Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule vorantreiben

Leseprobe Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule
Ab dem Schuljahr 2029/2030 besteht mit dem neuen Ganztagsförderungsgesetz für alle Kinder der ersten bis vierten Klasse Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, für Erstklässler*innen sogar schon ab dem Schuljahr 2026/2027!

Aber wie den Ganztag kontinuierlich an hohen Qualitätsmaßstäben weiterentwickeln? Amina Kielblock und Stephan Kielblock bieten mit Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule. Ein Manual für die fachliche Begleitung eine wissenschaftliche fundierte Grundlage für Fachkräfte aus der Beratung. Und mit dem dazugehörigen Workbook für die praktische Umsetzung erhalten Leitungen von Ganztagseinrichtungen praxisnah bei der Weiterentwicklung ihres Ganztagsangebots.

Leseprobe aus dem Manual für die fachliche Begleitung.

***

I Ganztagsschulentwicklung – warum und wie?

In Teil I wird deutlich, warum Ganztagsschulen gezielt weiterentwickelt werden müssen und wie eine kind- und jugendorientierte Perspektive dabei zur Richtschnur für alle Entwicklungsprozesse werden kann. Schulentwicklungsberatung setzt Impulse für die Entwicklung und behalt die Bedarfe der Kinder bzw. Jugendlichen systematisch im Blick. Dabei wird auf theoretische und empirische Grundlagen zurückgegriffen, u. a. aus der Kindheits- und Jugendforschung, Steuerungstheorie und Schulentwicklungsforschung. Diese Forschungsfundierung stärkt die professionelle Beratung. Der Teil betont zudem die Notwendigkeit evidenzbasierter Entscheidungen: Standortdaten, Bedarfsanalysen und Ruckmeldungen der Akteur:innen bilden die Basis für zielgerichtete Veränderung. Abschließend wird ein designbasierter Entwicklungsansatz eingeführt: Schulentwicklung wird als iterativer, partizipativer und professionell begleiteter Prozess verstanden. Teil I schafft damit die konzeptionelle Grundlage für eine Ganztagsschulentwicklung, die kind- bzw. jugendorientiert, wissenschaftlich fundiert sowie evidenz- und designbasiert gestaltet werden kann.

 

1 Warum brauchen Ganztagsschulen Entwicklung und Beratung?

Ganztagsschulen stehen vor der Herausforderung, Eigenverantwortung und Gestaltungsspielräume in gezielte Entwicklungsarbeit zu übersetzen. Dieses Kapitel begründet, warum kontinuierliche Entwicklung unverzichtbar ist, und zeigt, dass schulische Steuerung, das Ganztagskonzept und die Gestaltung von Ganztagsangeboten drei entscheidende Entwicklungsschritte sind. Zudem werden typische Entwicklungszyklen (Initiation, Implementation, Inkorporation) erläutert. Die Rolle professioneller Beratung wird hervorgehoben: Schulentwicklungs- und Fachberater:innen helfen, Komplexität zu bewältigen, Potenziale zu erkennen und nachhaltige Entwicklungsprozesse anzustoßen.

Die Wirkung schulischer Ganztagsangebote wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder kontrovers bewertet. Dabei zeigt die Forschung ein klares Bild: Hochwertige Ganztagsangebote entfalten vielfältige positive Effekte auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen – sie fordern schulische Leistungen, stärken das Selbstkonzept, unterstützen das Sozialverhalten und tragen zur emotionalen Stabilität bei (Kielblock & Maaz, 2024). Ganztagsschule leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Bildungserfolg und zum sozialen Miteinander – beides zentrale Bedingungen für gelingende Bildungsbiografien in einer komplexen Welt.

Diese positiven Wirkungen entstehen jedoch nicht von selbst. Sie sind das Ergebnis gezielter, systematischer Qualitätsentwicklung. Genau hier liegt die Herausforderung für Ganztagsschulen: Sie müssen ihre Gestaltungsspielraume nutzen, Konzepte schärfen und Angebote an den Kindern und Jugendlichen ausrichten. Schulentwicklung im Ganztag bedeutet, mit einer Vielzahl an Beteiligten komplexe Veränderungsprozesse zu gestalten.

Professionelle Beratung kann hierbei entscheidende Impulse setzen: Sie unterstützt Schulen dabei, Entwicklungsprozesse strategisch zu steuern, Potenziale zu erkennen und nachhaltige Qualität aufzubauen. Dieses Kapitel beleuchtet, warum kontinuierliche Entwicklung in der Ganztagsschule notwendig ist, welche Phasen und Schritte dabei eine Rolle spielen – und warum Beratung nicht als Zusatz, sondern als integraler Bestandteil gelingender Qualitätsentwicklung zu verstehen ist.

