Kann es funktionieren, sich selbst zu führen? Wir haben ein Interview mit den Autor*innen Julian Löhe und Jana Kunze zu ihrem Buch „Self-Leadership in Sozialen Organisationen“ geführt.
Über das Buch
Sich selbst führen? Geht das überhaupt? Die Kurzantwort: Ja, aber… Führung ist mehr als die Ausübung von Macht und Autorität. In Organisationen der Sozialen Arbeit stehen qua Auftrag und Ziel die zwischenmenschlichen Beziehungen im Zentrum. Deshalb ist dort die Fähigkeit und Möglichkeiten zur Selbstreflektion von Mitarbeitenden und Führungskräften besonders bedeutsam. Dem Self-Leadership liegt der Ansatz zugrunde, dass Menschen sich durch einen reflektierten Umgang mit der eigenen Person individuell führen können. In vorliegender Publikation wird die Frage nach diesem „aber“ beleuchtet: wie kann Selbstführung unter Berücksichtigung einer Individualperspektive, wie auch aus Perspektive der Organisation umgesetzt werden? Im Rahmen des Holistic-Individual-Ansatzes schließt dieses Fachbuch eine Lücke in der Führungslehre für Organisationen der Sozialen Arbeit, indem systematisch der Frage von Selbstführung nachgegangen wird. Nach der Lektüre dieses Fachbuches wissen Sie, wie und wo Sie bei sich selbst und in der Organisation ansetzen müssen, damit Self-Leadership in einer Organisation der Sozialen Arbeit als Konzept implementiert werden kann.
Lieber Julian Löhe, liebe Jana Kunze, worum geht es in Self-Leadership in Sozialen Organisationen?
Self-Leadership ist ein Führungsansatz, der die Fähigkeiten und die Eigenverantwortung jedes Einzelnen betont. Schon dieser Grundsatz macht deutlich, wie gut Self-Leadership in Soziale Organisationen passt. Denn es geht nicht nur darum, Klient:innen individuell zu betrachten, sondern auch die Mitarbeitenden. Im Personalmanagement Sozialer Organisationen geht das manchmal leider etwas unter. Doch gerade in diesen Organisationen ist das wichtig. Soziale Organisationen zeichnen sich durch eine hohe Ethik und Werteorientierung aus, Teamarbeit und Zusammenhalt ist hier oft wichtiger als in anderen Bereichen. Auch, weil die emotionale Belastung in der Zusammenarbeit mit vulnerablen Klient:innen sehr hoch sein kann. Funktionierenden Teamarbeit kann da entlasten und Selbstfürsorge wie auch Psychohygiene sind dann wichtig. Der Self-Leadership Ansatz knüpft genau an dieser Stelle an.
Während klassische Führungsansätze sich oft damit beschäftigen – und Praktiker:innen daran verzweifeln lassen – andere Menschen zu beeinflussen, erkennt das Self-Leadership die Realität in der Zusammenarbeit von Menschen an. Ging es bei früheren Führungsansätzen noch vorrangig um handlungsorientierte Methoden und Fertigkeiten, gilt beim Self-Leadership das Erlangen des Bewusstseins, der „Blick nach innen“ auf die eigene Person – auf Visionen, Werte und Stärken, aber auch Schwächen – als handlungsweisende Maxime. Es handelt sich beim Self-Leadership um einen die eigene Person beeinflussenden Prozess. Das Buch richtet sich vor allem an Mitarbeitende mit Führungsverantwortung. Self-Leadership wird in der vorliegenden Publikation als Führungsansatz in Organisationen verstanden. Gleichwohl können Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung sich auch selbst führen.
Self-Leadership baut auf mehreren zentralen Konzepten auf:
Selbstbewusstsein: Führungskräfte lernen ihre eigenen Stärken, Schwächen und Fähigkeiten kennen. Sie lernen in dem Ansatz über sich selbst, wie sie arbeiten, wie sie am besten motiviert werden und was ihre persönlichen und beruflichen Ziele sind.
Selbstmotivation: Self-Leadership beschäftigt sich mit der intrinsischen Motivation und damit der Frage: Worin liegen Befriedigung und Belohnung in der Arbeit selbst? Damit knüpft Self-Leadership an auch Konzepte wie New Work oder Fragen nach Sinn in der Beschäftigung an.
Selbstkontrolle: Der Ansatz befähigt dazu, dass Mitarbeitende ihre eigenen Handlungen und Entscheidungen kontrollieren können. Methodische Schritte helfen dabei, sich selbst Ziele zu setzen, Fortschritte zu verfolgen und notwendige Anpassungen vorzunehmen, um Ziele zu erreichen. Wichtig ist dabei: Es handelt sich um die eigenen Ziele, nicht um die der Organisation! Gleichzeitig ist natürlich darauf zu achten und zu hinterfragen, wie persönliche Ziele und die einer Organisation zusammen passen. Weichen diese sehr voneinander ab, ist ggf. auch zu überlegen, ob eine ausreichende Passung zwischen Organisation und Mitarbeitenden besteht. Self-Leadership kann mögliche Gaps gut aufzeigen.
