Lernvideos: Praxistipp für Lehrende

Lernvideos junger Mann sitzt mit Laptop auf dem Schoß auf der Couch

Lernvideos sind eine hervorragende Möglichkeit, das Selbststudium zu unterstützen. Studierende können sich damit im eigenen Tempo neue Themen erschließen oder Inhalte vertiefen und sich so auf Lehrveranstaltun­gen vorbereiten. Lehrende können die für Inputvorträge vorgesehene Zeit im Hörsaal, Seminarraum oder online besser für gemeinsames Lernen an Beispielen, Berech­nungen, in Diskussionen u. v. m. nutzen.

In der Praxis macht sich jedoch beim Einsatz von Videos zur selbstständigen Wissensaneignung häufig Ernüchte­rung breit. So berichten Lehrende in der Beratung immer wieder, die Studierenden hätten sich die Lernvideos nicht im Voraus angeschaut oder nur kurz durchgeklickt. Fra­gen zum Video würden nicht gestellt, auch nicht, wenn Dozierende dazu ermuntern. So könne man die Vorteile nicht nutzen, müsse oft Inhalte wiederholen, um alle an Bord zu haben.

Auf meine Rückfrage, wie genau die Videos bereitgestellt werden und mit welcher Aufgabe, bekomme ich häufig die gleiche Antwort: Die Videos liegen auf einer Websei­te oder der Lernplattform; dort können sie jederzeit an­geschaut werden. Sie sind außerdem chronologisch sor­tiert, die Studierenden sollen sie sich ansehen, um sich auf die nächste Veranstaltung vorzubereiten.

Und hier liegt das erste Problem. Diese Aufgabenstellung ist so vage, dass Studierende oft tatsächlich nicht wissen, was sie machen und am Ende können sollen. Reicht eine erste Orientierung zum Thema oder wird erwartet, dass sie die Inhalte selbstständig vertiefen? Sollen sie z. B. nach dem Anschauen einer Beispielrechnung in der Lage sein, selbst eine ähnliche Aufgabe zu rechnen? Sollen sie die neuen Inhalte vergleichend mit den bereits erlangten Kenntnissen in einen größeren Kontext einordnen?

Dazu kommt, dass Studierende häufig weniger Erfah­rung mit dem regelmäßigen selbstgesteuerten Lernen haben als angenommen. Vor allem in den ersten Semes­tern ist das Modell der Schule noch sehr präsent, in der die Anwesenheit allein das Fundament der Lernaktivi­täten gebildet hat. Wenn Lehrende sich wünschen, dass Studierende sich auf ihre Veranstaltungen mit Videos gut vorbereiten, dann sollten sie das Konzept am besten zu Beginn des Semesters vorstellen. Sie sollten erläutern, wie es funktioniert, was erwartet wird und warum sie das für eine gute Lösung halten.

Es geht nicht darum, „Studierenden jetzt auch noch die Maus zu führen“, wie es ein Dozent in der Beratung ein­mal ausdrückte, es geht am Beginn um Orientierungs­hilfe und im weiteren Verlauf des Semesters um einige methodische Kniffe mit großer Wirkung.

 

Lernvideos: Videos zum Lernen mit Aufgaben verbinden

Videos sind seit Jahr(zehnt)en Teil unseres Alltags, wobei wir sie aus unterschiedlichen Zusammenhängen kennen: zur Unterhaltung oder weil zielgerichtet, z. B. auf You­Tube, nach einer konkreten Fragestellung recherchiert wird. In beiden Fällen reicht die grundsätzliche Verfüg­barkeit der Videos aus – die Motivation, sie zu schauen, bringen wir von allein mit.

