Geblättert: Leseprobe aus „Die Ehe in Deutschland“

Die Ehe in Deutschland

Eine soziologische Analyse über Wandel, Kontinuität und Zukunft

von Rosemarie Nave-Herz

 

Über das Buch

Rosemarie Nave-Herz analysiert die Ehe erstmals soziologisch als eine eigene Lebensform, und zwar im Hinblick auf ihre vielfältigen Aspekte. Dabei werden aktuelle Probleme aufgegriffen, wie bspw. Kinderehen, Zwangsehen, die Zunahme von kinderlosen Ehen und der Anstieg der Ehescheidungen. Historische Rückblenden helfen, das Erkennen des gegenwärtig Besonderen zu ermöglichen. Ziel des Buches ist es, offene Fragen und aktuelle Probleme zu benennen und zu diskutieren sowie ihren Wandel aufzuzeigen.

Leseprobe aus den Seiten 36 bis 41

 

3 Die heutige Bedeutungszuschreibung an die Ehe

3.1 Die heutige Bedeutungszuschreibung an die Ehe aus makrosoziologischer Sicht

Die Richtung des gesellschaftlichen Wandels in der Bedeutungszuschreibung an die Ehe spiegelt sich zunächst in den entsprechenden Gesetzesveränderungen wider, weswegen auf diese als erstes eingegangen wird. Damit soll auf keinen Fall behauptet werden, dass Gesetzestexte – und somit auch die Ehegesetze – die soziale Realität beschreiben, sondern sie geben lediglich Auskunft über die allgemeinen öffentlichen Erwartungen an die Ehe; konkret: Aus ihnen kann der soziale Wandel der öffentlichen und politischen Bewusstseinsebene im Hinblick auf die Ehe abgelesen werden.

Auch die Wirkung des Ehegesetzes auf Veränderungen im Verhalten von Ehepartnern bzw. -partnerinnen darf nicht überschätzt werden. Zu Recht betont Limbach: „Der Zwangscharakter des Rechts gerade im Familienrecht ist in besonderem Maße eingeschränkt. Die Ehepflichten können allenfalls eingeklagt, aber nicht mit Hilfe der Vollstreckungsbehörden durchgesetzt werden“. So kann der Ehemann nicht mithilfe eines Zwangsgeldes zu hauswirtschaftlichen Arbeiten herangezogen, der untreue Ehemann oder die untreue Ehefrau nicht mithilfe des Gerichtsvollziehers an den heimischen Herd zurückgeholt werden. „Gerichtlich durchsetzbar sind nur vermögensrechtliche Pflichten wie etwa die Unterhaltspflicht“ (Limbach 1988: 11).

Die gegenwärtigen juristischen Ehebestimmungen basieren auf dem in der Bundesrepublik Deutschland 1976 verabschiedeten Eherechtsreformgesetz, in dem die veränderten sozialen Wertvorstellungen in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und auf den Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes Rechnung getragen werden sollten. Das patriarchalische Ehemodell sollte seine Gültigkeit zugunsten des Gleichheitsprinzips verlieren. So wird nunmehr die Entscheidung, wie die ehelichen Beziehungen geregelt werden sollen, den Ehepartnern unter der Bedingung der gegenseitigen Rücksichtnahme überlassen. Aus diesem Grunde wurden die Paragrafen, die sich auf die eheliche Verhaltensebene beziehen, verändert. So bestimmt z. B. gegenwärtig der

  • 1356: „(1) Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. Ist die Haushaltsführung einem der Ehegatten überlassen, so leitet dieser den Haushalt in eigener Verantwortung. (2) Beide Ehepartner sind berechtigt erwerbstätig zu sein. Bei der Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben sie auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen.“

Ob die soziale Realität mit diesen Paragrafen deckungsgleich ist, wird in Kapitel 12.2 geprüft.

