Gender Publication Gap – zwischen Statistik und Empowerment

Protestschild lehnt an Wand mit der Aufschrift "Women of the world this is just the beginning!"

Beitrag von Barbara Budrich

Keine Frage: Es gibt sie, die Ungleichverteilung von Publikationen entlang einer gedachten Genderlinie; auch in den Sozial- und Erziehungswissenschaften. Diese Ungleichverteilung ist während der Pandemie noch einmal größer geworden – während die Zahl der Publikationen von Vätern in der Pandemie stieg, ist die von Müttern eingebrochen (Czerney u.a. 2022).

Als Erklärungen für die Publikationsschere zwischen Männern und Frauen wurden vor der Pandemie strukturelle Benachteiligungsmechanismen zur Begründung herangezogen. Hierzu zählt, dass Frauen in höheren akademischen Positionen häufig unterrepräsentiert sind und weniger Zugang zu Forschungsmitteln haben. Hierzu zählen aber auch Peer-Review-Systeme, die den Effekt haben, dass Männer häufiger als Experten wahrgenommen werden. Und hierzu gehört ungleich verteilte Care-Arbeit, die zu mehr konfligierenden Ansprüchen auf die „wissenschaftliche Me-Time“ von Frauen führt als auf die von Männern.

Die Pandemie hat in vielen Bereichen – nicht nur in der Wissenschaft – diese grundlegende Benachteiligung von Frauen verschärft. Die UN berichtet für das Jahr 2022, dass es weitere 286 Jahre dauern wird, bis wir als Weltgesellschaft die genderbasierte Ungleichheit hinter uns gelassen haben werden. (Eine der vielen Zahlen, die mich in diesem Zusammenhang sehr beeindruckt hat: 85 Prozent der CEOs der 500 umsatzstärksten Unternehmen weltweit sind männlich.)

Das ist nichts Neues. Doch was machen wir damit?

 

Von der prekären Statistik zum Empowerment im Einzelfall

Seit vielen Jahren arbeite ich mit Wissenschaftler*innen in Gruppen- und Einzelcoachings, vor allem in Schreibcoachings. Wie bei so vielen Dingen im Leben gilt beim Schreiben: „How you do anything is how you do everything.“ Sprich: Wir kommen übers Schreiben, über Schreibblockaden und Zeitprobleme immer wieder auf das Leben als solches. Nicht philosophisch, sondern sehr praktisch gewendet. Und wie im Coaching üblich, mit vielen Einsichten, vor allem über den Umgang mit sich selbst.

Ja, viele Frauen finden sich „zwischen“ – zwischen den Anforderungen von Gremienarbeit, Lehre, prekären Anstellungsverhältnissen, Familie, Care-Aufgaben und dem eigenen Anspruch, ein Opus Magnum zu schreiben – oder doch zumindest gute Texte. Der Anspruch an das eigene Schaffen ist hoch. Die verfügbare Zeit eher gering. Hinzu kommt, dass vielfach die Strategien nicht bekannt sind, die es Autor*innen ermöglichen, auch kleinere Zeitschnipsel effizient für die eigene Textarbeit zu nutzen. (Und natürlich gibt es auch Männer, denen derartige Schwierigkeiten nicht fremd sind.)

Bei diesen Diskussionen kommen wir nicht selten an den Punkt, dass ich nach Genderaspekten von Schreibproblemen gefragt werde. Auf struktureller Ebene gibt es diese Genderaspekte, das haben wir oben gesehen. Doch auf der individuellen Basis ziehe ich es vor, den Fokus wegzulenken von Auseinandersetzungen entlang von Genderlinien. Ich möchte das am Beispiel meiner eigenen Berufsbiografie ein wenig erläutern:

Als ich 2004 meinen Verlag gründete, wurde ich gefragt, wie ich mit der allgegenwärtigen Diskriminierung von Frauen umginge. Natürlich habe auch ich sexualisierte Gewalt erlebt, wurde als Frau nicht ernst genommen. Ich habe mich dennoch sehr bewusst dazu entschieden, nicht von meinen Diskriminierungserfahrungen als Frau zu berichten. Stattdessen erzählte ich davon, dass ich eine ganze Reihe namhafter Professor*innen und Autor*innen als Unterstützer*innen für meinen noch jungen Verlag hatte. Es war eine turbulente Zeit, und ich war unglaublich dankbar für diese Unterstützung vieler namhafter Wissenschaftler*innen. Die Verlegerei ist ein „Beziehungsgeschäft“: Ohne Vertrauen, ohne gute Beziehungen als Basis kann kein Verlag existieren. Doch, ob es ein Mann in vergleichbarer Situation leichter gehabt hätte? Möglicherweise. Aber was hilft es mir, wenn ich diese Frage bejahe? In meinem spezifischen Fall ist es im unternehmerischen Alltag deutlich produktiver, dass ich mich über die Unterstützung freue. Ich für meinen Teil habe beschlossen, die Zeit, die ich ins Nachdenken über Diskriminierung zu nutzen – um Beziehungen zu gestalten, zusätzliche Publikationsprojekte zu gewinnen, Bücher zu verkaufen.

