Kinder- und Jugendschutz
Prävention, Regulierung und Intervention. Eine Einführung (2. Auflage)
von Bruno W. Nikles, Sigmar Roll und Klaus Umbach
Über das Buch
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf den Schutz ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit. Doch wie genau lassen sich der Kinder- und Jugendschutz und seine weitreichenden Maßnahmen theoretisch fundiert einordnen? Welche Handlungsfelder und Akteur*innen berührt der, auch präventive, Kinder- und Jugendschutz? Und: Welche rechtlichen Grundlagen sind für die Praxis der Sozialen Arbeit relevant? Unterstützt durch graphisch gestaltete Übersichten geben die Autoren Antworten auf diese und weitere Fragen in ihrem elementaren Einführungswerk. Praxisbeispiele und Hinweise auf vertiefende Literatur, Informationsquellen, behördliche und weitere Fachorganisationen runden diese elementare Einführung ab.
Leseprobe aus den Seiten 39 bis 44
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3 Funktionen und Handlungsoptionen
3.1 Funktionale Herausforderungen im Jugendschutz
Der Jugendschutz, seine Wertbilder, Regelungen und Institutionen, nehmen im gesellschaftlichen Kontext eine Reihe sich ergänzender Funktionen wahr, die man schwer in eine Rangfolge stellen kann.
Die zentrale, vor allem rechtlich gestützte Funktion ist die präventive Funktion der Bewahrung junger Menschen vor schädigenden Einflüssen. Ungeachtet der Schwierigkeiten, sich über das Schädigungspotenzial von Substanzen (Droge oder Genussmittel?) oder von Medieninhalten (Spiel oder Gewaltanregung?) zu verständigen, stehen wir vor vielfältigen Problemen, die Einflüsse zu kontrollieren oder gar auszuschließen. Je offener die Substanzen und Inhalte im gesellschaftlichen Raum zugänglich sind, desto größer und vernetzter muss und wird der Aufwand sein, die gewünschten Regulierungen auch umzusetzen. Konnte man in den ersten Jahren des Kinofilms noch durch strikte Zugangsbeschränkungen jungen Menschen den Zutritt zu Kinosälen verwehren, so ist dies heute zwar immer noch möglich, doch existieren die Filminhalte in anderen technischen Formen etwa als Speichermedien (z.B. DVD) oder in elektronisch vermittelter Form (z.B. in Mediatheken). Der Konsum der Inhalte ist nicht mehr gebunden an konkrete Orte oder an ein „festes“ technisches Medium. Mithin reichen Kontrollen des „öffentlichen Raumes“ nicht mehr aus. Handel und Verbreitung jugendgefährdender medialer Inhalte lassen sich zwar in nationalstaatlichen Grenzen mit den zur Verfügung stehenden ordnungs- und strafrechtlichen Instrumenten in gewissem Umfang kontrollieren, doch jenseits dieser gelten andere rechtliche Bestimmungen und differente kulturelle und gesellschaftspolitische Bewertungsmuster. Und die Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Systemen sind fließender denn je in der menschlichen Geschichte.
