Netzwerken in der Wissenschaft: Wie Sie nebenbei ein machtvolles Netzwerk aufbauen

Wie Netzwerken in der Wissenschaft gelingen kann: ein Gastbeitrag von Karriereberaterin Jasmin Döhling-Wölm.

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Karrieregestaltung in der Wissenschaft erscheint vielen wie die Quadratur des Kreises. Und die Studien des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zeigen, dass 60 bis 80 Prozent der Promovierenden den Verbleib in der Wissenschaft anstreben. 60 bis 80 Prozent der Promovierten verlassen die Wissenschaft jedoch nach der Promotion (Briedis et al. 2014). Das wirkt auf den ersten Blick extrem frustrierend für Promovierende. Doch es lohnen sich weitere Blicke.

Die Perspektive auf die Netzwerke zeigt zudem, dass für eine Karriere innerhalb der Wissenschaft mehr als 50 Prozent der Promovierten und Promovierenden auf Unterstützung zahlen können. Für eine Karriere in andere Arbeitsmarktsektoren hingegen sind dies nur 26 Prozent (ebd.). Die Netzwerke von externen Promovierenden, Individualpromovierenden, strukturiert Promovierenden, Post-Docs und von Professor*innen weisen zudem deutlich unterschiedliche Herausforderungen für die karriererelevante Netzwerkstrategie auf. Es gibt kein „one fits all“ in Bezug auf strategisches und taktisches Vorgehen, um einen verantwortungsvollen Job als forschungs- und lehrerfahrene Person zu bekommen. Die Lösung liegt im Netzwerken.

Oft bekomme ich bei Vorträgen und in Coachings zu hören, dass alle ja schließlich schon genug zu tun hatten mit der fachlichen Arbeit des Forschens, Publizierens, Präsentierens, Lehrens, akademischen Selbstverwaltens und vielem mehr. Wenn man da auch noch Netzwerken sollte, brauchte der Tag 48 Stunden und man hatte noch nicht einmal einen Kaffee getrunken. Wer bei dem, was er bzw. sie tut, nicht netzwerkt, macht allerdings etwas falsch. Das Bild des einsamen, genialen Nerds, der irgendwann den Nobelpreis bekommt, ist ebenso ein Zerrbild wie der Cocktail-schlurfende Salonlöwe oder die rhetorisch bewaffnete Gremienkämpferin. Es geht darum, charmant und begeistert Bande zu knüpfen und Netzwerklücken zu schließen. Jede*r netzwerkt ständig. Doch wer sich fragt, ob die eigenen Netzwerkaktivitäten effektiv und effizient sind, um sich dadurch einen Arbeitsplatz zu sichern, sollte sich mit einigen „Menschlichkeiten“ und Gruppendynamiken vertraut machen.

Auch kursiert in Karriereratgebern die Zahl, dass 65 bis 80 Prozent aller Jobs vergeben werden, ohne jemals ausgeschrieben worden zu sein (vgl. https://karrierebibel.de/verdeckter-stellenmarkt/). Man nennt dies den verdeckten Arbeitsmarkt. Sichtbarkeit in den eigenen Netzwerken macht es möglich, eine dieser „verdeckten“ Stellen zu bekommen. Diese in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik übliche Praxis zeigt, wie wichtig Qualität und Quantität der eigenen Netzwerke sind. Dazu einen kleinen Blick in die Grundstruktur des Arbeitsmarktes.

 

Nutzen Sie den vernetzten Arbeitsmarkt: „Plan A“

Das Triple-Helix-Modell des Arbeitsmarktes (Etzkowitz/Leydesdorff) umfasst die Tätigkeitssektoren Wirtschaft, Wissenschaft und den politiknahen Bereich mit Behörden und NGOs. In der Logik des Triple-Helix-Modells gibt es nur einen, dafür aber vernetzten Arbeitsmarkt – auch für Wissenschaftler*innen – mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen. Dieser vernetzte Arbeitsmarkt ermöglicht es allen Promovierten, einen angemessenen Job anzuvisieren. Die Professur ist erfahrungsgemäß nicht das alleinige Karriereziel für Promovierte. Der Wechsel in eine anspruchsvolle Position in einem Unternehmen, einem Ministerium oder einer Stiftung ist in der Regel kein Zufallsprodukt, sondern ein Resultat aus Synergien des Netzwerkens während eines Forschungsprojekts.

Praxistipp

Formulieren Sie keine Positionen, wie die Professur oder Referatsleitung, als Karriereziele. Diese zu erreichen, hängt von zu vielen Faktoren ab, die Sie bedingt oder gar nicht beeinflussen können. Formulieren Sie für die Kommunikation in Netzwerken besser, was Sie nach Ihrer Promotion inhaltlich tun wollen. Eigenständig forschen, lehren, publizieren, Konzepte entwickeln, Tools erfinden, führen und vieles mehr – all diese Dinge sind nicht nur in der Universität möglich. Das sollten Sie auch in Ihrem wissenschaftsübergreifenden Netzwerk kommunizieren.

