Mit dem zuletzt erschienenen zweiten Heft liegt das erste Publikationsjahr hinter der RadiX – Zeitschrift für Radikalisierungsforschung und Prävention. Wir haben mit Yannick von Lautz, Mitherausgeber und Redakteur der RadiX sowie Akademischer Koordinator des Zentrums für Radikalisierungsforschung und Prävention (ZRP) an der IU Internationalen Hochschule, über den Start der Zeitschrift, seine Arbeit am ZRP und gesellschaftliche Radikalisierungstendenzen gesprochen.
Über die RadiX – Zeitschrift für Radikalisierungsforschung und Prävention
RadiX bietet eine Plattform für den Austausch von Wissen, indem sie Beiträge zu neuesten Entwicklungen in der Radikalisierungsforschung und innovativen Präventionsansätzen sammelt. In einer Zeit, in der sich Radikalisierungstendenzen nicht mehr nur in Randbereichen, sondern auch in der tragenden Mitte der Gesellschaft zeigen, erfordert es eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ursachen, Dynamiken und vor allem den Lösungsansätzen. Die Beiträge der RadiX befassen sich mit den neuesten Entwicklungen in der Radikalisierungsforschung, die interdisziplinäre Ansätze und kritische Analysen beinhalten, und die zur Entwicklung effektiver Präventionsstrategien beitragen.
Lieber Herr von Lautz, jüngst ist das zweite Heft der RadiX erschienen. Wie haben Sie dieses erste Publikationsjahr erlebt und wie fühlt es sich an, jetzt zwei Hefte der „eigenen Zeitschrift“ in den Händen halten zu können?
Die RadiX ist von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt und daher als Ergebnis engagierter Teamarbeit zu verstehen. Ich übernehme dabei eine redaktionell koordinierende Rolle, wodurch das erste Publikationsjahr für mich in vielerlei Hinsicht eine ausgesprochen intensive und spannende Zeit war. Denn die Arbeitsprozesse mussten zunächst strukturiert werden und sich einspielen. Darüber hinaus benötigte die Zeitschrift die übliche Infrastruktur mit wissenschaftlichem Beirat, Autor:innenrichtlinie, Webseite, Layout und Logo etc.
Die beiden Hefte nun in den eigenen Händen halten zu können, vermittelt mir ein Gefühl der Erleichterung, da häufig enge Deadlines eingehalten werden mussten und viele verschiedene Akteur:innen zusammengearbeitet haben. Zugleich empfinde ich große Dankbarkeit gegenüber meinem redaktionellen Kolleg:innen der ersten beiden Hefte, ohne deren Einsatz die Veröffentlichung nicht möglich gewesen wäre: Prof. Dr. Bärbel Bongartz, Prof. Dr. Mehmet Kart, Prof. Dr. Veronika Zimmer und Prof. Dr. Emre Arslan. Besonders dankbar bin ich auch den Autor:innen, die sich alle auf einen kritischen Reviewprozess eingelassen haben, und ebenso den Gutachter:innen, deren Engagement man aufgrund der Anonymität der Gutachten leicht übersieht. Sie haben mit großer Sorgfalt trotz ihrer knappen zeitlichen Ressourcen als Lehrende und Forschende gründliche Gutachten verfasst und damit maßgeblich zur Qualität der RadiX beigetragen.
Können Sie uns ein wenig über die Gründungsgeschichte der RadiX erzählen? Wie ist die Idee entstanden, eine Open-Access-Zeitschrift für Radikalisierungsforschung ins Leben zu rufen?
Die Idee zur RadiX ist aus dem Eindruck heraus entstanden, dass es im deutschsprachigen Raum bislang keine wirklich interdisziplinäre Zeitschrift gibt, die Beiträge aus der Radikalisierungsforschung und Präventionspraxis in Austausch bringt. Wir haben daher den Bedarf gesehen, ein Format zu schaffen, in dem interdisziplinären wissenschaftlichen Perspektiven sowie der Präventionspraxis Raum gegeben wird, den Diskurs zu Ursachen, Dynamiken und insbesondere den Lösungsansätzen für Radikalisierungsphänomene voranzubringen. Wichtig war uns dabei, ein breites, phänomenübergreifendes Spektrum abzudecken, historische Perspektiven wie auch gegenwärtige Herausforderungen einzubeziehen. Für das Open-Access-Format haben wir uns bewusst entschieden, damit die Zeitschrift nicht im Bibliotheksregal einstaubt, sondern online kostenfrei abrufbar ist. Das ist auch für die Autor:innen ein großes Plus und sorgt dafür, dass die Beiträge allen Interessent:innen zur Verfügung stehen.
Sie haben auch den Fachtag „Zeichen erkennen!“ Entwicklungen des Rechtspopulismus nach der Bundestagswahl 2025 – Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe am 29.04.2025 in Essen mitorganisiert: Was haben Sie von der Veranstaltung mitgenommen und was lässt sich von der Veranstaltung ggf. auch für die RadiX ableiten?