Die Anregung des öffentlichen Diskurses über Gefährdungen des Aufwachsens ist keine Funktion, die rechtlich grundgelegt werden könnte. Der Diskurs erwächst aus der Auseinandersetzung mit gesetzlichen Regelungen, mit dem Verhalten von Gewerbetreibenden oder Medienanbietern und besonderen Ereignissen. Zu nennen wären etwa Anlässe wie der Prozess gegen einen Gastwirt, dem durch Flatrate-Veranstaltungen Mitschuld am Alkoholtod eines Jugendlichen vorgeworfen wird (Urteil LG Berlin 03.07.2009 Az.: (522) 1 Kap Js 603/07 Ks (1/08), ZJJ 2010, S. 78–80), grenzwertige Doku-Soaps eines Fernsehsenders, Amokläufe desorientierter Schüler und derzeit ganz allgemein die Diskussion um sog. Fake-News. Die entstehenden öffentlichen Debatten sind gerade in einer Mediengesellschaft schwer in pragmatische und zielgerichtete Strategien hinein zu lenken. Medial unterstützten Entrüstungen in der Bevölkerung folgen dann vielfach populistische Reaktionen aus dem politischen Entscheidungsraum der Parteien und der Regierungen. Diese sind nicht immer funktional auf das zentrale Anliegen des Kinder- und Jugendschutzes bezogen. Deshalb sind auch die verfolgten „Nebenziele“ zu beachten, etwa politische Profilierungen oder Legitimationsstrategien. Wenn rechtliche, institutionelle und vollzugsorientierte Maßnahmen tragfähig sein sollen, dann bedarf es solider politisch-handwerklicher Arbeit, die gerade bei diesem Thema Rückbindung an gesellschaftlich relevante Gruppen, Organisationen und Institutionen erfahren muss, auf deren Mitwirkung bei der Erreichung von breiter gesellschaftlicher Akzeptanz nicht verzichtet werden kann.
Die oben aufgezeigten Grenzen der Kontrolle und Regulierung des Zugangs junger Menschen zu Produkten und Medien mit Gefährdungspotenzial sind Anlass, die Stärkung der Eigenkräfte der jungen Menschen als weitere zentrale Funktion des Kinder- und Jugendschutzes noch einmal zu betonen. Neben einer grundlegenden und allgemeinen Stärkung der personalen und sozialen Entwicklung junger Menschen in Elternhaus, Tageseinrichtung, Schule und Jugendarbeit bieten sich auch spezielle erzieherische Ansätze, beispielsweise mit konsumpädagogischen oder medienpädagogischen Angeboten an. Individualisierungstendenzen, die unsere moderne Gesellschaft kennzeichnen, taugen nicht als Anknüpfungspunkt für Argumentationen, der Staat solle sich aus generellen Jugendschutzregelungen zurückziehen. Der Jugendschutz ist unverzichtbarer Teil staatlich verantworteter Sorge um ein gelingendes Aufwachsen junger Menschen. Diese Aufgabe nimmt er auch wahr über den Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz, der allerdings im Kontext des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) relativ schwach ausgestaltet ist, was sich unter anderem an der seit vielen Jahren nicht bedarfsgerechten Personalausstattung der Jugendämter ablesen lässt.
Unsere Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass ihre institutionalisierten Systeme der Bildung und Wissensvermittlung immer früher und immer umfassender die Sozialisationsprozesse mitbestimmen. Gleichwohl kommt den Eltern weiterhin eine zentrale Bedeutung im Prozess des Aufwachsens der jungen Menschen zu. Die Stärkung der erzieherischen Kompetenzen von Eltern und fernerhin von allen in der Erziehung tätigen Personen ist auch im Jugendschutz eine wichtige Aufgabe. Dies gilt vor allem unter zwei Gesichtspunkten. Zum einen ist das Aufwachsen in der Perspektive des einzelnen jungen Menschen meist auch mit dem Austesten von Grenzen der eigenen Belastbarkeit (etwa beim Alkoholkonsum), mit der Klärung dessen, was ihm noch untersagt und schon erlaubt ist (etwa beim frühen Diskobesuch) oder mit Protesthaltungen gegenüber gesellschaftlichen Normen verbunden. Zum anderen fühlen sich Eltern vielfach allein dadurch in ihrem Handeln überfordert, weil die Umgangsformen der jungen Menschen neuartig sind oder weil neue Medien und Medieninhalte auftreten, weil sie den oft mühevollen Dialog darüber nicht durchhalten oder schlicht durch eigene schwierige Lebenslagen bedrängt sind. Die Regelungen zum Jugendschutz, leider nur in wenigen Bereichen in verständlicher Rechtssprache formuliert, sind ihnen zwar überwiegend in groben Umrissen bekannt, aber nicht immer in einer Form präsent, die erzieherische Abwägungen und Entscheidungen erleichtern. Ähnliches gilt auch für andere Erziehungspersonen, die z.B. im Wissen um Altersbeschränkungen den Alkoholkonsum Vierzehn- bis Achtzehnjähriger in einer Ferienfreizeit eher „managen“ müssen, denn immer strikt handhaben können. Die in vielfältigen Formen verfügbaren Informations- und Aufklärungsschriften, Hinweise in Webangeboten und gelegentlichen Veranstaltungen in der Eltern- und Familienbildung erreichen nach allen Erfahrungen überwiegend diejenigen Eltern, die ohnehin bereits gut informiert sind oder ein besonderes Interesse beispielsweise hinsichtlich der Mediennutzung ihrer Kinder entwickelt haben.