Das gilt für Lernvideos i.d.R. nicht, denn Neues zu lernen, kann zwar ebenfalls anregend und spannend sein, aber es ist keine passive Tätigkeit, sondern erfordert Konzen­tration und Anstrengung. Daher ist es oft erforderlich, Studierende mit kleinen Aufgaben zu unterstützen, die der Fokussierung dienen und zum Mitdenken anregen, wie z. B.:

  • Elektrotechnik: Wie genau gelingt es in dem Video, von einem realen Beispiel über die Abstraktion zu einer mathematisch lösbaren Aufgabe zu kommen?
  • VWL: Nach dem Video sollten Sie in der Lage sein, drei Vorteile zu nennen, die die Einführung eines bedin­gungslosen Grundeinkommens mit sich bringt.
  • Philosophische Argumente: Im Video haben Sie his­torische Beispiele kennengelernt. Finden Sie nun ein Beispiel aus Ihrem Alltag, bei dem Sie von begründen­den Sätzen (Prämissen) auf einen begründeten Satz (Konklusion) schließen.
  • Filmwissenschaft: Bei welchen Figuren im Film lässt sich eine eindeutige Point-of-View-Struktur erken­nen? Was wäre anders, wenn der Regisseur nur die Objektperspektive genutzt hätte?

Diese einfache Variante ist bereits wirkungsvoll, aber sie lässt sich noch erweitern, um die aktive Auseinanderset­zung mit den Lerninhalten weiter zu fördern. Ergänzen Sie die Videos um Selbsttests, in denen Studierende ih­ren Wissensstand prüfen können. Wenn Sie die Tests auf einer Lernplattform erstellen, können Sie sich als Leh­rende (anonymisiert) die Ergebnisse anschauen und so einen Eindruck vom aktuellen Lernstand erhalten.

Eine andere Variante ist die Ergänzung um weitere Auf­gaben, die je nach Fach und Thema unterschiedlich aus­sehen können. Wichtig ist, dass die Aufgaben wirklich einen erlebbaren lernrelevanten Mehrwert haben und später nochmals aufgegriffen werden, wie z. B.:

  • Berechnen Sie Ihren eige­nen CO2-Fußabdruck und bringen Sie das Ergebnis zum nächsten Seminar mit.
  • Notieren Sie mind. ein Alltagsbeispiel, in dem die ge­zeigte chemische Reaktion relevant ist und tragen Sie es ins Etherpad (= kollaborativ bearbeitbarer Textedi­tor) ein.
  • Bringen Sie mindestens eine für Sie offene Frage zum Video in die nächste Veranstaltung mit.

Letzteres ist vor allem interessant, wenn Sie offene Fra­gen vermuten, aber bislang zu wenig Rückfragen zu Ih­ren Videos erhalten haben.

 

Videos und ihre Aufgaben unübersehbar machen

Aus der Untersuchung, wie Menschen Webseiten lesen und durch sie navigieren, ist seit Jahren bekannt: Texte werden nicht vollständig gelesen, sie werden gescannt. Das wird bei der Bereitstellung von Lehrmaterial häufig vernachlässigt, v. a. wenn sich wichtige Links im Fließtext verstecken. Wenn Sie also Aufgaben mit Ihren Videos ver­binden, müssen Sie sicherstellen, dass diese auch gefun­den und aufmerksam gelesen werden.

Je nach Plattform gibt es dazu unterschiedliche Möglich­keiten. Einige Varianten könnten sein:

  • Nutzen Sie Textseiten, um Text und Video auf einer Sei­te anzuzeigen. Schriftgröße und vereinzelt Fettdruck können helfen, die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe oder den Arbeitsauftrag zu lenken.
  • Manche Lernplattformen bieten die Möglichkeit, „Lek­tionen“ oder „Bücher“ anzulegen. Auch dies bietet sich an, um Texte und Videos organisch in vorgegebener Reihenfolge miteinander zu verbinden.
  • Wenn Sie einen Link auf Ihr Video einstellen, dann nut­zen Sie einen „sprechenden“ Link. Falls die mit dem Vi­deo verbundene Frage kurz ist, kann auch sie Teil des Links sein.