 

Begründung der Ganztagsschulentwicklung

Um zu verstehen, warum Schulentwicklung heute – insbesondere im Ganztag – eine so zentrale Rolle spielt, lohnt ein kurzer Blick auf das Verhältnis zwischen Bildungspolitik und schulischer Gestaltung. Lange Zeit war dieses Verhältnis von einer klassischen, hierarchischen Steuerungslogik geprägt: Die Bildungspolitik traf Entscheidungen, Schulen galten als Umsetzungsorgane, und die Schulaufsicht kontrollierte deren Einhaltung. Doch mit zunehmender Heterogenität der Schüler:innen und wachsender Einsicht in die Komplexität von Bildungsprozessen stieß dieses Modell an seine Grenzen. Zentrale Vorgaben konnten die spezifischen Bedingungen einzelner Schulen oft nicht ausreichend berücksichtigen (Dedering, 2012).

In der Folge etablierte sich das Modell der „Neuen Steuerung“: Statt detaillierter Anweisungen formuliert die Bildungspolitik nun übergeordnete Ziele, während die Schulen selbst entscheiden (müssen), wie sie diese vor Ort umsetzen. Damit verbunden sind größere Gestaltungsspielräume – aber auch mehr Verantwortung. Schulen müssen ihren eigenen Weg zur Zielerreichung finden, ihre Entwicklung aktiv gestalten und interne Steuerung aufbauen.

Neue Steuerung

Warum genau war – und ist – die Neue Steuerung im Bildungssystem eine so bedeutsame Veränderung? Diese Frage taucht in der Beratung von Ganztagsschulen immer wieder auf. Besonders dann, wenn die erweiterten Gestaltungsspielräume weniger als Chance, sondern eher als Überforderung wahrgenommen werden. Nicht selten äußern Schulen das Gefühl, von der Bildungspolitik „alleingelassen“ zu werden, mit dem Ergebnis, dass Schulentwicklungsdynamiken ausbleiben und mitunter Resignation eintritt.

Gerade in solchen Fällen lohnt es sich, die Logik hinter der Neuen Steuerung nochmals zu beleuchten. Denn dieses Steuerungsmodell war eine direkte Antwort auf die wachsende Komplexität des Bildungssystems. Es wäre verkürzt anzunehmen, dass politische Entscheidungen automatisch und unmittelbar auf die Einzelschule – oder gar auf das pädagogische Handeln der Lehrkräfte – einwirken (Stecher, 2011). Zudem ist das Bildungssystem in verschiedene Ebenen untergliedert: von der Ministerialverwaltung über regionale Bildungslandschaften bis hin zur einzelnen Schule (Berkemeyer, 2010; Maag Merki, 2008). Diese Ebenen interagieren nicht linear und direkt miteinander. Vielmehr finden Übersetzungsprozesse zwischen den Ebenen statt. Vorgaben etwa aus der Politik werden also in einem Prozess, den Rolff (2016) als Rekontextualisierung bezeichnet, lokal interpretiert und in den jeweiligen Kontext übersetzt.

Vor diesem Hintergrund veränderte sich auch das Verständnis von Steuerung: Es geht nicht mehr darum, konkrete, von der Politik erdachte Maßnahmen flächendeckend durchzusetzen. Vielmehr besteht die Aufgabe von Bildungssteuerung heute darin, übergreifende Standards zu setzen und eine sinnvolle Ressourcenzuteilung sicherzustellen, ohne dabei die Autonomie der Schulen zu beschneiden (Rolff, 2016). Schulentwicklung soll angeregt, aber nicht verordnet werden. Anders gesagt: Die Neue Steuerung zielt darauf, Entwicklung zu ermöglichen, nicht zu erzwingen.

Gerade Ganztagsschulen profitieren – trotz aller Herausforderungen – besonders von diesem Paradigmenwechsel, denn ihre komplexe Struktur macht eine flexible, kontextbezogene Entwicklungsperspektive unverzichtbar.

Rolle des Unterstützungssystems

Damit Ganztagsschulen ihre Entwicklung eigenständig und zielgerichtet gestalten können, braucht es aber mehr als nur gesetzlich eröffnete Spielraume. Es braucht – neben klaren Rahmenvorgaben – ein funktionierendes Monitoring und ein verlässliches Unterstützungssystem, das Schulen auf ihrem Weg professionell begleitet. Gerade dieser dritte Aspekt steht im Zentrum der vorliegenden Publikation.

