In welchem Zusammenhang stehen Nachhaltigkeitsbewusstsein und Bereitschaft zum nachhaltigen Konsum bei der jungen Generation? Wir haben ein Interview mit Ann-Kathrin Bremer zu ihrem Buch Nachhaltigkeitsbewusstsein, nachhaltiges Konsumverhalten und Lebensqualität. Die Sicht junger Menschen zwischen 14 und 25 Jahren geführt.
Interview mit Ann-Kathrin Bremer
Liebe Ann-Kathrin Bremer, worum geht es in Nachhaltigkeitsbewusstsein, nachhaltiges Konsumverhalten und Lebensqualität?
Jugendliche und junge Erwachsene spielen eine zentrale Rolle im Kontext nachhaltiger Entwicklung. Einerseits bilden sie die Generationen, die künftig mit den Auswirkungen heutiger nicht-nachhaltiger Entscheidungen leben müssen. Andererseits können sie aber einen großen (kollektiven) Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten, indem sie sensibel für solche Prozesse und Entscheidungen sind. Gleichzeitig wissen wir sehr wenig darüber, wie nachhaltigkeitsbewusst junge Menschen sind und wie stark ihre Bereitschaft zum nachhaltigen Konsum ist, der einen wichtigen Aspekt nachhaltigkeitsrelevanten Verhaltens darstellt.
In diesem Buch wird mein Forschungsprojekt dargestellt, dass sich mit diesen Fragen beschäftigt. Als ich mit meiner Forschung begann, wurde Nachhaltigkeit überwiegend als Einschränkung des Lebensstils kommuniziert. Daher war es mir sehr wichtig zu untersuchen, inwieweit Nachhaltigkeitsbewusstsein, nachhaltiger Konsum und Lebensqualität bei jungen Menschen im Zusammenhang stehen. Und genau das habe ich innerhalb einer bayerischen Region untersucht, die eher ländlich, gleichzeitig aber stark von der Automobilindustrie geprägt ist.
Andere Studien, die zum Beispiel das Umweltbewusstsein bei Erwachsenen untersuchen, beschreiben meist eine so genannte Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz. Sie bedeutet, dass wir zwar wissen, dass ein spezifisches Verhalten umweltschädlich ist und uns das eigentlich auch bewusst ist, es am Ende aber doch zu einem schädlichen Verhalten kommt. Es gibt viele Theorien und Studien, die diese Diskrepanz zu erklären versuchen. So finden einige Studien heraus, dass weitere Faktoren das Verhalten bestimmen. Einer dieser Faktoren ist die Selbstwirksamkeitserwartung – also der Glaube, durch eigenes Verhalten etwas bewirken zu können.
Ein zentrales Ergebnis meiner Studie ist, dass die Befragten ihr Nachhaltigkeitsbewusstsein zwar vergleichsweise hoch, ihre Selbstwirksamkeitserwartung aber als gering einschätzen. Und jetzt kommen wir zu dem spannenden Punkt: Ich habe natürlich untersucht, ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Alters- und Berufsgruppen gibt. Was aber an der Stelle die interessanteren Ergebnisse lieferte war der Unterschied, ob die jungen Menschen im Nachhaltigkeitskontext engagiert sind, oder nicht. Jetzt wäre zu erwarten, dass Engagierte die höchste Selbstwirksamkeitserwartung haben. Dem ist aber nicht so. Ihre Selbstwirksamkeitserwartung ist signifikant niedriger als diejenige von Personen, die noch über ein Engagement nachdenken, also zwar sensibel für das Thema sind, sich aber noch nicht aktiv einbringen. Dieses Ergebnis war letztlich zentral für meine Empfehlungen für Multiplikator:innen aus dem Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Wie kamen Sie auf die Idee, eine Studie zu diesem Thema durchzuführen? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Die schnelle Antwort wäre: Ich habe in einem Drittmittelprojekt gearbeitet und eine meiner Aufgaben lag darin, eine solche Studie durchzuführen. Das wäre aber nur die halbe Wahrheit und vermutlich wäre am Ende eine ganz andere Arbeit dabei herausgekommen. Ausgehend von meiner Aufgabe, mich mit dem Umweltbewusstsein junger Menschen in besagter Region zu befassen, begann ich also im Frühsommer 2018 mit der Recherche zum Thema und mir wurde schnell klar, dass ich nicht das Umweltbewusstsein untersuchen wollte, sondern einen Schritt weitergehen und das Nachhaltigkeitsbewusstsein untersuchen wollte, das ökologische, soziale und wirtschaftliche Dimensionen aufgreift. Es ergab sich außerdem die Gelegenheit, diese Studie im Rahmen eines Promotionsverfahrens durchzuführen und als Doktorarbeit einzureichen.
Und dann ging wenige Wochen später eine junge Schwedin, Greta Thunberg, zum ersten Mal freitags auf die Straße, um für das Klima zu kämpfen. Da war sie dann, die gesellschaftliche Relevanz und Aktualität meiner Forschung. Fridays for Future prägte lange den gesellschaftlichen, medialen und politischen Diskurs. Das war in mehrfacher Hinsicht ein großer Motivationsschub für mich.
Wie ist die Erhebung methodisch aufgebaut?