Hilfreich für die selbstständige Arbeit mit Lernmateria­lien wie Lernvideos sind auch ungefähre Zeitangaben für die Bearbei­tung. Selbst wenn Sie nicht wissen, wie lange Studie­rende tatsächlich zur Bearbeitung brauchen, haben Sie durch Videolänge und Aufgabenumfang zumindest eine ungefähre Orientierung. Es ist deutlich leichter, sich Zeit für ein Aufgabenpaket zu nehmen, das in „ca. 40 Minu­ten“ zu schaffen ist, als eines mit unbekannter Länge auf gut Glück zu beginnen.

 

Lernvideos: Gleich mit der Tür ins Haus fallen

Studierenden muss von allein klar werden, dass sie im Nachteil sind, wenn sie das Video nicht geschaut haben und nicht mitmachen können. Das beste Mittel dafür ist, direkt loszulegen mit Lernaktivitäten, die sich auf das Vi­deo und die zugehörige Aufgabe beziehen oder daran anknüpfen. Wiederholen Sie keine Inhalte aus den Vi­deos, beginnen Sie sofort, damit zu arbeiten.

In Großveranstaltungen können Sie Abstimmungssyste­me nutzen, bei denen Studierende via Smartphone an kleinen Quiz teilnehmen (z. B. über PINGO). Auch wenn es theoretisch einzeln ginge, bietet sich hier die Arbeit in kleinen Gruppen oder mit den Sitznachbar*innen an. So bringen Sie die Studierenden ins Gespräch, was das Lernen oft intensiviert.

Oder teilen Sie den Hörsaal in der Mitte und lassen Sie beide Seiten 10 Minuten gegeneinander antreten beim Sammeln von Vorteilen für eine bestimmte chemische Methode oder Beispiele für Greenwashing (z. B. über zwei Tweedback-Chatwalls oder zwei Etherpads). Wenn möglich, nutzen Sie anschließend die erarbei­teten Inhalte als Auftakt für die weitere Gestaltung der Lehrveranstaltung. In kleineren Veranstaltungen sind Sie methodisch noch flexibler, da die Bestuhlung häu­figer Gruppenarbeiten zulässt. Sie können die bereits genannten Varianten nutzen, aber auch gleich mit einer umfangreicheren Aufgabe beginnen.

Wahrscheinlich wird Ihr Konzept beim ersten Mal nicht ganz aufgehen, auch wenn Sie es vorher angekündigt haben. Vielleicht gibt es auch Unzufriedenheit, weil Studierende nicht damit gerechnet haben, dass sie gleich in die Pflicht genommen werden. Hier sind Ge­duld und Gelassenheit gefragt. Für Studierende ist es ein Lernprozess, den Sie als Lehrende auch noch ein Stück weit unterstützen können, indem Sie einen Rhyth­mus anbieten, auf den sich Studierende einstellen kön­nen. Vielleicht möchten Sie nicht jede Veranstaltung mit Videos vorbereiten lassen, aber für den Start ist es güns­tig, zwei bis drei solcher Termine hintereinanderzuset­zen. Später kann der Hinweis genügen, dass kommende Woche wieder „Videozeit“ ist.

Alle genannten Tipps zur Einbindung der Videos setzen gute Lernvideos voraus, die inhaltlich passend und so kurz wie möglich sind. Wenn Sie wissen möchten, ob Ihre Videos zum Lernen hilfreich waren, dann reservieren Sie einige Minuten in Ihrer Lehrveranstaltung für ein kurzes Feedback. Nutzen Sie ein Feedbacktool (z. B. Tweedback), um qualitative Rückmeldungen einzufangen, mit denen Sie Ihre Videos iterativ verbessern können.

 

Links zu den genannten Tools

 

Die Autorin

Portraitfoto von Budrich-Autorin Alexandra Schulz

Dr. Alexandra Schulz ist Trainerin und Beraterin rund um das Thema „Digitale Medien in Lehre und Forschung“. Sie ist Mitautorin des Buches Digitale Lehre an der Hochschule.

 

 

 

 

Dieser Artikel ist erschienen in

Cover "Exposé Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren" 2-2022Exposé – Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren

Heft 2-2022: Wissenschaftliche Lehre

 

 

 

 

Übrigens: Wie Sie wertvolles Feedback für Ihren Lehralltag erhalten …

… erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.

 

 

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