Navigationssystem und Argumentationshilfe für Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Leseprobe aus Das Opaschowski Zukunftsbarometer. Wegweiser für eine nachhaltige Entwicklung von 2025 bis 2045 von Horst Opaschowski.
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I. Ein Wegweiser für die Zukunftsplanung
In anhaltend unsicheren Zeiten ist der Hunger nach Sicherheit so groß wie der Durst nach Freiheit. Es wächst die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität im Leben und nach verlässlichen Antworten auf Fragen wie: Was kommt? Was geht? Und was bleibt? Das „Opaschowski Zukunftsbarometer“ soll ein verlässlicher Wegweiser für die Entwicklung Deutschlands im Zeitraum 2025, 2035 und 2045 sein. Es setzt in seinen Analysen auf repräsentative Umfrageergebnisse der letzten Jahre, die als Basis für Prognosen bis zum Jahr 2045 dienen. Das Barometer versteht sich als verlässliches Kompendium für eine nachhaltige Zukunft Deutschlands. Es ist ein Seismograph für die Stimmung im Lande und weist auf Herausforderungen und Chancen in naher Zukunft hin.
Das künftige Zusammenleben in Deutschland ist zunehmend auf Verlässlichkeit angewiesen. In Verbindung mit Vertrauen und Verantwortung ist für den notwendigen Zusammenhalt einfach ein Mindestmaß an Verlässlichkeit erforderlich – als Leitwährung in Gesellschaft und zwischenmenschlichen Beziehungen genauso wie in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Insbesondere die Wissenschaft kommt ohne Forschungsergebnisse auf abgesicherter empirischer Basis nicht mehr aus, auf die man sich unbedingt verlassen und mit denen man fest rechnen kann. Dies will und soll das Barometer leisten.
II. Ein Navigationssystem in Dauerkrisenzeiten
Die Einschätzungen und Voraussagen von Wirtschaftsforschern1 sind nicht frei von Fehlprognosen und reichen nicht selten nur bis zum nächsten Quartal. Vor der Psychologie der Verbraucher kapitulieren sie weitgehend. Erst aus der systematischen Beobachtung von Lebensgewohnheiten und Verhaltensänderungen im Zeitvergleich lassen sich präzise „Zeitreihen“ entwickeln und Handlungsoptionen für die Zukunft ableiten. Die Genauigkeit der repräsentativ ermittelten Daten ist dabei wichtiger als die bloße Story. Nur eine verlässliche Prognoseforschung ermöglicht wichtige Weichenstellungen für die Entwicklung der nächsten 10 bis 20 Jahre – als Navigationssystem und Argumentationshilfe für Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
III. Ein Kompass für die wirklich wichtigen Dinge im Leben
Wer wissen will, was die Menschen in Zukunft zwischen Hoffnung und Angst mehrheitlich bewegt und was für sie die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind, sollte das Zukunftsbarometer als Kompass für das Kommende nutzen und mögliche Zukünfte besuchen können. Dann muss „die Zukunft“ auch nicht mehr rätselhaft und unerforschlich bleiben. Gezeichnet wird das Bild einer nachhaltigen Zukunft, in der es Wohlstand und Wohlergehen für alle geben und es der kommenden Generation gut und möglichst auch besser gehen kann.
IV. Eine Konstante im Werte- und Generationenwandel
Der Wertewandel einer Gesellschaft besteht nicht darin, dass sich die Menschen sozusagen über Nacht verändern. Er vollzieht sich vielmehr allmählich in dem Maße, in dem die jüngere Generation einer Gesellschaft die ältere Generation Zug um Zug ablöst. Und eine Generation, die unter veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen aufwächst, gelangt zwangläufig zu anderen Erfahrungen und Gewohnheiten. Damit verändern sich auch die Einstellungen zu Arbeit und Leben, zu Partnerschaft, Familie und Freundeskreis. Ausgangspunkt für die Darstellung des Zukunftsbarometers ist die systematische Untersuchung der Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Die Ergebnisse von Repräsentativumfragen im Zeitvergleich („Zeitreihen“) bilden die sozialwissenschaftliche Basis für Prognosen.
