Wie lassen sich gesellschaftliche Transformationsprozesse erkennen und analysieren? Wo liegen die Einflussmöglichkeiten der Sozialen Arbeit, wo ihre Grenzen? Wir haben ein Interview mit den Herausgeber*innen Stefan Borrmann, Anne van Rießen und Claudia Steckelberg zum neuen Sammelband Soziale Arbeit als Akteurin im Kontext gesellschaftlicher Transformation. Wissensbestände und Erkenntnisse aus Profession und Disziplin geführt.
Interview zu „Soziale Arbeit als Akteurin im Kontext gesellschaftlicher Transformation“
Liebe Herausgeber*innen, worum geht es in Soziale Arbeit als Akteurin im Kontext gesellschaftlicher Transformation?
Der Sammelband untersucht, welche Rolle die Soziale Arbeit angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen einnimmt. Dabei wird deutlich: Soziale Arbeit ist nicht nur Beobachterin dieser Prozesse, sondern versteht sich selbst als aktive Mitgestalterin von Wandel – stets orientiert an Werten wie sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten sowie Vielfalt und Diversität. Gleichzeitig bleibt sie von Transformationsprozessen – etwa Digitalisierung, Klimakrise, Migration oder demografischem Wandel – unmittelbar in Profession und Disziplin betroffen.
Der Band geht zentralen Fragen nach: Wie lassen sich gesellschaftliche Transformationsprozesse erkennen und analysieren? Wo liegen die Einflussmöglichkeiten der Sozialen Arbeit, wo ihre Grenzen? Er zeigt auf, wie die Soziale Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen – von individueller Unterstützung bis hin zu politischem Handeln – Transformation gestalten und dabei ihre ethischen Prinzipien bewahren kann. Zudem thematisiert der Band, wie soziale Ungleichheiten trotz Fortschritten in Bereichen wie Inklusion oder Minderheitenrechten weiterhin bestehen und neue globale Herausforderungen entstehen.
Ein weiterer Fokus liegt auf der Vorbereitung der Sozialen Arbeit auf diese Veränderungen: Forschung, Lehre und Praxis müssen darauf ausgerichtet sein, Transformationskompetenz zu vermitteln. Ziel ist es, Fachkräfte auszubilden, die nicht nur auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren, sondern diese auch aktiv und verantwortungsvoll (mit)gestalten. Dabei wird auch die Auseinandersetzung mit forschungsethischen Fragen im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche als wichtiger Bestandteil hervorgehoben.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch herauszugeben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Der Sammelband ist aus der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) entstanden, die am 26. und 27. April 2024 an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena stattfand. Über 600 Personen haben dort in fast 60 Panels an spannenden Vorträgen und intensiven Diskussionen teilgenommen.
Thematisch stand die Rolle der Sozialen Arbeit im Kontext gesellschaftlicher Transformation im Mittelpunkt: Soziale Arbeit versteht sich einerseits als aktive Mitgestalterin gesellschaftlichen Wandels – im Sinne der Globalen Definition der IFSW, die soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, kollektive Verantwortung und die Achtung von Vielfalt in den Mittelpunkt stellt. Andererseits ist sie selbst von Transformationsprozessen betroffen und muss sich zu diesen positionieren, neue Herausforderungen erkennen und gemeinsam mit den Adressat:innen tragfähige Antworten entwickeln.
Welche aktuellen Wandlungsprozesse beschäftigen die Soziale Arbeit derzeit am meisten?
Aktuell sieht sich die Soziale Arbeit mit einer Reihe tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationsprozesse konfrontiert, die sie sowohl in ihrer Praxis als auch als Profession und Disziplin unmittelbar betreffen. Dazu zählen insbesondere die Digitalisierung, die Klimakrise, die Verschärfung sozialer Ungleichheiten, globale Migrationsbewegungen und der demografische Wandel.
Zugleich sind Entwicklungen wie Rechtspopulismus, demokratiefeindliche Tendenzen und das Erstarken autoritärer Strukturen hochaktuelle Herausforderungen, auf die die Soziale Arbeit reagieren und zu deren Bearbeitung sie aktiv beitragen muss.
Und welcher Umgang mit diesen Wandlungsprozessen zeichnet sich in der Sozialen Arbeit derzeit ab?
In der Sozialen Arbeit zeichnet sich derzeit ein doppelter Umgang mit den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen ab. Einerseits geht es darum, die Veränderungen aufmerksam zu beobachten, wissenschaftlich zu analysieren und ihre Auswirkungen auf Adressat:innen und Handlungsfelder systematisch zu erfassen.
Andererseits entwickelt die Soziale Arbeit zunehmend Strategien, um aktiv auf diese Prozesse einzuwirken. Dabei wird deutlich, dass Soziale Arbeit nicht nur reaktiv handelt, sondern bewusst Gestaltungsmöglichkeiten sucht – auf individueller Ebene, im Gemeinwesen und durch sozialpolitisches Engagement.
Besonders wichtig ist derzeit die Reflexion der eigenen Handlungsspielräume und die Entwicklung neuer methodischer Ansätze, um trotz der Komplexität und Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen wirksam und ethisch verantwortlich zu agieren.
Jetzt versandkostenfrei im Budrich-Shop bestellen
Stefan Borrmann, Anne van Rießen, Claudia Steckelberg (Hrsg.):
Theorie, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit, Band 28
auch im Open Access verfügbar
Die Herausgeber*innen
Prof. Dr. Stefan Borrmann ist Diplom-Pädagoge und Professor für internationale Sozialarbeitsforschung an der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule Landshut. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) und Sprecher der Sektion Theorie- und Wissenschaftsentwicklung in der DGSA. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Theorien Sozialer Arbeit, Internationale Soziale Arbeit, Jugendarbeit und Rechtsextremismus.
Prof. Dr. Claudia Steckelberg ist Diplom-Sozialarbeiterin/-Sozialpädagogin und Professorin für Wissenschaft Soziale Arbeit an der Hochschule Neubrandenburg. Sie ist Vorsitzende der DGSA. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte umfassen Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot, Gender und Queer Studies, Gemeinwesenarbeit sowie Antidiskriminierung.
Prof. Dr. Anne van Rießen ist Diplom-Sozialarbeiterin und Professorin für Methoden Sozialer Arbeit am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. Sie ist Beisitzerin im Vorstand der DGSA. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Partizipation und Demokratisierung Sozialer Arbeit, Nutzer:innenforschung sowie sozialraumbezogene Soziale Arbeit.
Über „Soziale Arbeit als Akteurin im Kontext gesellschaftlicher Transformation“
Gesellschaftliche Transformationsprozesse prägen aktuell die sozialen Lebensbedingungen grundlegend und erfordern von der Sozialen Arbeit als Profession und Disziplin strukturelle Antworten und Positionierungen. Die Autor*innen untersuchen diese Wandlungsprozesse, ordnen sie konzeptionell und analytisch ein und zeigen methodische Ansätze zur Gestaltung auf.
Mehr Autor*innen-Interviews …
… finden Sie in der Blog-Kategorie 5 Fragen an.
© Fotos Herausgeber*innen: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com

