„Wissenschaftlich muss die Ehe als eigenständige Lebensform mit eigener Sinnzuschrift erkannt und analysiert werden“ – Interview mit Rosemarie Nave-Herz, Autorin von „Die Ehe in Deutschland”

von Rosemarie Nave-Herz

 

 

 

 

Über das Buch

Rosemarie Nave-Herz analysiert die Ehe erstmals soziologisch als eine eigene Lebensform, und zwar im Hinblick auf ihre vielfältigen Aspekte. Dabei werden aktuelle Probleme aufgegriffen, wie bspw. Kinderehen, Zwangsehen, die Zunahme von kinderlosen Ehen und der Anstieg der Ehescheidungen. Historische Rückblenden helfen, das Erkennen des gegenwärtig Besonderen zu ermöglichen. Ziel des Buches ist es, offene Fragen und aktuelle Probleme zu benennen und zu diskutieren sowie ihren Wandel aufzuzeigen.

 

Liebe Rosemarie Nave-Herz, welchen „Beitrag zum Forschungsdiskurs möchten Sie mit Ihrem Titel Die Ehe in Deutschland leisten – welche Lücken füllt er?

Der Titel bezieht sich auf eine Forderung, die ich schon seit vielen Jahren vertrete, nämlich wissenschaftlich die Ehe als eine eigenständige Lebensform mit ihrer eigenen Sinnzuschrift zu erkennen und zu analysieren. Bislang wurden in der Soziologie die Ehe vornehmlich im Hinblick auf die Familie oder nur spezielle Einzelprobleme von Ehebeziehungen behandelt, aber nicht umfassend analysiert. Für die Vergangenheit ist diese wissenschaftliche Subsumierung der Ehe unter die Familie gerechtfertigt, da die Ehe vor allem im Hinblick auf die Familiengründung eingegangen wurde und die Ehe- und Familienzeit zumeist identisch waren. Letzteres unterlag einem gravierenden zeitgeschichtlichen Wandel. Das Ziel meiner Veröffentlichung ist es, die Lebensform „Ehe“ erstmalig unter soziologischer Perspektive sekundäranalytisch möglichst umfassend zu analysieren, offene Fragen und aktuelle Probleme zu benennen und zu diskutieren sowie ihren Wandel aufzuzeigen.

 

Auf welche Herausforderungen treffen Sozialwissenschaftler*innen bei der Erforschung von Lebensgemeinschaften wie der Ehe?

Da fast jeder in unserer Gesellschaft während seines Lebens Erfahrungen mit eigenen Eheproblemen gesammelt hat und jeder das Eheleben von Verwandten und Freunden kennt, stehen Soziologinnen und Soziologen, wenn sie über ihr Wissenschaftsgebiet – so auch über die Lebensform „Ehe“ – sprechen oder schreiben vor dem Dilemma, dass ihre Ausführungen mit diesen persönlichen „Wissensbeständen“ konfrontiert werden. Um ein Dilemma handelt es sich hierbei deswegen, weil bei Übereinstimmung von wissenschaftlichen Ergebnissen und Alltagserfahrung in der Wahrnehmung der Adressaten eigentlich nur Bekanntes präsentiert, bei Nicht-Übereinstimmung Zweifel an der Forschung ausgelöst wird, da man persönliche Erfahrungen nicht gerne zu Ausnahmefällen „stempeln“ lässt und familiale Erlebnisse zumeist mit starken Emotionen besetzt sind. Dieses Dilemma muss ich versuchen zu entkräften.

 

In Ihrer Publikation beschäftigen Sie sich unter anderem mit dem Wandel der Ehe in Deutschland. Wie hat sich hier das Konzept der Ehe verändert?

Das Wort „Ehe“ hat sich über Jahrhunderte hinweg unverändert erhalten. Doch welche konkreten Bedingungen erfüllt sein mussten, damit eine Paarbeziehung in unserem Kulturbereich als „Ehe“ bezeichnet wurde, hat sich historisch mehrfach verändert. Das galt auch für die Bedeutungszuschreibungen oder Konzepte, die mit dem Wort „Ehe“ verknüpft wurden: vertragsrechtliche, katholisch-sakrale, protestantische oder naturrechtliche. Heutzutage gibt es keine einheitliche Bedeutungszuschreibung an die Ehe in Deutschland.

In meinem Buch gehe ich auf die historischen Ehe-Konzepte ein sowie auf die unterschiedlichen in der Gegenwart.

 

Hat die Ehe eine Zukunft oder wird die Idee zunehmend von anderen Beziehungsformen abgelöst?

Wenn auch die Ehe in Deutschland an Zahl und vielfach in Bezug auf die Dauer abnehmen wird, bleibt sie dennoch als eine spezifische Lebensform auch in Zukunft neben anderen Lebensformen bestehen. Sie wird ihre Struktur verändern, aber die mit ihr bereits gegenwärtigen unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen seitens der Öffentlichkeit und der Betroffenen bleiben, wobei ihre Bedeutung als Symbolinstitution zunehmen wird.

 

Kurzvita der Autorin in eigenen Worten

Prof. Dr. Dr. h. c. Rosemarie Nave-Herz: Professur für Soziologie an der Universität Oldenburg; zuvor an der Universität Köln und Gastprofessur an der University of Sussex/England, von 1993 bis 1997 Vizepräsidentin des „Committee on Family Research“ der International Sociological Association, von 1989-1992 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, bis 2003 Mitglied diverser Beiräte, Kuratorien, Sachverständigen Kommissionen (z. B. des 5. Familienberichts) und Mitherausgeberschaft verschiedener soziologischer Zeitschriften.

 

 

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© Autorinnenfoto: Universität Oldenburg