Ich denke, der Fachtag „Zeichen erkennen!“ hat deutlich gemacht, dass die Kinder- und Jugendhilfe, aber auch übergreifend die Regelstrukturen, heute in besonderem Maße durch rechte Agitation gefordert sind, präventiv zu handeln und sich entschlossen gegen menschenfeindliches Gedankengut zu positionieren. In den Keynotes sowie den anschließenden Workshops adressierten sowohl Forschende als auch Präventionspraktiker:innen aktuelle Herausforderungen und schilderten konkret, wie Polarisierung im Alltag von Schulen, Jugendzentren und weiteren Unterstützungssystemen spürbar wird. Für die RadiX bestätigt der Fachtag, wie wertvoll der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis ist. Darüber hinaus nehmen wir mit, dass wir die Perspektiven der Kinder- und Jugendhilfe in der Radikalisierungsforschung stärker sichtbar machen sollten. Künftige Call for Papers könnten daher gezielt Beiträge fördern, die diese Erfahrungsräume einbeziehen.
Der Fachtag war gleichzeitig auch die offizielle Institutsgründung des Zentrums für Radikalisierungsforschung und Prävention (ZRP) an der IU Internationalen Hochschule Essen. Können Sie uns ein wenig über das ZPR und Ihre eigene Arbeit an selbigem erzählen?
Das Zentrum für Radikalisierungsforschung und Prävention (ZRP) an der IU Internationalen Hochschule hat seinen Hauptsitz in Essen, forscht jedoch bundesweit an verschiedenen IU-Standorten. Das Institut ist aus einer Gruppe von Forschenden hervorgegangen, die überwiegend aus den Bezugsdisziplinen der Sozialen Arbeit stammen und sich mit den individuellen wie auch den strukturellen Ursachen von Radikalisierung auseinandersetzen. Wir betreiben sowohl anwendungsorientierte als auch Grundlagenforschung, beleuchten blinde Flecken in der Radikalisierungsforschung, entwickeln Präventionskonzepte sowie Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Praxis.
Meine Arbeit am ZRP verbindet klassische Forschungsaktivitäten und Projektkoordination. Ich entwickle Projektkonzepte und Anträge, forsche aktiv in unseren Projekten und koordiniere Arbeitsprozesse im Institut. Wir sind international vernetzt und in verschiedenen Forschungskonsortien aktiv, wobei ich die entsprechenden Kontakte pflege. Darüber hinaus organisiere ich Veranstaltungen wie den Fachtag „Zeichen erkennen!“ oder Workshops für verschiedene Zielgruppen, bspw. aus Wissenschaft, Praxis oder Politik. Jeder Arbeitstag kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen: Oft greifen wir eher punktuell ein aktuelles Thema auf oder beantworten zeitnah Presseanfragen. Die redaktionelle Koordination der RadiX ist wiederum ein gutes Beispiel für langfristig angelegte Arbeitsprozesse, die ich strukturiere.
Wir leben heute in einer Zeit, in der Radikalisierungstendenzen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Wo sehen Sie Möglichkeiten, Radikalisierung strategisch entgegenzuwirken?
In der Tat sind die angesprochenen Radikalisierungstendenzen keine Randerscheinung. Nicht nur aktuelle repräsentative Bevölkerungsbefragungen verzeichnen einen Anstieg rechtsextremer Einstellungen (siehe hierzu Mitte-Studie 2022/2023 und Leipziger Autoritarismus-Studie 2024). Bei uns melden sich phänomenübergreifend zunehmend Akteur:innen, vor allem aus den Regelstrukturen, die mit extremistischen Tendenzen konfrontiert werden und Unterstützung im Umgang suchen.
Wenn wir über die Mitte der Gesellschaft sprechen, müssten wir aber eigentlich zunächst kritisch reflektieren, welche „Mitte“ gemeint ist, wo sie normativ gesetzt wird und wer dabei die diskursive Deutungshoheit hat. Für mich sollte man die Mitte im präventiven Sinne stärker als soziales Band verstehen, das alle Menschen verbinden kann. Wenn wir die großen Worte wie Demokratie, gesellschaftliche Teilhabe, Integration, Bildung und Chancengerechtigkeit in Maßnahmen überführen, die das Individuum stärken, zur Reflexionsfähigkeit anregen und ein Verbundenheitsgefühl mit der Gesellschaft und den Nächsten vermitteln, dann entziehen wir menschenfeindlichen Ideologien den Nährboden!
Über Yannick von Lautz

Yannick von Lautz ist Akademischer Koordinator des Zentrums für Radikalisierungsforschung und Prävention an der IU Internationalen Hochschule. Seine Expertise liegt in den Bereichen Evaluationsforschung und Beratung sowie der empirischen Forschung zu (De)Radikalisierungsverläufen im Phänomenbereich Islamismus. Aktuelle Projekte: Forschungsprojekt „Distanz“, Aufbau von Lehrmodulen & Leitung von Seminaren und Workshops im Themenbereich Radikalisierung und Prävention.
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© Foto: Yannick von Lautz | Titelbild gestaltet mit canva.com

Heft 2-2025 (Oktober)