 

Netzwerken in der Wissenschaft: raus aus der Karriere-Filterblase

Denn richtig gut läuft es nur im Austausch, wenn jemand neugierig ist und andere Menschen und ihre Ideen kennenlernen will. Entwickeln Sie Ihr Netzwerk interessengeleitet in allen Sektoren der Triple-Helix. Das ermöglicht es Ihnen, mit den richtigen Menschen auch in anderen Arbeitsmarktsektoren in Kontakt zu kommen und zum Beispiel neue Projekte zu starten. Ein homogenes Netzwerk, z. B. in Bezug auf Ziele, Interessen, Sprache, Statusgruppe, bestätigt zumeist bestehende Informationen. Es ist eine Karriere-Filterblase. Das zeigt auch die karriererelevante Forschung z. B. von Mark Granovetter. Auch aus meiner umfangreichen Coachingpraxis an Hochschulen kann ich dies bestätigen. Der nächste Job kommt häufig ganz woanders her, als es die Coachees erwarten. Als Expertin für Karriere-Netzwerkeanalysen identifiziere ich täglich mit unserem Coachingtool NetQuestR genau diese Möglichkeiten der Anschlussfähigkeit von Lehr- und Forschungspraxis an die Arbeitsmarktmöglichkeiten zum Beispiel in der Industrie, in NGOs oder klein- und mittelständischen Unternehmen oder auch die Fortführung einer Forschungskarriere im internationalen Kontext. Menschen fordern Menschen und ihre Ideen, wenn sie selber daran Interesse haben. Das ist gewissermaßen der Kern bei meiner Methode: Kommunizieren Sie, was Sie begeistert in Ihrem Netzwerk und bilden Sie so Interessenallianzen.

 

Wie Sie etwas vom Wissenschaftskuchen abbekommen können

Die Form des Arbeitsvertrags und die Finanzierung können besondere Herausforderungen darstellen. Denn freie Promovierende und Stipendiat*innen sind durch mangelnde beziehungsweise fehlende Selbstverwaltungsbeteiligung in die universitären Strukturen oft nicht eingebunden, sodass diese weniger an karriererelevanten Informationen aus dem System partizipieren. Diese Phänomene erklären auch teilweise die Verbleibschancen in der Wissenschaft von Promovierten aus den unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen.

Dies gilt auch für Bildungsaufsteigende und für Menschen mit Sprachbarrieren, z. B. durch Migrationshintergrund. Denn die Sprachbarriere erschwert den unmittelbaren Zugang zu Informationen, die Chancen bieten können. Sie können zudem zu isolierten Arbeitsmilieus mit hoher finanzieller und emotionaler Abhängigkeit von den jeweiligen Vorgesetzten führen.

 

Die Macht der Netzwerke in kleinen Welten

Jede*r kennt jede*n über sechs Ecken. Diese Aussage hat der Psychologe Stanley Milgram geprägt mit dem „Phänomen der kleinen Welt“. Auf einer breiten Datenbasis wurden Eigenschaften von 30 Milliarden Gesprächen mit 240 Millionen Menschen zusammengefasst. Die Studie bestätigte eine höhere Tendenz zur Kommunikation innerhalb der eigenen Komfortzone: mit Menschen in der Nähe sowie ähnlichem Alter und gleicher Sprache (vgl. Lescovec/Horvitz). Der Austausch innerhalb der eigenen Komfortzone ist erfahrungsgemäß nicht der Weg, neue Informationen zu gewinnen. Hinzu kommt: Sobald Machtverhältnisse mit einer dominierenden Gruppe auftauchen, können Sie jede*n auch nur über eine Ecke kennen – es wird Ihnen nicht helfen. Die Wahrscheinlichkeit, dieses Wissen in Zugangsmacht verwandeln zu können, sinkt, wenn Sie zu einer Minderheitengruppe gehören. Die nach wie vor abnehmenden Anteile an Frauen im akademischen Qualifikationsverlauf sind auch nur mit viel Zynismus als Hinweis auf weibliche Unlust an einer Forschungskarriere zu deuten. Beobachtet man zum Beispiel den Anteil von Professor*innen mit Migrationshintergrund im deutschen Oberbau, wäre diese Interpretation genauso zynisch wie eindimensional.

Damit wird klar: Erfolgreiches Netzwerken gelingt nur, wenn Sie „Insider“ werden.

Praxistipp

Beteiligen Sie sich aktiv in Gremien und Hochschulraten, um an karriererelevante Information zu kommen und damit das Netzwerk strategisch zu erweitern. Hier erfahren Sie, was zum Beispiel in Berufungsverfahren relevant ist, oder auch, welche personalrechtlichen Kniffe angewandt werden können, um Personal einzustellen bzw. zu halten.

 

Viele fühlen sich berufen, doch nur wenige sind auserwählt!