Strukturbildende Einflussnahmen auf Bedingungen des Aufwachsens – etwa in der Form, in der sie in § 1 SGB VIII angesprochen sind – umfassen eigentlich das, was man sich idealerweise als Alternative zu Geboten und Verboten wünscht: Der Abenteuerspielplatz als attraktive Alternative zur nachmittäglichen Fernsehsoap, das Sportprogramm, das das Kräftemessen im virtuellen Computerspiel ergänzt, der nächtliche Bus, der jungen Leuten eine sichere Heimkehr von der Disko ermöglicht. An diesen Beispielen wird der enge Bezug des Jugendschutzes zur Kinder- und Jugendhilfe und zur Jugendarbeit deutlich, wenn denn diese angeboten und genutzt wird.
Während im „intensiv“ gestalteten Raum von Erziehungsinstitutionen der Kinder- und Jugendhilfe viele fördernde und fordernde Prozesse organisiert werden, bestehen zur Schule hin – jenseits der spezifischen Aufträge zur Wissens- und Fertigkeitsvermittlung – deutliche institutionelle Abgrenzungen, die im optimalen Fall durch gelegentliche Projektinitiativen von Schule und Jugendhilfe überwunden werden. Dauerhaftere Verbindungen von Schulpädagogik und Sozialpädagogik kennen wir zurzeit nur in den diversen Formen sozialer Arbeit an Schulen. Die dortigen Angebote werden meist nicht ganz zutreffend als Schulsozialarbeit bezeichnet, obwohl sie oft im Schwerpunkt pädagogisch ausgerichtet sind (ein unterschiedlicher Akzent ergibt sich auch daraus, ob die schulischen Träger oder die Kinder- und Jugendhilfe das Personal angestellt haben). Solche Angebote sind in der Regel an allgemeinbildenden Schulen etabliert, in weiterführenden und beruflichen Schulen aber noch nicht sehr weit verbreitet. Ob der 2021 neu ins SGB VIII eingefügte § 13a daran grundlegend und vor allem zeitnah etwas verändern wird, bleibt abzuwarten. Die Verpflichtung zur strukturellen Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen regelt § 81 SGB VIII, wobei explizit die Schulen genannt werden (Nr. 3); leider sind die Regelungen, die die dort genannten Stellen umgekehrt zur Zusammenarbeit verpflichten, oft nicht so eindeutig (bei Schulen ja auch je nach Landesrecht unterschiedlich).
3.2 Funktionale Herausforderungen im Kinderschutz
Der Aufgabenbereich des Kinderschutzes wird in diesem Werk verbunden mit allen rechtlichen Regelungen und Maßnahmen des Staates sowie anderer Instanzen, Dienste und Einrichtungen, die im Sinne der Wahrnehmung des Wächteramts der reaktiven Abwendung von Kindeswohlgefährdungen dienen sollen. Dieser Aufgabenbereich beinhaltet mannigfaltige, teilweise sich widersprechende, teilweise sich ergänzende Funktionen und Herausforderungen.
Exkurs: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung Zentrale Begrifflichkeiten
Die erste Herausforderung im Wahrnehmen, Beurteilen und Handeln im Kinderschutz stellt sich bereits im Hantieren mit den zentralen Begrifflichkeiten, die im Handlungsfeld des Kinderschutzes verwendet werden.