Müssen aber nicht angesichts der gegenwärtigen weltpolitischen Lage konkrete Aussagen, die sich auf Entwicklung, Veränderung und Zukunftsperspektiven beziehen, auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen? Lassen globale Krisen präzise Prognosedaten nicht schnell zur Makulatur werden? Prognosen erzielen immer dann eine große Treffsicherheit, wenn sie von der zentralen Frage ausgehen: Was will der Mensch? Erst danach ergeben sich Antworten darauf, was wirtschaftlich und technologisch, sozial und ökologisch alles möglich wäre. Daraus folgt: Große gesellschaftliche Veränderungen von der Perestroika bis zur deutschen Vereinigung lassen sich nicht prognostizieren, auch Kriege und Krisen, von der Energiekrise über den Ukrainekrieg bis zu den Terroranschlägen in Israel, nicht – voraussagbar aber sind die Lebensgewohnheiten der Menschen in den nächsten Jahren.
Lebensgewohnheiten sind wie eine zweite Natur und haben fast die Wirkung einer Kleidung aus Eisen, die nur schwer zu sprengen ist. Viele Tätigkeiten im Alltag werden so lange praktiziert, dass sie wie Aufstehen, Essen und Schlafengehen fast zur lieben Gewohnheit bis ins hohe Alter werden. Dies erklärt auch, warum beispielsweise Urlauber auf Reisen am meisten das eigene Bett, die Zeitung aus der Heimat und das gemütliche Zuhause vermissen. Gewohnter Lebensrhythmus und alltäglicher Regelkreis sind den Menschen geradezu in Fleisch und Blut übergegangen. Viele können einfach nicht aus ihrer Haut heraus.
Im Unterschied zu den Konjunkturprognosen von Wirtschaft und Politik gibt es bei den OZB-Prognosen keine zweistelligen Fehlerquoten, da Natur und Lebensgewohnheiten der Menschen keine Sprünge machen („Natura non facit saltus“/Antike Philosophie seit Aristoteles)
Die Sozialforschung geht davon aus, dass die Persönlichkeits- und Interessenstruktur eines Menschen im Wesentlichen ausgebildet ist, wenn er das Erwachsenenalter erreicht. Die Kindheits- und Jugenderfahrungen haben ein größeres Gewicht als die spätere Sozialisation. Im Einzelfall kann es zwar auch im Erwachsenenalter noch zu dramatischen Veränderungen kommen, aber die statistische Wahrscheinlichkeit einer grundlegenden Persönlichkeitsveränderung nimmt abrupt ab, wenn das Erwachsenenalter erreicht ist.
V. Eine Zukunftsstimme für die Mehrheitsgesellschaft
1980 löste die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann eine öffentliche und teilweise kontrovers-hitzige Debatte in Deutschland aus. Die meisten Menschen, so ihre These, trauten sich nicht mehr, in der Öffentlichkeit ihre Meinung laut und deutlich zu äußern, weil sie soziale Isolation befürchteten. Dies galt insbesondere bei emotional und moralisch aufgeladenen Themen. Hingegen gab es seinerzeit eine lautstarke Minderheit, die so selbstbewusst auftrat, dass sie den Eindruck einer Mehrheitsmeinung vermittelte, was durch die mediale Verbreitung noch verstärkt wurde. Auf diese Weise entwickelte sich nach Noelle-Neumann eine Schweigespirale. Und je lauter und aggressiver die Minderheit auftrat, umso schweigsamer wurde die Mehrheitsgesellschaft – vor lauter Angst, isoliert zu werden: „Belohnt wird Konformität, bestraft wird der Verstoß gegen das übereinstimmende Urteil“ (Noelle-Neumann 1980, S. II).
Was die dominante Minderheit seinerzeit verkündete und demonstrierte, vermittelte den Eindruck: Die Mehrheit denkt so! Wer hingegen nicht so dachte, redete und lebte, hatte das meist medial vermittelte Meinungsklima („Mainstream“) gegen sich. An die Aktionen der „Letzten Generation“ in den Jahren 2023 und 2024 fühlt man sich hierbei heute erinnert. Weitgehend offen geblieben aber sind bisher die Fragen: Wie denkt die Mehrheitsgesellschaft eigentlich? Wie lebt sie? Was will sie? Was fürchtet sie? Das vorliegende Zukunftsbarometer gibt der Mehrheitsgesellschaft eine Stimme für die Zukunft: So wollen „wir“ morgen leben.
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1 Wegen der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum gewählt.
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