Welche Rolle spielt Solidarität in Krisenzeiten? Oder befindet sich die Solidarität selbst in der Krise? Leseprobe aus Solidarisches Handeln in krisenhaften Zeiten. Perspektiven der Sozialen Arbeit in demokratischen Gesellschaften von Silke Jakob, Nikias Obitz und Burçin Ladberg (Hrsg.).
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Solidarisches Handeln in krisenhaften Zeiten: Einleitung
Silke Jakob, Nikias Obitz & Burcin Ladberg
Krisenhafte Zeiten – Zeiten der Gefährdung und der Zeitenwende: Als Wendepunkt stellen Krisen gesellschaftliche Herausforderungen dar und führen zu individuellen Neu- und Umorientierungen der eigenen Handlungsmuster. Krisen können Individuen, aber auch komplette Gesellschaften betreffen und verunsichern. Ihr Auftreten kann zu schwierigen, problembelasteten Lagen führen, als generelle Zeitenwenden beinhalten sie jedoch auch Veränderungsprozesse und damit schöpferisches Potenzial und Chancen. Krisen als gesellschaftliche Herausforderung befinden sich somit im Spannungsfeld von Solidarität und Zerwürfnis. Als demokratisches Paradigma könnte angenommen werden, dass gemeinsame Probleme auch an der Allgemeinheit orientierte Lösungen verlangt, worin sowohl die Gemeinschaft als auch vulnerable Gruppen mitgedacht werden. Die soziale Arbeit als eine wissenschaftliche Disziplin die sich als ein Grundprinzip auf die soziale Gerechtigkeit beruft, beinhaltet dieses Paradigma und müsste in ihrer logischen Konsequenz dies als handlungsleitendes Merkmal beinhalten. Inwiefern kann die Soziale Arbeit diesem Paradigma und Grundprinzip in krisenhaften Zeiten nachkommen? Befindet sich Solidarität – in Bezug auf ihre Bedeutung für das alltägliche (solidarische) Handeln – in der Krise und welche Voraussetzungen sind notwendig für eine solidarische Praxis?
International zeigen sich gerade starke Zerwürfnisse, gesellschaftliche Spannungen und Kriege. Auch die Wahlen innerhalb Europas und Deutschland skizzieren antidemokratische Tendenzen, wodurch sich die Frage nach Solidarität innerhalb Deutschlands durchaus stellt. Der Sammelband II/Solidarisches Handeln in krisenhaften Zeiten – Perspektiven der Sozialen Arbeit in demokratischen Gesellschaften nimmt die aktuellen gesellschaftlichen Ereignisse als (Warn-)hinweis auf und als Anlass um kritische Blicke auf potenziell krisenhafte Gesellschaftsprozesse zu werfen. Denkanstöße und Lösungswege werden aufgezeigt und auf bestehende Hindernisse wird aufmerksam gemacht.
Diesem umfangreichen Vorhaben wird in diesem Sammelband durch Beiträge nachgegangen, die Alltagsspezifische Krisen und solidarisches Handeln der Sozialen Arbeit im Kontext Familie beinhalten. Ziel des Themenbereichs ist es, Altersabschnitte wie Kindheit, Jugend und Erwachsene nach ihrem zugrundeliegenden Konfliktpotenzial hin zu untersuchen. Dabei kann sowohl das Alter, die gesellschaftliche Positionierung und damit einhergehende soziale Inklusion und Exklusion oder auch entwicklungsphasenspezifische Aspekte zur Analyse möglicher Konfliktpotenziale hinzugezogen werden. Gleichfalls stellt sich die Frage, wie sich z.B. Peergruppen, solidarische Zusammenschlüsse oder sich soziale Unterstützungsangebote als Schutzfaktor eignen und Krisen überwunden werden können.
Ausgehend von dem Grundgedanken, dass Soziale Arbeit als eine Dienstleistungsform (vgl. Olk 1994, Schaarschuch u.a. 2001; Flösser/Oechler 2005), die Menschen insbesondere in schwierigen Situationen oder Notlagen umfassend und institutionalisiert Hilfe leistet, drängen sich prominente gesellschaftliche Probleme wie Migration, Wirtschaftskrisen, Corona-Krise und Kriege als Handlungsfelder auf. Diese werden anhand lösungsorientierter Perspektiven aus sozialarbeiterischer Sicht zu bearbeiten versucht. An dieser Stelle steht – wiederum aus sozialarbeiterischer Sicht – die Frage im Vordergrund, inwieweit Soziale Arbeit kompetent auf solche Krisensituationen vorbereitet ist und die Chance hat, eine effektive und an den Menschrechten orientierte Arbeit zu leisten. Angesichts von globalen Schwierigkeiten stellt sich die Frage nach der Professionalisierung der Sozialen Arbeit und dessen Relevanz als Dienstleister bei der Bearbeitung globaler Probleme. Damit einher geht die Frage nach ökonomischen Kriterien, standardisierten Arbeitsweisen der sozialen Arbeit sowie die, Berücksichtigung und gleichzeitige Neu- Entwicklung im Individual-Gesellschafts-Verhältnis. In der nun folgenden kurzen Übersicht, werden anhand der thematischen Zuordnungen die Artikel kurz eingeordnet.
In dem Abschnitt 1. Alltagsspezifische Krisen und solidarisches Handeln der Sozialen Arbeit wird sich in diesem Sammelband Oliver Schleck mit digitalen Medien als Instrumente zur Bearbeitung alltäglicher und außeralltäglicher Krisen von jungen Menschen beschäftigen. Marion Wüchner-Fuchs gibt einen Einblick in den Alltag von Menschen mit einer sogenannten intellektuellen Beeinträchtigung und zeigt in ihrem Artikel Bewältigungsstrategien auf. Im Kontext von Proaktiven Polizeikontrollen setzt sich Jan Nicolas mit (methodischen) Praktiken der Polizeibeamt:innen bei ihrer alltäglichen Arbeit auseinander. Zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Selbstorganisationen in krisenhaften Zeiten trägt der Artikel von Nils Wenzler bei.
In dem Abschnitt 2. Familien in demokratischen Gesellschaften: Krisen und Solidarität zeigt Burcin Ladberg innerhalb zweier Artikel auf, mit welcher Überlastung der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) sich in der Dauerkrise befindet. Besonders ist hier die Verknüpfung der zwei Beiträge zu erwähnen und die verschiedenen Einblicke aus der Praxis. Helena Furian und Karin Zimmer beleuchten den Familienalltag in krisenhaften Zeiten: Bedeutung, Ausgestaltung und Veränderung familiärer Unterstützungsnetzwerke seit Beginn der Corona-Pandemie. Lisa Erlemann thematisiert Herausforderungen und Anpassungen in der Arbeitswelt von Sozialarbeiter:innen.
In dem Abschnitt 3. (Internationale) Gesellschaftliche Auswirkungen krisenhafter Zustände stellt Çinur Ghaderi in ihrem Artikel die Frage, inwiefern Transkulturalität an der Schwelle einer Zeitwende steht. Tim Isenberg und Hans Falko Schumpich stellen anhand von Fridays for Future Solidarität und gesellschaftliche Anerkennung und Demokratiebildung durch Protest dar. Um Solidarische Partizipation von Kindern und Jugendlichen in einer Selbstorganisation in Kolumbien handelt der Artikel von Nikias Obitz. Silke Jakob und Johanna Dörr zeigen Beispielhafte Krisen auf, in welchen das Kindeswohl als professionelles Konfliktfeld kritisch betrachtet wird.
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Silke Jakob, Nikias Obitz und Burçin Ladberg (Hrsg.):