Selbstverantwortung: Ein Folge von funktionierendem Self-Leadership ist, dass Führungskräfte und Mitarbeitende die Verantwortung für ihre Entscheidungen und Handlungen übernehmen. Sie sind deutlich öfter bereit, die Konsequenzen ihrer Handlungen zu tragen und aus ihren Fehlern zu lernen.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Jana Kunze hat den Masterstudiengang Sozialmanagement an der FH Münster studiert und sich im Rahmen des Studiums intensiv mit dem Konzept des Self-Leaderships auseinandergesetzt. Prof. Löhe leitet den Studiengang und Self-Leadership reiht sich in die moderneren Ansätze im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung von Menschen im Personalmanagement ein (Holistic-Individual-Ansatz). So ist Self-Leadership auch ein Bestandteil im Modul Personalmanagement im Masterstudiengang. Unter den Studierenden, die (angehende) Führungskräfte von sehr unterschiedlichen Sozialen Organisationen sind, ist aufgefallen, dass ein großes Interesse in der Praxis besteht. Gleichzeitig gibt es aber keine Publikation, die sich systematisch mit dem Konzept des Self-Leadership für die Praxis Sozialer Organisationen beschäftigt. Deswegen haben wir die Herausforderungen aufgenommen und das Buchprojekt gestartet.
Kann und soll eine Führungskraft einfach so „loslegen“, nachdem sie sich in das Konzept des Self-Leadership eingelesen hat? Oder ist professionelle Begleitung für die Umsetzung empfohlen?
Ja und Nein. Der Self-Leadership-Ansatz erfordert einen Kulturwandel in vielen Organisationen, da er traditionelle Hierarchien und Kontrollstrukturen herausfordert. Wenn der Ansatz umfassend gedacht und implementiert werden soll, ist daher professionelle Begleitung sicherlich hilfreich.
Das schöne an dem Ansatz ist aber – und so ist es hier in dem Buch auch beschrieben – dass er individuell umgesetzt werden kann. Da heißt: Jede Führungskraft kann mit den Methoden aus dem Buch direkt bei sich beginnen. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen in einem Minimum stimmen. Wenn Sie in einer Einrichtung hoffnungslos unterbesetzt sind und Sie kaum Zeit haben, der regulären Arbeit nachzukommen, dann wird es wohl kaum Zeit für erforderliche Selbstreflexion geben. Aber ansonsten kann direkt losgelegt werden.
Lieber Julian Löhe, liebe Jana Kunze, wie kann aus Ihrer Sicht Selbstführung so umgesetzt werden, dass sowohl die Individualperspektive der Führungskraft als auch die Perspektive der Organisation auf bestmögliche Weise einfließt?
Self-Leadership geht davon aus, dass eine Führungskraft sich zunächst selbst führen können muss, bevor sie andere erfolgreich führen kann. Dafür braucht eine Führungskraft Spielraum sowie – sowohl tatsächlich als auch im übertragenen Sinne – Räume und Zeit für Selbstreflexion. Denn ein effektives Self-Leadership beginnt anfänglich mit der bewussten Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit den persönlichen Verhaltens- und Denkweisen sowie mit dem Wissen um die Stärken und Schwächen, verbunden mit der Frage nach individuellen Verhaltenseigenschaften.
Die Möglichkeit zur Selbstreflexion ist damit Voraussetzung dafür, dass Führungskräfte ihre eigenen Kompetenzen im Rahmen ihrer Organisation verorten (können). Hilfreich ist hierbei, dass Führungskräfte Supervision oder Coaching erhalten. Denn Supervisor:innen können sowohl dabei helfen, eigenen Stärke und Ziele zu identifizieren, wie auch ein reservierter Zeitblock (nämlich der Termin mit dem:r Supervisor:in) dabei unterstützt, tatsächlich Zeit zur Selbstreflexion vorzuhalten.
Darum sind wir Autor*innen bei Budrich
Der Verlag Barbara Budrich ist dafür bekannt, Publikationen für Soziale Organisationen für veröffentlichen. Der Verlag ist damit auf unsere Zielgruppe eingestellt und wir glauben, dass wir damit einen optimalen Zugang für die Zielgruppe unserer Publikation eröffnen.
Kurzvitae in eigenen Worten
Prof. Dr. Julian Löhe ist Coach/Supervisor (DGSv), Sozialarbeiter und Professor für Organisation und Management an der FH Münster. Er leitet den Masterstudiengang Sozialmanagement und befasst sich insbesondere mit den Themen Personalmanagement, Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Sozialwirtschaft. Freiberuflich begleitet er Organisationen bei Organisationsentwicklungsprozessen unterschiedlicher Art und berät Führungskräfte und Teams als Coach und Supervisor.
Jana Kunze ist Sozialmanagerin (M.A.) und hat sich auf Self-Leadership als Führungsansatz im Sozialmanagement spezialisiert. Sie ist Lehrbeauftragte zu dem Thema und war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Organisation und Management in der Sozialen Arbeit an der FH Münster. Darüber hinaus steht sie in der Praxis für das Thema und ist Teamleitung in der Bezirksjugendarbeit bei der Stadt Hagen.