Gutes Lehrbuch erkennen – so geht’s!

Junge Frau in Bibliothek schaut über den Rand eines grünen Buchs. gutes Lehrbuch

Lehrbücher sind ein wichtiger Bestandteil der universitä­ren Ausbildung. Doch was zeichnet aus Verlagssicht ein gutes Lehrbuch aus? Und woran erkennen Lektor*innen, ob ein Lehrbuch das richtige für die einschlägigen Do­zent*innen und Studierenden ist?

Wir blicken im Folgenden auf die wichtigsten Merkmale, die im Ver­lag betrachtet werden, bevor ein Lehrbuchprojekt unter Ver­trag genommen wird

  • Zielgruppenauswahl und -anspra­che samt fachlicher Passung
  • Schreibstil,
  • Layout,
  • visuelle Elemente
  • digitale Ergänzungen

 

Know your audience: Zielgruppenauswahl und -ansprache

Wenn Sie selbst in der Hochschullehre tätig sind, erstel­len Sie für Ihre eigenen Veranstaltungen in der Regel Skripte oder Foliensätze, Sie stellen Leselisten zusammen und machen sich Gedanken zu möglichen Leistungssze­narien – Prüfungen, Referaten, Hausarbeiten usw. Sie überlegen sich, wie Ihre Studierenden Lernziele er­reichen können, wie Sie ihnen die Inhalte nahebringen, sie vielleicht sogar für das Thema gewinnen können. Das machen Sie auf der Basis der Zielgruppe: Sie wissen, wer in Ihrer Veranstaltung sitzen wird.

Natürlich wissen Sie das nicht exakt, aber doch grund­sätzlich im Sinne der Dinge, die Sie voraussetzen. Bei „Ersties“ erwarten Sie anderes Vorwissen als in einem Mastermodul. So weit, so trivial.

Bei einem guten Lehrbuch wissen die Autor*innen, für wen sie es geschrieben haben, und zwar nicht nur mit Blick auf das genaue Eingrenzen des Stoffes hinsichtlich der fachlichen Anforderungen, sondern auch unter Be­rücksichtigung der Auftreffsituation: Wir führen Erstse­mester anders an ein Thema heran als Studierende, die kurz vor ihrem Master-Abschluss stehen.

Ein gutes Lehrbuch stellt den curricularen Lehrstoff dar. Es passt also zu den angebotenen Vorlesungen bzw. Seminaren. Das bedeutet, dass das Lehrbuch deutlich macht, welche Themen Teil der allgemeinen Diskussion in diesem spezifischen Bereich sind und welche The­men und Ansichten tendenziell eher umstritten oder randständig sind.

Die Systematik des Lehrbuchs lässt sich bereits im In­haltsverzeichnis erkennen. Im Lektorat wird deshalb sehr gern mit einer – durchaus auch vorläufigen – Gliederung gearbeitet. So lässt sich rasch erschließen, ob das Ganze durchkonzipiert oder chaotisch wirkt.

 

Didaktik ist Trumpf

Ein gutes Lehrbuch ist zudem der Zielgruppe entspre­chend didaktisch aufbereitet. Hervorhebungen (bitte sparsam!), Kästen, Definitionen, vielleicht ein Glossar, weiterführende Literatur, wo angemessen Prüfungsfra­gen usw. sind nur Beispiele für Elemente, die den Studie­renden beim Lernen helfen können.

Die Einbindung digitaler Zusatzmaterialien gehört schon fast zum guten Ton. Im Gespräch erklärten mir Lehrende 2024, dass Studierende erwarten, über Audio, Video und weiterführende Links nicht nur Material, sondern auch bis zu einem gewissen Punkt Unterhaltung bekommen. Wer in der Lehre nur auf die eigene Veranstaltung setze, so der Tenor, käme nicht an. Lehr- und weiterführende Materialien auch digital einzubinden, ist über QR-Codes, Moodle-Komponenten und schlichte Links selbstverständlich unproblematisch.

 

Gutes Lehrbuch: Layout und Elemente für unterschiedliche Lerntypen

Ein gutes Lehrbuch spricht unterschiedliche Lerntypen an. Nicht jede*r lernt allein durch Lesen – manche Men­schen brauchen Bilder oder weitere visuelle Hilfen, um den Stoff wirklich zu verstehen. Das Lehrbuch sollte also auch dies bieten – freilich abhängig davon, ob die Inhalte sich für eine visuelle Darstellung eignen.

