

 

Kurzvitae in eigenen Worten

Portraitfoto von Budrich-Autor Jürgen BeushausenProf. Dr. Jürgen Beushausen

Professur an der Diploma Hochschule, Studiendekan im Masterstudium „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“, zudem tätig als Supervisor und in der Weiterbildung an der Hochschule Hannover in „Beratungskompetenzen erweitern – systemisch und mehr“ und „Traumaberatung in psychosozialen Arbeitsfeldern“.

Portraitfoto von Budrich-Autorin Kirsten RusertKirsten Rusert M.A.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Promovendin der Erziehungswissenschaften und des Zentrums für Lehrer*innenbildung an der Universität Vechta, zudem tätig als Mediatorin und Prozessbegleitung. Arbeitsschwerpunkte: Transformative Bildung im Fokus von Digitalisierung, Flucht/Migration, Inklusion und Konfliktbearbeitung.

Portraitfoto von Budrich-Autor Martin StummbaumProf. Dr. Martin Stummbaum

Professur für methodische Professionalität und soziale Innovationsprozesse, Fakultät für Angewandte Geistes- und Naturwissenschaften, Hochschule Augsburg, Arbeitsschwerpunkte: Beratung, Methodische Professionalität, Partizipative und Praxisforschung, Innovationsprozesse mit Fokus auf Digitalisierung, Europäisierung, Gesundheitsförderung und Nachhaltigkeit.

 

 

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© Titelbild: gestaltet mit canva.com; Herausgeber*innenfotos: privat