So sind die Begriffe „Kindeswohl“ und „Kindeswohlgefährdung“ zwar im ständigen Sprachgebrauch sozialarbeiterischen Handelns, medizinischer Einschätzungen und familiengerichtlicher Entscheidungen, beinhalten aber keine eindeutig definierten Maßstäbe oder abschließend aufgezählten Sachtatbestände. Es handelt sich vielmehr um soziale Konstrukte bzw. um unbestimmte Rechtsbegriffe. Das bedeutet zum Ersten, dass deren Einordnung immer auf spezifischen Beobachtungs- und Bewertungsprozessen beruht, und zum Zweiten, dass sie einer entsprechenden Auslegung bedürfen, bevor sie zu relevanten Handlungsoptionen führen können. Zum Dritten ist diese Auslegung immer auch von den aktuellen gesellschaftlichen, ethisch-kulturellen Kontexten und Werten beeinflusst und somit keineswegs zeitstabil: „Was in einer Gesellschaft, zu einer bestimmen Zeit, in einer bestimmten Schicht, unter bestimmten Umständen im Umgang mit Kindern als normal oder gefährdend angesehen wird und was nicht, ist Wandlungen unterworfen.“ (Kindeswohlgefährdung 2009, S. 29). Diesem Gedankengang folgend, kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle, die sich für das Wohl eines Kindes verantwortlich fühlen, die ähnliche – geschweige denn dieselbe – Auffassung davon haben, worin das Wohl des jeweiligen Kindes (oder der Kinder als Gruppe) denn genau bestünde.
Um trotzdem zu qualitativen Bewertungsprozessen kommen und situationsgerechte Entscheidungen treffen zu können, sind Orientierungs- und Bezugspunkte unabdingbar. Diese müssen für den Einzelfall so präzise und gleichzeitig so flexibel wie möglich eine aktuelle Einschätzung des Kindeswohls in seiner Kontextgebundenheit, multifaktoriellen Komplexität und prognostischen Entwicklung ermöglichen.
Einer der wesentlichen Bezugspunkte zur jugendhilfe-fachlichen Einschätzung des Kindeswohls ist in § 1 Abs. 1 SGB VIII zu finden. Demzufolge ist das Kindeswohl eng mit der Förderung der Entwicklung des Kindes sowie dessen Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit verknüpft. Außerdem muss das Kindeswohl vor Gefahren geschützt werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII). Das Kindeswohl hat somit einen Gegenwarts- wie Zukunftsbezug und beinhaltet sowohl Förderung, als auch Schutz. Einen zweiten Bezugspunkt zur Einschätzung des Kindeswohls stellen die Rechte und altersspezifischen Bedürfnisse von Kindern dar, auf die sich unter anderem auch Maywald in seiner Arbeitsdefinition bezieht: „Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige, welches die an den Grundrechten und Grundbedürfnissen von Kindern orientierte, für das Kind jeweils günstigste Handlungsalternative wählt.“ (Maywald 2009, S. 19). Dies hat durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz 2021 auch seinen Niederschlag im Gesetz gefunden (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII). Einen weiteren exemplarischen Bezugspunkt skizziert Dettenborn, der das Kindeswohl als die „für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen günstige Relation zwischen seiner Bedürfnislage und seinen Lebensbedingungen“ (Dettenborn 2007, S. 50) versteht und damit auch das Umfeld, in dem ein Kind aufwächst, mit in den Blick nimmt.
