Wie Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit bekämpfen?

Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit

Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit: ein Gastbeitrag von Julia Franz, Christian Spatscheck und Anne van Rießen

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Auch in der Sozialen Arbeit wird der Fachkräftemangel zunehmend sichtbar. Viele Stellen können nicht mit einschlägig ausgebildeten Fachkräften besetzt werden, mittlerweile gilt Soziale Arbeit als akuter Mangelberuf (AGJ 2022; Alsago/Meyer 2023; AWO 2023; Bundesagentur für Arbeit 2023). Dies hat weitreichende Konsequenzen: Diejenigen, die in unterbesetzten Einrichtungen und Ämtern arbeiten, können unter zu hohen Fallzahlen bzw. mit zu wenigen Ressourcen ihre Arbeit kaum schaffen und sind vielfach überlastet.

Die Folge sind Aufnahmestopps, reduzierte Angebote und schwindende Räume für Konzeption, Austausch und Reflexion. Teilweise muss im Arbeitsalltag nach akuter Gefahr priorisiert werden, zulasten der Bearbeitung chronischer Problemstellungen. Adressat:innen erhalten nicht mehr jene Hilfe- und Bildungsangebote, die sie eigentlich benötigen.

Und die Träger stehen unter Druck, ihrem Auftrag gerecht zu werden und sehen sich teilweise gezwungen, Qualifikationsanforderungen abzusenken, was zu einer De-Professionalisierung und der Aufweichung fachlicher Standards führt. Geringer qualifizierte Kräfte sind häufig nicht in der Lage die fachlichen Aufgaben adäquat auszuführen.

Diese Entwicklungen betreffen die Soziale Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen. Sie werden in der Praxis und bei den Trägern diskutiert, in den Studiengängen und Fakultäten der Hochschulen, in den Fachgesellschaften, auf bundes- und landespolitischer Ebene, in Betriebsgruppen, Gewerkschaften und Nutzer:innenorganisationen sowie in Fachpublikationen (vgl. etwa Fischer/Graßhoff 2020; Thole/Richter/Rätz 2019; Alsago/Meyer 2023; Meyer 2019; DGSA 2019; AGJ 2022; AWO 2023; Ehlert 2022; Otto 2018; Laub 2024; Spatscheck et al. 2024; Winker 2015).

Dabei war die Brisanz des sich verschärfenden Fachkräftemangels schon länger vorhersehbar: Viele der Ursachen und Hintergründe für den wachsenden Bedarf an Fachkräften kommen nicht überraschend – die Auswirkungen sind nun in den unterschiedlichen Kontexten spürbar.

 

Gründe für den Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit

Ein wesentlicher Grund liegt im wachsenden gesellschaftlichen Bedarf an Sozialer Arbeit. Die Ausweitung neuer Handlungsfelder, der wachsende Bedarf an professioneller Bearbeitung sozialer Problemlagen und neue Entwicklungsaufgaben führen dazu, dass die Zahl der benötigten Fachkräfte angewachsen ist (Fischer/Graßhoff 2020; Schneiders/Schönauer 2022; Bundesagentur für Arbeit 2023; Hickmann/Koneberg 2022).

Dazu kommt ein Generationswechsel innerhalb der Berufsgruppe. Die an Fachhochschulen seit den 1970er Jahren ausgebildeten Fachkräfte im sozialen Bereich scheiden nach und nach aus dem Erwerbsarbeitsmarkt aus. Obwohl dies seit Langem absehbar war, wurden an deutschen Hochschulen in den vergangenen Jahren nicht ausreichend neue Fachkräfte ausgebildet. Dies liegt primär daran, dass die Bundesländer nicht ausreichend für die bedarfsgerechte Planung und den Ausbau der Studienplätze tätig waren, viel zu lange wurden die Kontingente nicht ausgebaut.

Als neuere Entwicklung kommt hinzu, dass Studienangebote an privaten Hochschulen die Lücke füllen – mit Studienplätzen, die von Studierenden, ihren Eltern oder Arbeitgeber:innen über erhebliche Studiengebühren finanziert werden. Diese Privatisierung der originär staatlichen Aufgabe der Ausbildung geht mit Gerechtigkeits- und Qualitätsfragen einher (Meyer/Braches-Chyrek 2023; Klomann/Breuer-Nyhsen 2019; Otto 2018).

Mittlerweile gehen die Bewerber:innenzahlen für Studienplätze insgesamt zurück und ein erneuter Anstieg in den kommenden Jahren erscheint ungewiss (Wiarda 2024, Deutsches Jugendinstitut 2024: 34f.). Gleichwohl bleibt es bei einer erhöhten Studierneigung junger Menschen, die es aufrechtzuerhalten gilt (Deutsches Jugendinstitut 2024, Wissenschaftsrat 2024: 12).

Zusätzlich verschärfen die Situation Faktoren wie die kürzere Verweildauer von Fachkräften in der Sozialen Arbeit, ihre Abwanderung in andere Bereiche und gestiegene Anforderungen an Arbeitsbedingungen (Eichinger 2020; Pfiffner/Matti 2021).

Die Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass die Anerkennung von vergleichbaren Abschlüssen aus dem Ausland und die Integration geeigneter Quereinsteiger:innen nicht hinreichend geklärt und zu wenig klar organisiert ist (Stanulla 2019) und das Potenzial der neu hinzugekommenen Masterabschlüsse noch nicht hinreichend auf dem Erwerbsarbeitsmarkt eingetroffen ist (Spatscheck et al. 2024).

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Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit DGSA 150 pxJulia Franz, Christian Spatscheck, Anne van Rießen (Hrsg.):

Fachkräftemangel und De-Professionalisierung in der Sozialen Arbeit. Analysen, Bearbeitungsweisen und Handlungsstrategien

Leseprobe

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Zum Thema dieses Beitrags hat der Vorstand der DGSA e.V. ein Positionspapier veröffentlicht: Fachkräftemangel und De-Professionalisierungstendenzen in der Sozialen Arbeit

 

Die Beitragsautor*innen

 

Über das Buch

Der Fachkräftemangel und die damit einhergehenden Tendenzen der De-Professionalisierung und der Aufweichung fachlicher Standards werden aktuell in der Sozialen Arbeit an unterschiedlichen Orten kontrovers diskutiert. Der Band stellt Hintergründe und Problemdiagnosen zum Fachkräftemangel zusammen und zeigt Handlungsstrategien und professionspolitische Forderungen auf. Die Autor*innen betrachten dabei Beschäftigungsverhältnisse, Lehr-, Studien- und Forschungsbedingungen sowie die Verfasstheit der sozialen Angebots- und Infrastruktur.

 

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© Titelbild: unsplash.com, Priscilla Du Preez