Dabei achten die Lektor*innen darauf, ob derartige Illust­rationen, sofern sie aus anderen Quellen stammen, wirk­lich in den Text eingebettet sind – und damit als „wissen­schaftliches Bildzitat“ gelten können – oder ob sie zum Beispiel rein dekorativen oder unterhaltenden Charakter haben. Im letzteren Falle müssten zumeist Nachnutzungsrechte eingeholt werden. (Es sei denn, es handelt sich um Open Access verfügbares Material mit entspre­chenden CC-Lizenzen. Dann kann das Materiali frei wei­terverwendet werden.)

Das Einholen von Abdruck- oder Nachnutzungslizenzen kann die Produktionskosten für eine Publikation in die Höhe treiben. Unabhängig davon, ob es sich z.B. bei Abbildungen um Fotos, Zeichnun­gen, Grafiken oder andere Arten von visuellen Darstel­lungen handelt. Die Lektor*innen haben also ein waches Auge auf etwaige Copyright-Fragen für Material, das wiederverwendet wird.

 

Vorsicht beim Copyright

Übrigens gilt die Frage nach dem Copyright auch für etwaige (Original-)Texte, die ein bestimmtes Maß überschreiten. Ein einfaches Zitat, das über einige Zeilen geht, ist in der Regel genau dies: ein wissenschaftliches Zitat. Natürlich muss die Quelle korrekt angegeben werden, aber es müssen keine Nutzungsrechte eingeholt werden. Anders verhält es sich, wenn der Textausschnitt länger ist: Dann muss der Rechtslage entsprechend die Nutzung von den Urheberrechts-Inhaber*innen genehmigt werden. Deshalb prüfen die Lektor*innen auch hier mit aufmerksamem Blick – und natürlich sollten Autor*innen dabei unterstützen.

Andererseits schauen die Lektor*innen auf die techni­sche Reproduzierbarkeit von Abbildungen: Aus schlech­ten Scans werden nur mit Mühe saubere und ansehnliche Abbildungen. Die für Web-Darstellungen angemessene Auflösung (z.B. von 72 dpi) ist für den Druck zu gering. Hier wird eher mit einer Auflösung von mindestens 300 dpi gearbeitet.

Der Einsatz unterschiedlicher Farben kann als Auflocke­rung in der Darstellung von Lehrbüchern eingesetzt werden. Eine sogenannte Schmuckfarbe zusätzlich zum üblichen Schwarz der Schriften kann einer „Bleiwüste“ ein wenig Leben einhauchen. Allerdings kann die Farbe allein ein Layout nicht retten. Beim Layout von Lehrbü­chern hilft es, die unterschiedlichen didaktischen Ele­mente als Blickfang zu platzieren – natürlich nicht zu viel, weil dies sonst wiederum vom konzentrierten Arbeiten mit dem Text ablenken könnte.

Es gibt eine generelle Faustformel, die besagt, dass aus­gehend von Druckseiten, etwa alle anderthalb Seiten ein sogenannter Formatwechsel vorgenommen werden sollte; also eine Abwechslung vom reinen „Fließtext“. Das kann eine Überschrift sein oder eine Aufzählung mit Spiegelstrichen (neudeutsch: Bullet Points), ein Zitat oder eben ein Bild oder ein didaktisches Element. Grund­sätzlich würde ich aus meiner Erfahrung sagen, dass ein Lehrbuch für jüngere Studierende abwechslungsreicher gestaltet werden kann und darf als ein Lehrwerk für spä­tere Semester.

 

Ein gutes Lehrbuch darf Spaß machen

Wissenschaftliche Texte benötigen eine angemessen wissenschaftliche Sprache. Und was angemessen ist, bestimmt meine Zielgruppe. Wenn ich mit meinem Lehrbuch vor al­lem jüngere Studierende erreichen und für meine Inhalte begeistern möchte, darf ich auch meinen Schreibstil der Zielgruppe entsprechend gestalten. Je höher das Semes­ter, desto anspruchsvoller und voraussetzungsreicher kann auch meine Sprache werden.