Anstatt Energie auf die Probleme selbst zu legen, konzentriere ich mich auch mit meinen Coachees auf die Lösungsmöglichkeiten. Welchen Effekt kann das haben? Für jede einzelne Autorin entschwindet für den Augenblick die Notwendigkeit, die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme auf das eigene Lebensmodell zu beziehen. So kann eine Mutter kleiner Kinder, die sich die Care-Arbeit mit ihrem Mann teilt und dennoch Benachteiligung an der Hochschule erlebt, sich aufs Schreiben fokussieren. Eine gestandene Professorin überdenkt ihre eigene Position innerhalb der Gremienarbeit und nimmt „Nein“ als wichtiges Wort in ihr eigenes Repertoire auf. Sie strukturiert ihre Tage gezielt so, dass sie den Text fertigschreiben wird, an dem sie schon lange sitzt. Eine weitere Wissenschaftlerin mit kleinen Kindern hat für sich festgelegt, dass sie stärker an ihrer Positionierung arbeiten möchte, anstatt unterschiedlichen Neigungen nachzugehen. Sie erhofft sich durch die passgenauere Ausrichtung mehr Leichtigkeit in ihrer akademischen Karriere. Zu Beginn unserer Zusammenarbeit stand bei ihrer Jobsuche das „Handicap der Mutterschaft“ im Zentrum – jetzt prüft sie andere Optionen.

Mit diesen individuellen Wegen werden wir die Problematik der Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb (und in so vielen anderen Bereichen) nicht lösen. Diese individuellen Lösungen machen Frauenquoten und Richtlinien für eine positive Diskriminierung nicht obsolet. Doch Frauen finden so zu Modellen, die ihnen Erfolg ermöglichen. Und je mehr Frauen individuell erfolgreich werden, desto mehr positive Vorbilder gibt es – und desto mehr alternative Modelle, erfolgreich zu forschen und zu lehren, etablieren sich. Es gilt also, sowohl top-down als auch bottom-up gemeinsam zu guten Lösungen zu finden, von denen letztlich alle profitieren – statistisch wie im Einzelfall.

 

Quellen

Czerney, Sarah, Lena Eckert, Silke Martin (2022): Mutterschaft und Wissenschaft in der Pandemie. (Un-)Vereinbarkeit zwischen Kindern, Care und Krise. Verlag Barbara Budrich.

UN-Women (2022): Progress on the Sustainable Development Goals: The Gender Snapshot 2022. [Zugriff: 27.2.2023]

 

 

Am 15. März nahm Barbara Budrich am Gleichstellungstag des Interdisziplinären Zentrums für Bildungsforschung an der Universität Duisburg-Essen teil. Sie gab dort unter anderem einen Workshop zum selbstbewussten Schreiben und Publizieren.

 

Zur Person Barbara Budrich

Im Jahr 1993 begann sie die Arbeit als Lektorin im Verlag Leske + Budrich, der ihrem Vater Edmund Budrich gehörte. Im Jahre 2004, nach dem Verkauf von Leske + Budrich, gründete Barbara Budrich ihr erstes eigenes Unternehmen, den Verlag Barbara Budrich. 2007 gründete sie die Budrich UniPress Ltd., die 2019 in Budrich Academic Press überführt wurde.

Sie hat zahlreiche Bücher und Aufsätze publiziert, wird zu unterschiedlichen Anlässen als Rednerin eingeladen – vom wissenschaftlichen Publizieren bis hin zu Unternehmensthemen – und ist vielfach ausgezeichnet. Weitere Informationen zu ihr auf ihrer eigenen Webseite.

 

Bild Barbara Budrich: Nina Schöner Fotografie.

 

Headerbild: unsplash.com / Ehimetalor Akhere Unuabona