Wenn Sie zukünftig eine andere Position ausfüllen wollen, sollten Sie neben aller fachlichen Exzellenz die Gruppendynamik in Besetzungs- und Berufungsverfahren im Blick behalten. Sie können fachlich alles richtig gemacht haben und dennoch nicht zum Zuge kommen. Verschiedene Faktoren führen zu einer eher geringen sozialen Diversität im wissenschaftlichen Oberbau und den Führungsetagen. Wenn Ihr Ziel die autonome Forschung und Lehre ist, dann sollten Sie ebenso versiert netzwerken, wie Sie forschen und lehren. Ein exzellenter Beitrag muss an „Gatekeepern“ in Lektorat, Redaktion und Peer-Review vorbei; Ihre fantastische Lehre muss gesehen werden, wenn Sie dafür einen Preis erhalten wollen. Oder, um es mit dem Soziologen Goffman zu sagen: „Jemand kann sich Ehrerbietung wünschen, sie erwerben und verdienen, aber im allgemeinen [sic!] darf er sie sich nicht selber erweisen, sondern ist gezwungen, sie von anderen zu erstreben“ (Goffman 1986, S. 65).

 

Von der Fremden zur Gleichenden

Um Goffman hier noch mal praxisnah in die Netzwerk-Karrieresprache zu übersetzen: Sie werden promoviert und sie werden berufen. Diese beiden karriererelevanten Rituale im Wissenschaftssystem sind rezeptive Prozesse der Einstellungspraxis, die von anderen Menschen abhängen. Allerdings habilitieren Sie sich. Ihr aktiver Part im Wissenschaftssystem auf dem Weg zur Professur liegt in der Selbstanpassung. Denn der reflexive Begriff ‚sich habilitieren’ stammt von dem Wort habilitare, was so viel bedeutet wie ‚geschickt, befähigt sein‘. Das Stammwort dazu ist habere, das zugleich das Stammwort von Habitus ist. Der Habitus ist die Verkörperung und Internalisierung von kognitivem Wissen und feldpraktischer Kompetenz und er ist eine sichtbare Haltung. Die Bildung des Habitus folgt einem Selbstanpassungsprozess. Womit die Habilitation eine Selbstanpassung an die Umgangsformen und Netzwerkregeln des Wissenschaftssystems wäre. Die Venia Legendi wird also den Gleichenden verliehen. Wenn der Habitus durch Sie selbst im Feld Wissenschaft zwischen Promotion und Berufung herzustellen ist, so erkennt man die Gleichenden zum Beispiel am Drittmittelvolumen, den Veröffentlichungen, dem Renommee der bisherigen Forschungsstandorte sowie der Allianzen, also an den persönlichen Netzwerken. Diese tauchen als CV-Dots auf. Um bei gleichem Habitus unter vielen Habilitierten wiederum eine Hierarchie herzustellen, werden in der Regel Qualität und Quantität der vorliegenden CV-Dots mehr oder weniger transparent gewichtet.

Praxistipp

Achten Sie bei der Auswahl Ihrer Netzwerkpartner* innen auf verbindende gemeinsame Werte wie Kooperation, Autonomie, Effektivität, Nachhaltigkeit, Perfektion, Großzügigkeit etc. Das kann viele Aspekte der Unterschiedlichkeit kompensieren.

Der Statusaufstieg in die Professur folgt einem langfristig angelegten und weitgehend unbewussten „Assessment“ im Wissenschaftssystem, das mit der Promotion ernstzunehmend beginnt. Und wie bei jedem Assessment ist auch in der Wissenschaft der Prozess ergebnisoffen. Diese Anpassungsprozesse wirken selbstverständlich auch in der Wirtschaft, wenn Sie dort Führungskraft werden wollen. Es sind gruppendynamische Prozesse in jedem Milieu und Netzwerk.

Was das Netzwerk von einer lockeren Gruppierung unterscheidet, ist zu einem sehr großen Teil die Stärke der Reziprozität, das heißt, die Intensität des Gabenaustauschs. Die Entscheidung über die Aufnahme erfolgt in der Regel der unbewussten Einschätzung und Abwägung der Ressourcen, die jemand mitbringt. Hieraus entsteht eine weitere Macht der Netzwerke: die gemeinsame Wertebildung. Sie tun also gut daran, auch die Psychodynamiken um sich herum bewusst wahrzunehmen, um souverän zu entscheiden, wem Sie ähnlicher werden wollen und wem nicht.

Das strategische Netzwerken löst die Quadratur des Kreises. Der Blick auf die eigene Vernetzung und die Wahrnehmung vernetzter Arbeitsmärkte bringt neue Perspektiven und größeren Handlungsspielraum und das bringt Sie Ihrer optimalen individuellen Lösung näher. Wie man die konkreten Tipps aus diesem Beitrag dann systematisch weiterentwickelt und die Netzwerkentwicklung Schritt für Schritt anpackt, das vertiefe ich in den kommenden Beitragen Schritt für Schritt.

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Dieser Beitrag ist erstmals in Heft 1-2020 der Exposé – Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren erschienen.

 

Die Autorin

Jasmin Döhling-WölmJasmin Döhling-Wölm, Leiterin des Consulting-Instituts für akademische Karriereentwicklung karrierekunst in Bremen

 

 

 

 

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