„Geschlecht, Macht, Staat“: Leseprobe

Cover "Geschlecht, Macht, Staat"

Eine Leseprobe aus Geschlecht, Macht, Staat. Feministische staatstheoretische Interventionen (2., überarbeitete Auflage) von Gundula Ludwig, Kapitel „Feministische Staatstheorie: Anfänge, Entwicklungen, Ziele – eine Einleitung“.

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Feministische Staatstheorie: Anfänge, Entwicklungen, Ziele – eine Einleitung

Feministische Auseinandersetzungen mit dem modernen westlichen Staat setzten im Vergleich zu anderen Themenfeldern wie Familie, Körper, Se­xualität, Gewalt oder Arbeit in der deutschsprachigen Geschlechterfor­schung erst relativ spät ein. Dies hat seinen Grund in der engen Verwobenheit von Frauenforschung und autonomer Frauenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren. Für die autonome Frauenbewegung stellte der Staat „die Anti- Institution“ dar (Sauer 2004: 113), galt er doch als Inbegriff patriarchaler Herr­schaft. Demgegenüber wurden in basisdemokratischen, autonomen Frauen­gruppen alternative und herrschaftsfreie Formen von Politik erprobt. Die ‚Staatsferne‘ der Frauenbewegung verweist somit auf den radikalen Bruch mit bestehenden Formen des Politischen, den die Aktivistinnen der Frauenbewe­gungen forderten und der auch in dem Slogan Das Private ist politisch zum Aus­druck kommt.

„Die politische Autonomie der neuen Frauenbewegung, wie sie sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre herausgebildet hat, besteht weniger in der Separation von Männern als konkreten politischen Akteuren als in der Autono­mie gegenüber bestimmten Politikkonzepten und Organisationsformen, die in der Tradition patriarchaler Politik entwickelt wurden“ (Kontos 1990: 50).

Zugleich lässt das fehlende Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Staat und staatlichen Formen von Politik Rückschlüsse auf die damaligen politi­schen Kräfteverhältnisse zu: In einer Zeit, in der Frauen weder in politischen Institutionen repräsentiert waren noch als aktive politische Subjekte galten und in der Frauenunterdrückung und Geschlechterungleichheit explizit durch staat­liche Politiken abgesichert wurden, war es nicht weiter verwunderlich, dass der Staat nicht als relevanter Akteur im Kampf gegen Geschlechterherrschaft gese­hen wurde.

Ein weiterer Grund für die anfängliche Abwesenheit feministischer Analy­sen des modernen westlichen Staates lag in der Schwerpunktsetzung feministi­scher Kämpfe und Forschung: Als wesentliches Thema kristallisierte sich die Auseinandersetzung mit ökonomischen Herrschafts- und Ausbeutungsformen und daraus folgend die Kritik an der herrschenden patriarchalen Definition von Arbeit heraus. Als Konsequenz stellte vor allem die marxistische Theorie eine wesentliche Referenzfolie für die Frauenforschung dar, deren Kritik an der kapi­talistischen Organisation der Gesellschaft feministisch erweitert wurde. In je­nen marxistischen Arbeiten, die zu Beginn der Frauenbewegung und -forschung als Anknüpfungspunkt dienten, galt der Staat als mit dem Gewaltmonopol aus­gestattete Zentrale kapitalistischer Herrschaft, dem bis in die 1980er Jahre we­nig theoretisches Interesse zukam. Analog dazu richtete sich auch der Fokus feministischer Analysen und Kritik in den Anfängen der Frauenbewegung und -forschung nicht auf den Staat. Er wurde als juridischer Apparat zur Aufrechter­haltung geschlechtlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse ge­fasst – mit ihm war keine Politik zu machen; über ihn keine Forschung zu betreiben.