Rolff (2016) etwa hebt hervor, dass die Entwicklung schulischer Eigenverantwortung untrennbar mit unterstützenden Strukturen verknüpft ist. Beratung, Fortbildung und Ressourcenangebote starken die Fähigkeit von Schulen zur Selbststeuerung – sie helfen dabei, Entwicklungsprozesse zu initiieren, zu reflektieren und nachhaltig zu verankern. Beratung bietet dabei wissenschaftlich fundierte Orientierung und konkrete Impulse für die Praxis: Sie hilft Schulen, ihre Spielräume zu erkennen und gezielt zu nutzen.

Denn so klar das Prinzip der Neuen Steuerung auch ist – die Umsetzung vor Ort stellt Schulen oft vor große Herausforderungen. Der Ressourceneinsatz und die strategischen Entwicklungsschritte müssen von der Einzelschule selbst definiert und verantwortet werden.

Dabei ist die Bandbreite der zu berücksichtigenden Themen gros: Förderlogiken, gesetzliche Vorgaben, Trägerstrukturen, institutionelle Kooperationspartner, Gremienarbeit und übergreifende sowie interne Steuerungsprozesse – all das muss zusammengeführt und strategisch koordiniert werden (Dedering, 2012; Kielblock & Kielblock, im Erscheinen-b). Die Frage lautet also nicht, ob Schulen sich entwickeln müssen, sondern wie sie diese Aufgabe sinnvoll bewältigen können.

***

Sie möchten gern weiterlesen?

 

Jetzt versandkostenfrei im Budrich-Shop bestellen

Cover Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule Ein Manual für die fachliche BegleitungAnima Kielblock, Stephan Kielblock:

Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule. Ein Manual für die fachliche Begleitung

auch im Open Access verfügbar

 

 

Cover Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule Ein Workbook für die praktische UmsetzungAnima Kielblock, Stephan Kielblock:

Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule. Ein Manual für die fachliche Begleitung

auch im Open Access verfügbar

Interview mit den Autor*innen

 

 

Die Autor*innen

Amina Kielblock ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Zuvor arbeitete sie an den Universitäten Gießen und Kassel. Mit ihrer Arbeit verbindet sie wissenschaftliche Forschung mit praktischer Entwicklungsarbeit an Schulen. Ihre Schwerpunkte liegen in der Qualitätsentwicklung und im professionellen pädagogischen Handeln im Ganztag sowie in der Förderung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen.

Dr. Stephan Kielblock ist – nach seinen bisherigen Forschungsstationen in Gießen, Sydney und Frankfurt – zurzeit an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg tätig. Er ist Experte für Ganztagsschulentwicklung. Sein Schwerpunkt liegt auf Interventions-, Implementations- und Transferforschung zur Verbesserung der Schulqualität und der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams.

 

Über „Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule. Ein Manual für die fachliche Begleitung“

Die Qualitätsentwicklung von Ganztagseinrichtungen erfordert eine fachkundige Begleitung. Dieses Manual bietet eine wissenschaftliche fundierte Grundlage für Fachkräfte aus der Beratung, der Bildungsverwaltung und bei den Bildungsträgern mit einem Fokus auf kind- und jugendorientierte Qualitätsentwicklung. Es zeigt, wie Steuerung gezielt gestärkt, Konzepte entwickelt und Angebote verbessert werden können. Durch wissenschaftliche Fundierung und praxisnahe Ansätze unterstützt es Beratende dabei, Entwicklungsprozesse wirksam zu steuern und nachhaltige Veränderungen im Ganztag zu begleiten.

 

Über „Erfolgreiche Qualitätsentwicklung für die Ganztagsschule. Ein Workbook für die praktische Umsetzung“

Ganztag weiterentwickeln – aber wie? Dieses Workbook unterstützt Leitungen von Ganztagseinrichtungen praxisnah bei der Weiterentwicklung ihres Ganztagsangebots. Es bietet Methoden zur Steuerung, Konzepterstellung und Qualitätsentwicklung – mit einem Fokus auf Kind- und Jugendorientierung. Workshops, Praxisimpulse und Arbeitshilfen erleichtern die Umsetzung vor Ort. So gestalten Sie einen bedarfsgerechten, nachhaltigen und erfolgreichen Ganztag!

 

Weitere Beiträge aus dem Fachbereich Erziehung …

… finden Sie auf unserem Blog.

 

© Titelbild gestaltet mit canva.com