Im Zentrum meiner Studie steht eine quantitative Querschnittserhebung mit jungen Menschen aus der besagten Region. Um aber die Möglichkeiten für einen nachhaltigeren Konsum innerhalb dieser Region überhaupt einschätzen zu können, fanden im Vorfeld Workshops mit jungen Menschen und Nachhaltigkeitsexpert:innen aus der Region statt. Deren Ergebnisse flossen in den online Fragebogen ein, mit dem ich die Erhebung im Sommer 2021 durchführte.
Die Daten wertete ich dann mit verschiedenen statistischen Verfahren meinen forschungsleitenden Fragen entsprechend aus. Dabei spielte die zu Beginn genannte Untersuchung auf Unterschiede zwischen den Alters- oder Berufsgruppen oder Engagierten und nicht Engagierten eine ebenso zentrale Rolle wie eine abschließende Regressionsanalyse. Bei dieser habe ich den Grad der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ergebnissen, wie z. B. der Selbstwirksamkeitserwartung und den Verhaltensintentionen berechnet.
Was braucht es Ihrer Einschätzung nach, um Jugendliche und junge Erwachsene zu motivieren, ihr Nachhaltigkeitsbewusstsein auch in entsprechendes Handeln umsetzen?
Das ist vielschichtig. Einerseits muss natürlich Nachhaltigkeit attraktiv sein. Dazu gehört, dass wir neue Narrative haben, das wir davon abkommen, uns über unseren Konsum zu definieren. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich die Gesellschaft als Ganzes, wohl wissend, dass es bereits Vorreiter:innen gibt. Gleichzeitig sollten Politik und Wirtschaft geeignete Rahmenbedingungen für nachhaltiges Handeln setzen, und das nicht nur für die jungen Menschen, indem es zum Beispiel leichter und günstiger ist, mit dem ÖPNV zur Uni zu kommen, statt mit dem eigenen Auto. Das lässt sich auf viele Bereiche übertragen. Denken wir nur an den Lebensmittelhandel. Warum sind nachhaltigere Produkte oft teurer als konventionelle?
Was für mich aber zentral ist und den Aspekt der Selbstwirksamkeitserwartung wieder aufgreift: Wir sollten den jungen Menschen etwas zutrauen. Es ist ja schließlich ihre Zukunft. Wir sollten ihnen auf ihrem Bildungsweg immer wieder ermöglichen, das Gelernte praktisch umzusetzen und sie mit Feedback- und Reflexionsschleifen eng begleiten. So können sie Erfahrungen sammeln und ihren eigenen Handlungsspielraum und somit ihre Selbstwirksamkeit in der Gesellschaft in einem geschützten Rahmen austesten. Auch eine Ermöglichung der Beteiligung am politischen Diskurs und Entscheidungen für Jugendliche und junge Erwachsene halte ich daher für relevant.
Darum bin ich Autorin bei Budrich
Zunächst war mir wichtig, bei einem Verlag zu publizieren, zu dem ich thematisch und fachlich passe. Ich wollte meine Dissertation gleichzeitig möglichst nachhaltig veröffentlichen. Dabei ist es nur ein Aspekt, welches Papier beim Druck verwendet wird. Viel wichtiger war mir, dass die Bücher nur auf Bestellung gedruckt werden und grundsätzlich Open Access veröffentlicht werden, sodass allen Interessierten ein Zugang ermöglicht wird.
Zudem machte mir die Verlagsphilosophie die Entscheidung leicht und diese wurde im Publikationsprozess bestätigt. Meine Ansprechpartner:innen gingen stets auf meine Bedarfe ein und machten auch Dinge möglich, die es verlagsintern so noch nicht gab. Insgesamt war die Kommunikation von Anfang an sehr angenehm und zielorientiert. Es ist meine erste eigenständige Publikation und ich musste mich in vieles einarbeiten. Dabei bekam ich verlagsseitig hervorragende Unterstützung.
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Ann-Kathrin Bremer:
Die Autorin
Ann-Kathrin Bremer hat Erziehungswissenschaften (B.A.) an der Universität Trier (2008-2011) und Geographie: Bildung für nachhaltige Entwicklung (M.A.) an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU; 2011-2014) studiert. Dort hat sie 2024 ihre Promotion an der Mathematisch-Geographischen Fakultät an der Professur für Didaktik der Geographie und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) abgeschlossen.
Sie ist seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der KU in den Bereichen BNE, Service-Learning, Organisationsentwicklung und Third Mission. Aktuell arbeitet sie dort im BMBF geförderten Verbundprojekt „Senatra – Service Learning und nachhaltige Transformation an Hochschulen“ (Verbundleitung: Prof. Marco Rieckmann, Universität Vechta) im Teilprojekt „Service Learning auf dem Campus“ zusammen mit Prof. Anne-Kathrin Lindau (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Nachhaltige Entwicklung, BNE, Service Learning, Nachhaltigkeitsbewusstsein und Jugend.
Über „Nachhaltigkeitsbewusstsein, nachhaltiges Konsumverhalten und Lebensqualität“
In welchem Zusammenhang stehen Nachhaltigkeitsbewusstsein und Bereitschaft zum nachhaltigen Konsum bei der jungen Generation? Die quantitative Studie zeigt: Das Nachhaltigkeitsbewusstsein ist hoch, führt aber nicht immer zu entsprechendem Verhalten. Eine Schlüsselrolle spielt hier die Einschätzung der Selbstwirksamkeit. Auf Basis der Forschungsergebnisse formuliert die Autorin Empfehlungen für eine an der Ermöglichung der Erfahrung von Selbstwirksamkeit orientierte Bildung für nachhaltige Entwicklung.
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