Erst im Laufe der 1980er Jahre begannen Feministinnen, sich der Frage zu nähern, wie der moderne westliche Staat mit Geschlecht verwoben ist. Diese Bewegung hin zum Staat wurde nicht zuletzt dadurch angetrieben, dass Aktivis­tinnen der Frauenbewegung sowohl in den Universitäten als auch in der staatli­chen Politik den Gang durch die Institutionen antraten. Dies hatte ein-schneidende Veränderungen zur Folge: Zahlreiche Reformen in der Familien-, Sozial- und Arbeitspolitik sowie im Bereich des Gewaltschutzes ab Ende der 1980er Jahre führten dazu, dass der Staat vermehrt auch als ein mögliches In­terventionsfeld auf dem Weg zu mehr Geschlechtergleichheit gesehen wurde. Als Konsequenz daraus erlangte der Staat für feministische (Politik-)Wissen­schaftler_innen Relevanz: Erste systematische Analysen zum geschlechtlichen Subtext des Staates wurden durchgeführt, um das Verhältnis von Staat und Ge­schlecht theoretisch und empirisch zu durchdringen, aber auch, um Möglichkei­ten und Begrenzungen feministischer Interventionen einschätzen zu können.

Die Ausgangsannahme feministischer staatstheoretischer Interventionen in den politikwissenschaftlichen main– und malestream lässt sich mit Nancy Fraser wie folgt auf den Punkt bringen: „Die Geschlechterherrschaft ist sozial allgegen­wärtig; wie Dachziegel ist sie mit der politischen Ökonomie und mit der politi­schen Kultur, mit dem Staatsapparat und mit der öffentlichen Sphäre verfugt“ (Fraser 1993: 147). Während die maskulinistischen Staatstheorien des male-und mainstream der Politikwissenschaft den Staat als geschlechtsneutral konzi­pieren, besteht das Anliegen feministischer Staatstheorie gerade darin, dessen Vergeschlechtlichung sichtbar zu machen. Ziel feministischer Staatstheorie ist somit eine „methodische Inversion“ (Kreisky 1992: 55), um zu zeigen, auf wel­che vielfältigen Weisen Geschlecht in staatlichen Institutionen sedimentiert ist (vgl. Kreisky 1997: 166).

Der Eintritt feministischer Forschung in den malestream der deutschspra­chigen Politikwissenschaft gestaltete sich keineswegs als einfach. Diese erwies sich im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen als besonders resis­tent (vgl. Kreisky/Sauer 1995: 9; Kreisky 2004; Rosenberger 1997). Dies liegt zum einem an dem dem mainstream der Disziplin inhärenten Mythos, dass die Gegenstände der Politikwissenschaft wie etwa Staat, Politik und Demokratie ge­schlechtsneutral seien. Zum anderen führten männerbündische Strukturen nicht nur dazu, dass Frauen als Forscherinnen, sondern auch Themen der Frau­en- und Geschlechterforschung lange Zeit aus dem main– und malestream der Politikwissenschaft ausgeschlossen blieben.

Trotz dieser Anfangshürden liegt mittlerweile eine große Bandbreite an fe­ministischen staatstheoretischen Arbeiten vor. Von einer „black box“, wie Birgit Seemann (1996: 20) das Themenfeld der feministischen Staatstheorie noch 1996 bezeichnete, kann heute keine Rede mehr sein. Das vorliegende Buch möchte grundlegende Theoriestränge und Konzepte feministischer Staatstheo­rie vorstellen, die sich mit der Vergeschlechtlichung moderner westlicher Staa­ten auseinandersetzen. Um zu verdeutlichen, dass sich der moderne westliche Staat ohne das moderne westliche Verständnis von Geschlecht und Geschlech­terdifferenz sowie ohne ein heteronormatives, bürgerliches Geschlechterregime nicht auf diese Weise herausbilden hätte können, werden im ersten Teil drei wichtige gesellschaftliche Veränderungen im Übergang zur Moderne skizziert: die Herausbildung des Geschlechter- und Sexualitätsdispositivs, die Entstehung der vergeschlechtlichten Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit und die Durchsetzung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Im anschlie­ßenden zweiten Teil werden verschiedene Ansätze der Theoretisierung von Staat und Geschlecht und dem Verhältnis der beiden dargelegt. Hier werden zentrale Ansätze aus der marxistisch-feministischen, gesellschaftstheoretisch-feministi­schen und poststrukturalistisch-feministischen Werkzeugkiste in ihren Grundzügen ebenso wie in ihren politischen Konsequenzen dargestellt. Im dritten Teil werden einzelne Themenfelder feministischer Staatstheorie vorgestellt. Sowohl frühe feministische Arbeiten als auch gegenwärtige Diskussionen zu den jeweiligen Themenbereichen, die zunehmend Intersektionalitätsansätze und queer-femi­nistische Einsichten berücksichtigen, werden in diesem Kontext besprochen.