Dies sollte sich mei­ner Meinung nach vor allem auf den Einsatz spezifischer Fachtermini beziehen. Zu Beginn ist es unerlässlich, die wichtigen Begriffe mitsamt ihren Definitionen zu liefern. (Wobei die Definition in einem Kasten stehen könnte.) Bei möglicherweise schwer verständlichen Zitaten kann eine anschließende Paraphrase helfen. Und selten einge­setzte fremdsprachige Ausdrucksweisen können auf ein Minimum begrenzt werden.

Zugleich denke ich, ist es unerlässlich, die Studierenden zu fordern. Alles vorzukauen und in kleinen Häppchen zu servieren, mag für einen ersten kleinen Ausflug in die Wissenschaft gemütlich sein. Doch mit der Zeit ist es wichtig, dass Studierende dazu angeregt werden, die Komfortzone zu verlassen, sich schwierigeren Fragestel­lungen zuzuwenden und sich eine komplexer werdende Sprache zu erarbeiten. Hier schauen die Lektor*innen, ob diese Gratwanderung zwischen gut didaktisierter Aufbe­reitung und dem wissenschaftlichen Anspruch gelingt.

Ganz grundsätzlich darf auch das Lesen wissenschaftli­cher Texte, zumal Lehrbücher, Vergnügen bereiten. Ohne zu verflachen oder einen Anspruch aufzugeben, könn­te ein wenig Unterhaltung, ein bisschen „Story-Telling“, dazu führen, dass die Studierenden den Stoff leichter aufnehmen und behalten können. Hier können vor allem die oben angesprochenen digitale Ressourcen gute Dienste leisten.

 

Entwicklungen auf dem Lehrbuchmarkt

In den vergangenen 30 Jahren, in denen ich den Lehr­buchmarkt beobachten konnte, haben sich Lehrbücher für die deutschsprachige Hochschullehre immer stär­ker ans Schulbuch angenähert, sind mithin bunter und abwechslungsreicher geworden, stärker didaktisiert, granulierter. Leider auch zum Teil ein bisschen flacher und – so mein Eindruck – weniger anschlussfähig: Der Graben zwischen bequem aufbereitetem Lehrbuch und der notwendigen Rezeption von immer komplexer und spezialisierter werdender Forschung kann dabei für die Studierenden zu einer schwierigen Hürde werden.

Doch ist meine Erfahrung, dass derartige Herausforderungen zu guten Wachstumsschritten führen können. Sich selbst Inhalte anzueignen, sich durch komplexe Gedankenge­bilde zu arbeiten, führt dazu, dass das Ganze am Ende nicht nur besser verstanden wird, sondern auch große Befriedigung verschaffen kann.

 

Fazit

Letzten Endes hängt die Wahl des richtigen Lehrbuchs also davon ab, wie ich selbst meine Lehrveranstaltung aufbaue, wo ich meine Zielgruppe abholen kann, welche Lernziele ich vor Augen habe, wie viel Eigeninitiative ich erwarten darf und wie viel Zeit zur Ver­fügung steht.

Und wenn Sie nun feststellen, dass für Ihren Bereich kei­ne geeignete Literatur auffindbar ist, wenden Sie sich an einen einschlägigen Verlag: Dann spricht bei ausreichender Fachkenntnis nichts dagegen, dass Sie auf Grund Ihrer eigenen Erfahrungen, Ihres Wissens und Ihrer Kompe­tenzen selbst ein erfolgreiches Lehrbuch verfassen.

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Die Autorin

Porträt der Verlegerin Barbara Budrich mit offenen langen Haaren, dunklem Jacket über einem T-Shirt, freundlich lächelnd.Barbara Budrich, M.A., ist von Kindesbeinen an im Wissenschaftsverlag tätig und seit 2004 selbstständige Verlegerin. Außerdem ist sie Trainerin und Coach für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren im Schulungsunternehmen budrich training. Zudem ist sie selbst Autorin. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz führt sie seit 2015 als Vorbildunternehmerin.

 

 

Dieser Post basiert auf einem Artikel aus

Cover "Exposé Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren" 2-2022Exposé – Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren

Heft 2-2022: Wissenschaftliche Lehre

 

 

 

 

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©  Titelbild: unsplash.com | Jasmine Coro | Foto Barbara Budrich: privat