Welche Arten von Studien gibt es und welche ist die richtige für meine Forschungsfrage? Ein Gastbeitrag von Statistikexpertin Daniela Keller.
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Arten von Studien
Wenn Sie mit statistischen Methoden arbeiten, haben Sie vorab eine quantitative Studie durchgeführt, um die Daten für die statistische Auswertung zu erheben. Aber Studie ist nicht gleich Studie. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Studienarten, die abhängig vom Forschungsstand, der Forschungsfrage, dem Fachgebiet und auch von den zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten eingesetzt werden. Die wichtigsten Unterscheidungskriterien und häufig vorkommende Studienarten stelle ich Ihnen in diesem Beitrag vor.
Erhebungsmethode: Befragung oder Beobachtung
Wenn Sie mit Personen arbeiten, können Sie die Daten für Ihre Studie mit unterschiedlichen Verfahren erheben. Grob einteilen lassen sich diese Verfahren in die Befragung und die Beobachtung.
Eine Befragung der Studienteilnehmenden bietet sich an, wenn sich die Zielkonstrukte nur schwer beobachten lassen, wie zum Beispiel bei Einstellungen, Meinungen oder Gedanken. Zudem sind Befragungen meist einfach und insbesondere bei Onlinebefragungen auch kostengünstig durchzuführen. Die Messinstrumente selbst, also die bereits ausformulierten Fragen und Antworten, stehen für viele Themen als validierte Fragebögen zur Verfügung, so dass hier mit einer guten Datenqualität gerechnet werden kann.
Kann das Thema nicht gut abgefragt werden oder interessiert mehr das Verhalten und nicht die Einstellung der Teilnehmenden, so wird eine Beobachtungsstudie durchgeführt. Hier ist der Aufwand oft größer: Es wird geschultes Personal als Beobachtende benötigt und es muss zuvor sichergestellt werden, dass die Beobachtung verlässlich (reliabel) funktioniert. Trotz des höheren Aufwands ist die Beobachtungsstudie vorzuziehen, wenn sie inhaltlich besser passt. Wenn Sie zum Beispiel untersuchen möchten, wie umweltbewusst Menschen sich tatsächlich verhalten, liefert eine Beobachtungsstudie, in der die Mülltrennung von externen Beobachtenden dokumentiert wird, vermutlich genauere Ergebnisse als eine Befragung, in der die Personen angeben, wie sie ihr eigenes umweltfreundliches Verhalten einschätzen.
Mit oder ohne Intervention: Beobachtungsstudie oder Experiment
Im Unterschied zu einer Beobachtungsstudie, in der Sie die vorhandene, unveränderte Situation nutzen, verändern Sie bei einem Experiment bewusst einzelne Rahmenbedingungen, um deren Einfluss untersuchen zu können. Sie teilen beispielsweise die Untersuchungsobjekte zufällig in zwei Gruppen ein: eine Kontrollgruppe, die keine Behandlung bekommt, und eine Interventionsgruppe, die eine festgelegte Behandlung durchläuft. Am Ende können Sie durch einen Vergleich der beiden Gruppen feststellen, ob und wie die Behandlung gewirkt hat. Durch die zufällige Einteilung in die beiden Gruppen werden mögliche Störeffekte eliminiert.
Im Gegensatz dazu können Sie bei einer Beobachtungsstudie, bei der die zufällige Einteilung in Gruppen nicht möglich ist, nicht ausschließen, dass der beobachtete Effekt von anderen Parametern abhängt.
Unter diesem Gesichtspunkt ist ein Experiment wertiger als eine Beobachtungsstudie. Allerdings hat auch das Experiment inhaltliche Nachteile. So findet ein Experiment unter „Laborbedingungen“ statt und die so künstlich erzeugte Situation kann nicht immer gut auf die Realität verallgemeinert werden.
Zeitliches Design: Querschnitt oder Längsschnitt
Auch hinsichtlich des zeitlichen Designs lassen sich Studien unterscheiden und in Querschnitt- und Längsschnittstudien einteilen.
Eine Querschnittstudie untersucht jeden Studienteilnehmenden bzw. jedes Untersuchungsobjekt zu genau einem Zeitpunkt. Hier kann also nur eine Momentaufnahme erstellt werden und es ist nicht möglich, Veränderungen über die Zeit oder zeitabhängige Effekte zu untersuchen.