Unverändert blieb, dass der Gesetzgeber die Bedeutung der Ehe als lebenslange Solidargemeinschaft betont. Der entsprechende Paragraf wurde am 1.10.2017 auf homosexuelle Paare ausgedehnt. Bis dahin hieß es: „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung“ (§ 1353 (1) BGB). Er lautet nunmehr:

  • 1353 (1): „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung“.

Trotz dieses beibehaltenen Versprechens, dass die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird, kann sie aber bei Scheitern wieder aufgelöst werden (nach einem Jahr Getrenntlebens, bei Widerspruch eines Partners spätestens nach drei Jahren; § 1566 BGB).

Unangetastet blieben ferner das staatliche Monopol der Eheschließung und gleichzeitig das staatliche Sprachmonopol über das Wort „Ehe“. Denn in den §§ 1310–1312 BGB ist festgeschrieben:

  • 1310 (1): „Die Ehe wird nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen“.
  • 1311: „Die Eheschließenden müssen die Erklärungen nach § 1310 Abs. 1 persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben. Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben werden“.
  • 1312 (1): „Der Standesbeamte soll bei der Eheschließung die Eheschließenden einzeln befragen, ob sie die Ehe miteinander eingehen wollen, und, nachdem die Eheschließenden diese Frage bejaht haben, aussprechen, dass sie nunmehr kraft Gesetzes rechtmäßig verbundene Eheleute sind“.

Das Bundesverfassungsgericht hat dieses staatliche Monopol der Eheschließung nochmals explizit bestätigt: „Die Tatsache der Eheschließung muss für die Allgemeinheit erkennbar sein, die Eheschließung muss unter staatlicher Mitwirkung erfolgen und ihr Bestand muss amtlich registriert worden sein“ (zit. nach Henrich 1999: 28).

Mit diesen rechtlichen Bestimmungen ist die Ehe weiterhin – wie bereits zuvor betont: Seit der Einführung des BGB am 1.1.1900 – eine Institution des Staates. Durch ihn wird eine emotionale Beziehung in ein Vertragsverhältnis überführt, in dem vornehmlich Besitz- und Vermögensverhältnisse, aber auch Verhaltensweisen juristisch vorgeschrieben werden. Der Staat hat sein Eheschließungsmonopol an die Gewährung sozialpolitischer, steuerlicher u. a. Vorteile gekoppelt und damit gefestigt. Gleichzeitig damit hat er sein Definitionsmonopol im Hinblick auf das Wort „Ehe“ gestärkt.

Wie stark – bzw. unreflektiert – an der staatlichen Definitionsmacht des Begriffs „Ehe“ festgehalten wird, zeigte sich deutlich an den öffentlichen und parlamentarischen Diskussionsbeiträgen in den Jahren 2016/2017 über die Forderung der „Ehe für alle“, also auch für homosexuelle Paare.

Ihre Befürworter betonten die Gleichheit beider Lebensformen, denn die Bedeutungszuschreibung an die Ehe – wie sie im BGB festgeschrieben ist – gelte ebenso für homosexuelle Paare, nämlich eine Solidargemeinschaft zu sein. Ein Verweis der Ehe auf Kinder ist rechtlich nicht festgeschrieben und wäre auch nicht mehr zeitgemäß. Durch die Eheschließung sollten homosexuelle Partnerschaften die Verantwortung der Partner füreinander und ihre gegenseitige Beistandspflicht öffentlich durch einen Standesbeamten beurkunden können. Durch das Lebenspartnerschaftsgesetz war seit dem 16.2.2001 (erweitert 2005) homosexuellen Paaren diese Möglichkeit bereits eingeräumt worden. Sie wollten aber keine „Ehe zweiter Klasse“ schließen und forderten deshalb „die Ehe für alle“. Damit sollten gleichzeitig die noch bestehenden rechtlichen Ungleichheiten zwischen der „Ehe“ und der „Eingetragenen Lebenspartnerschaft“ (vgl. Tann 2012) aufgehoben, vor allem auch die Fremdadoption für sie ermöglicht werden. Statt der Forderung „Fremdadoptionsmöglichkeit für alle“ wurde die der „Ehe für alle“ gestellt. Dem Staat sollte nicht die Definitionsmacht entzogen werden, sondern im Gegenteil. Die Forderung „Ehe für alle“ war an den Staat adressiert. Damit wird deutlich, dass ihre Fordernden an der staatlichen Definitionsmacht festhielten und festhalten.