Ziel des Buches ist es, die vielfältigen Zugänge in den Theoretisierungen und in den Konzepten aufzuzeigen, die die Vergeschlechtlichung moderner westlicher Staaten aus einer feministischen Perspektive erklären möchten. Ich werde insbesondere auf Analysen des deutschen Staates und des österreichi­schen Staates und auf deutschsprachige Diskussionen fokussieren. Das Buch will zeigen, dass trotz der Heterogenität der Zugänge alle feministischen staats­theoretischen Arbeiten von dem politischen Interesse getragen sind, durch das Aufzeigen der Vergeschlechtlichung des modernen westlichen Staates hegemo­niale ‚Wahrheiten‘ aufzubrechen und sichtbar zu machen, dass der moderne westliche Staat auf ungleichen Geschlechterverhältnissen beruht und wesent­lich daran beteiligt ist, geschlechtliche Ausbeutungs-, Gewalt- und Ungleich­heitsverhältnisse zu ermöglichen und zu legitimieren.

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Politik und Geschlecht – kompakt, Band 2

Interview mit der Autorin

 

Die Autorin

Budrich-Autorin Gundula LudwigGundula Ludwig ist Professorin für Sozialwissenschaftliche Theorien der Geschlechterverhältnisse an der Universität Innsbruck und Leiterin der Forschungsplattform Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck. Sie hat 2010 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien im Bereich queer-feministischer Staatstheorie promoviert. 2021 habilitierte sie sich mit einer Arbeit an der Schnittstelle von Politischer Theorie, Medizingeschichte und Gender Studies an der Universität Bremen. Sie war Universitätsassistentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, wissenschaftliche Geschäftsführerin am Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interkulturelle und Internationale Studien an der Universität Bremen. Sie hatte Gastprofessuren an der HU Berlin, der FU Berlin und an der University of Minnesota und war Visiting Scholar an der University of California, Berkeley, am Zentrum für transdisziplinäre Gender Studies der Humboldt-Universität zu Berlin sowie am Institut für Medizingeschichte der Charité in Berlin. Sie ist Mitherausgeberin der Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung (ÖGGF).

 

Über „Geschlecht, Macht, Staat“

Ziel feministischer Staatstheorie ist es, die Vergeschlechtlichung des Staates sichtbar zu machen. Auf diese Weise soll aufgezeigt werden, wie der moderne westliche Staat dazu beiträgt, geschlechtliche Ausbeutungs-, Gewalt- und Ungleichheitsverhältnisse zu ermöglichen und zu legitimieren. Die Autorin stellt dazu frühe Ansätze feministischer Staatstheorie ebenso vor wie neuere queer-feministische und intersektionale Konzepte. Dabei werden sowohl Theoretisierungen des Verhältnisses von Staat und Geschlecht als auch zentrale Themenfelder feministischer Staatstheorie vorgestellt und diskutiert. Für die Neuauflage wurde das Werk umfassend überarbeitet.

 

© Titelbild: gestaltet mit canva.com