Dagegen werden in der Längsschnittstudie Daten jeder Person oder jedes Objekts an mehreren (festgelegten) Messzeitpunkten erhoben. Das können zwei oder auch beliebig mehr Zeitpunkte sein. So können Fragestellungen untersucht werden, die sich auf einen Zeitverlauf beziehen. Ebenso können zeitabhängige oder zeitversetzte Effekte in Betracht gezogen werden.
Es stehen also in einer Längsschnittstudie deutlich mehr Analysemöglichkeiten und zu untersuchende Fragestellungen zur Verfügung. Allerdings ist die Durchführung einer Längsschnittstudie im Vergleich zur Querschnittstudie mit deutlich mehr zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden. Nicht zuletzt ist es häufig schwierig, für Längsschnittstudien genügend Personen zu finden, die an allen geplanten Messzeitpunkten zuverlässig teilnehmen.
Zeitpunkt der Datenerhebung: Retrospektiv oder prospektiv
Nicht nur bezogen auf das zeitliche Design der Studie selbst, sondern auch abhängig vom Zeitpunkt der Datenerhebung gibt es eine Einteilung in Studientypen.
Wird die Studie erst nach der Datenerhebung durchgeführt, das heißt, die/der Forschende arbeitet an bereits vorliegenden Daten und hat auch die Fragestellung erst nach Vorliegen der Daten formuliert, so nennt man die Studie retrospektiv.
Dagegen werden bei prospektiven Studien die Daten erst nach der Formulierung der Fragestellung und der Planung der Studie gesammelt.
Prospektive Studien genießen generell ein höheres Ansehen und werden als wertiger im Vergleich zu retrospektiven Studien angesehen. Das liegt daran, dass bei retrospektiven Studien die Daten nicht genau für die vorliegende Fragestellung erhoben wurden und so methodische Fehler und Verzerrungen auftreten können. Außerdem sind retrospektive Daten oft nicht vollständig und es können unter Umständen wichtige Kontrollvariablen nicht berücksichtigt werden. Dennoch werden retrospektive Studien in der Forschung sehr häufig eingesetzt, weil sie kostengünstig und einfacher durchzuführen sind als prospektive Studien und sehr oft auch größere Datensätze verwenden.
Statistische Methodik: Deskriptiv, explorativ oder schließend
Eine weitere Unterscheidung ist anhand der verwendeten statistischen Methoden möglich. Studien, die rein beschreibende statistische Methoden anwenden, werden deskriptive Studien genannt. Hier wird der bestehende Datensatz anhand von Zahlen, Tabellen und Grafiken beschrieben, ohne dass eine verallgemeinerte Aussage für die Grundgesamtheit getroffen wird.
In explorativen Studien werden zudem interessante Zusammenhänge zwischen Variablen und Unterschiede zwischen Gruppen betrachtet. Das Ziel ist hier Hypothesen zu generieren, die in folgenden Studien genauer untersucht werden können.
Bei schließenden Studien werden dann genau diese Hypothesen mittels Signifikanztests und statistischen Modellen untersucht und diese Ergebnisse auf die Grundgesamtheit verallgemeinert.
Eine Studie lässt sich selten mit nur einer der hier beschriebenen Unterscheidungen klassifizieren. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Kombination. Beispielsweise ist eine Kohortenstudie eine prospektive Beobachtungsstudie im Längsschnitt-Design. Eine Fall-Kontroll-Studie ist auch eine Längsschnitt-Beobachtungsstudie, allerdings meist retrospektiv.
So gibt es eine große Anzahl an möglichen Studientypen, die sich aus den verschiedenen, oben beschriebenen Eigenschaften ergeben. Nutzen Sie diese Begriffe, um Ihre eigene Studie im Methodenteil Ihrer Arbeit präzise zu beschreiben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Exposé – Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren Heft 1+2-2024 erschienen.
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Die Autorin
Daniela Keller ist leidenschaftliche Statistik-Expertin und berät Studierende und Wissenschaftler*innen zu allen Themen der statistischen Datenanalyse. Während ihres Studiums der Diplom-Mathematik gründete sie mit Kommilitonen eine studentische statistische Beratung und arbeitete anschließend selbstständig in diesem Feld. Neben Einzelberatungen und Workshops unterstützt sie ihre Kund*innen seit 2019 mit der Statistik-Akademie, ihrem Online-Mitgliederbereich für alle, die Statistik verstehen und selbstständig anwenden wollen. Ihr Blog (www.statistik-und-beratung.de/blog) und ihr YouTube-Kanal sind Fundgruben für leicht verständlich aufbereitetes Statistikwissen für die Praxis.
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© Foto Daniela Keller: Uschi Mattke | Titelbild: pexels.com, ELEVATE