Dem Antrag wurde am 7.6.2017 durch den Bundesrat stattgegeben. Der Staat hat den Begriff Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare ausgedehnt. Er folgte damit dem Votum der Mehrheit der Bevölkerung. Denn in einer repräsentativen Umfrage stimmten 83 % dem Statement zu: „Ehen zwischen zwei Frauen bzw. zwei Männern sollten erlaubt sein“ (Antidiskriminierungsstelle 2017).

Die Definitionsmacht bzw. das Definitionsmonopol des Staates über das Wort „Ehe“ wird auch seitens der Nichtehelichen Partnerschaften nicht infrage gestellt. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, bezeichnen die Betroffenen und auch die Öffentlichkeit diese Lebensform nicht als „Ehe“, sondern als „Partnerschaft“, „Lebenspartnerschaft“, zuweilen auch als „Lebensabschnittspartnerschaft“; man spricht von „seinem Partner“ bzw. „seiner Partnerin“ oder von „seiner Lebensgefährtin“ bzw. seinem „Lebensgefährten“. Hierauf wird näher in Kapitel 4 eingegangen.

Bevor der Staat sich das Recht der Eheschließung monopolistisch angeeignet hat, hatte – wie gezeigt – vor allem die katholische Kirche durch die Eheschließung Einfluss auf die Ehe und ihre Bedeutungszuschreibung genommen. Ihrerseits besteht diese Absicht explizit bis heute, weswegen auf sie im Folgenden eingegangen wird.14

Die katholische Kirche weicht in ihrer Bedeutungszuschreibung an die Ehe von der juristischen stark ab, obwohl auch sie in den letzten Jahren gewisse Veränderungen in der Bedeutungszuschreibung an die Ehe durchführte. Auf die seit 2013 sehr intensiv und differenziert geführte innerkirchliche, theologische Diskussion kann hier nicht eingegangen werden, was in dieser Abhandlung auch nicht notwendig ist. Sie wurde ausgelöst durch die Berufung von Papst Franziskus:

Er leitete einen synodalen Prozess des gemeinsamen Nachdenkens der Weltkirche über die Familie ein, in den er nicht nur die Bischöfe und Verantwortlichen aus allen Regionen der Welt, sondern auch die Gläubigen der Weltkirche einbezog … Im November und Dezember 2013 fand eine weltweite Umfrage bei allen Gläubigen in den Gemeinden statt, die von den Diözesen und den nationalen Bischofskonferenzen im Auftrag des Vatikans organisiert wurde. Die Antworten wurden von den nationalen Bischofskonferenzen gesammelt, zusammengefasst und bis Mitte 2014 nach Rom gesandt (Klein 2018: 168f.).

Für Deutschland stellte die – zwar nicht repräsentative – Befragung (Pressemitteilungen der deutschen Bischofskonferenz 2014) eine gelegentlich lebensferne Sexualmoral fest: „Die kirchliche Lehre, dass alle Sinngehalte menschlicher Sexualität in jeder sexuellen Begegnung berücksichtigt werden sollten und daher jeder ‚absichtlich unfruchtbar gemachter eheliche Akt‘ in sich unsitt- lich sei (vgl. Humanae vitae Nr. 14), wird von der Mehrheit der Katholiken abgelehnt“ (2014: 5/15). Zuvor wurde ebenso aufgrund einer regional auf Bonn begrenzten Erhebung zusammenfassend betont: „Im Blick auf die kirchliche Sexuallehre wird man für die Grundgesamtheit der Befragten feststellen müssen: sie wird faktisch durch alle Altersgruppen hindurch nicht akzeptiert“ (Stadtdekanat Bonn/Bonner Katholikenrat 2013: 10).