Hinsichtlich des Begriffs „Kindeswohlgefährdung“ gestaltet sich die Lage gleichermaßen unscharf wie die obige Konturierung des Begriffs „Kindeswohl“. Hinweise, welche der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs dienen können, finden sich in § 1666 Abs. 1 BGB. Hier wird Bezug genommen auf die Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls, also auf die Gesamtheit des Wohlergehens eines Kindes, und somit aufgefordert, bei familiengerichtlichen Entscheidungen nicht nur das Augenmerk auf eine augenscheinlich körperliche Unversehrtheit eines Kindes oder Jugendlichen zu richten. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 Abs. 1 BGB weiter präzisiert als „eine gegenwärtige, in einem solchem Maß vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit vorhersehen lässt“ (BGH Beschl. v. 14.07.1956, Az. IV ZB 32/56). In diesem Sinne kann der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ so gedeutet werden, dass ohne ein unmittelbares Eingreifen die Gefahr besteht, dass eine gravierende Schädigung des Kindes oder Jugendlichen wahrscheinlich eintritt, sofern sie nicht schon geschehen ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts werden dabei umso geringere Anforderungen gestellt, je schwerer der drohende Schaden wiegt.
Aber auch mit dieser Präzisierung bleibt offen, welche Situationen, Ereignisse und Verhaltensweisen exakt zu den Gefährdungstatbeständen zählen; dies bleibt zu Recht undefiniert, da die Gefährdung des Kindeswohls immer nur einzelfallbezogen und unter der altersspezifischen Würdigung aktuell vorhandener Risikound Schutzfaktoren bewertet werden kann und muss (s. hierzu Schneider 2019, der u.a. den Bezug zu jugendgefährdenden Medieninhalten diskutiert). Diese Bewertung muss Anhaltspunkte im Erleben und Handeln des jungen Menschen, in der Familiensituation, in der Familiensituation, in dem elterlichen Erziehungsverhalten, im sozialen Umfeld usw. einbeziehen, und zwar unabhängig davon, ob die mutmaßliche Gefährdung durch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder Jugendlichen, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten besteht (vgl. Arbeitshilfe zur Anwendung, S. 67). Es geht also immer um die Wahrnehmung und Prüfung von Hinweisen zu Handlungen gegen Kinder und Jugendliche oder zu Lebensumständen, die deren Wohl erheblich gefährden. Dies ist regelhaft bei Verdacht auf körperliche Misshandlung, körperliche und seelische Vernachlässigung, seelische Misshandlung, sexuelle Gewalt oder häusliche Gewalt der Fall.
Dabei besteht eine zusätzliche Herausforderung der professionellen Kinderschützer darin, dass sie die für die Einschätzung relevanten Situationen oft nicht selbst beobachtet haben. Sie sind damit darauf angewiesen, anhand unvollständiger Informationen aus unterschiedlichsten Quellen die Ereignisse zu rekonstruieren, zu deuten und hinsichtlich des Gefährdungspotenzials für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen beurteilen zu müssen. Hinsichtlich einer körperlichen Misshandlung mag dies vor allem anhand von medizinischen Befunden belegbar sein. Ungleich schwieriger herleitbar sind für die Akteure im Kinderschutz die Geschehnisse jedoch bei emotionaler Vernachlässigung und seelischer Misshandlung, bei Erziehungsmaßnahmen, die mit Einschüchterung und Zwang einhergehen, etc. – vor allem bei Kindern, die sich nicht oder nur schwer artikulieren können.
Eine weitere Herausforderung im Handlungsfeld des Kinderschutzes ist darin zu sehen, dass Gefährdungen nicht gleichzusetzen sind mit Schädigungen. Oben wurde bereits auf die Zukunftsperspektive im Kontext „Kindeswohl“ Bezug genommen. Der Umgang mit dem Begriff Kindeswohlgefährdung beinhaltet immer auch präventive Implikationen. Gefahren sollen demnach frühzeitig erkannt werden, um sie abwenden zu können, bevor tatsächlich erhebliche Schädigungen für den jungen Menschen die Folge sind. Dies wirft in manchen Einzelfällen und erst recht in der Kooperation im Kinderschutz „ein Problem auf, insofern als man sich über bereits eingetretene Schäden bei Kindern vermutlich noch eher wird einigen können als über angenommene, zukünftig möglicherweise oder wahrscheinlich zu erwartende Beeinträchtigungen.“ (BAGLJÄ 2016).
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