Innerhalb der katholischen Weltkirche schlossen sich nach dieser Befragung ein Diskussionsprozess auf mehreren Ebenen und auch eine zweite Befragung (Herbst 2014) an.

Witzenbacher (2018) beschreibt zusammenfassend die Ehe nach gegenwärtigem katholischem Verständnis wie folgt:

Nach der lateinischen Tradition sind es Mann und Frau, die sich das Sakrament der Ehe spenden. Indem sie den Konsens erklären und in der körperlichen Hingabe zum Ausdruck bringen, empfangen sie die Gabe Gottes (AL 75). Die Erlösung und der Bund Gottes mit den Menschen wandelt die Ehe zu einem Zeichen, in dem wie auch in anderen Sakramenten das in Christus geschenkte Heil sichtbar und wirksam wird. In dieser Einbeziehung der ehelichen Gemeinschaft in die Gemeinschaft mit Christus liegt der Grund des Verständnisses der Ehe als Sakrament. Die Ehe ist als ekklesiale Wirklichkeit eine ‚Kirche im Kleinen‘ (LG 11), deren Gemeinschaft von der Gemeinschaft mit Christus geprägt ist. Aus dieser Sicht ergeben sich auch die wesentlichen Eigenschaften, die der Ehe nach katholischem Verständnis beigelegt werden: Einheit, Offenheit für das Leben, Treue und Unauflöslichkeit (AL 77) (Witzenbacher 2018: 160).

Aus dem Zitat wird deutlich, dass die katholische Auffassung von der Sakramentalität der Ehe weiterhin von grundsätzlicher Bedeutung ist. Es sind weiterhin ausschließlich Mann und Frau, die eine Ehe eingehen können. Eine gleichgeschlechtliche Ehe kommt für die katholische Kirche nicht infrage. Die Reihenfolge „der wesentlichen Eigenschaften“ belegt ferner, dass die Ehe weiterhin unbedingt auf Kinder verweist („Offenheit für das Leben“) und „der Zusammenhang zwischen Ehe und Familie im kirchlichen Verständnis fundamental ist“ (vgl. ebenso Heimbach-Steins 1999: 14; Schockenhoff 2020: 19), wenn auch „Eheleute, denen Gott Kindersegen versagt hat, … ein menschlich und christlich sinnvolles Eheleben führen (können). Ihre Ehe kann fruchtbar sein an Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Opfergeist und diese ausstrahlen“ (Katechismus der katholischen Kirche 1993: 445).

Die Ehe wird aber nunmehr auch als eine „innige Lebens- und Liebesgemeinschaft“ (Katechismus der katholischen Kirche 1993: 445) gesehen (benannte Eigenschaft: „Einheit“), die jedoch von Menschen nicht aufgekündigt werden kann („Treue und Unauflöslichkeit“).

Über die zuletzt von Witzenbacher genannte Eigenschaft der Ehe, ihre Unauflöslichkeit bzw. über die Wiederverheiratung Geschiedener, werden zurzeit sehr intensive innerkirchliche Diskussionen geführt (vgl. z. B. Ruh/Wiljens 2015; Kasper 2014; Osa 2014), die aber bisher zu keinen Veränderungen geführt haben.

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14 Wenn auch noch weitere Institutionen auf der Makroebene die Strukturen von Ehen mitbedingen, wie z. B. sozial- und familienpolitische Maßnahmen, betriebspolitische Entscheidungen u. a. m., so bleiben diese in diesem Kapitel deshalb unberücksichtigt, weil sie nicht explizit eine bestimmte konkrete Bedeutungszuschreibung an Ehen öffentlich proklamieren, sondern das Prinzip der Wahlfreiheit in der Öffentlichkeit vertreten. Das schließt nicht aus, dass sie dennoch zuweilen direkt oder indirekt ein bestimmtes Ehemodell unterstützen, z. B. durch das Steuersplitting die formal geschlossene Ehe.

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