Seit 20 Jahren Ihr Publikationspartner für die Sozialwissenschaften: 2024 feiert der Verlag Barbara Budrich runden Geburtstag! Über das Jahr hinweg erzählen wir davon, was den Verlag in dieser Zeit bewegt und geprägt hat, lassen unsere Partner*innen zu Wort kommen und feiern mit Ihnen – live und digital hier auf unserem Blog und den Social-Media-Kanälen.
In diesem Blogbeitrag spricht Barbara Budrich darüber, wie kurz nach Gründung mit „Das Erbe der Apartheid“ ein ungewöhnliches Buch den Weg in das junge Verlagsprogramm fand.
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Beinahe jedes Buch wird mit Herzblut geschrieben und hat für die Autor*innen eine ganz besondere Bedeutung. Auch Lektor*innen haben zu vielen der von ihnen betreuten Menschen und Bücher ganz besondere Beziehungen. Und zuweilen sind sie gerahmt von bemerkenswerten Geschichten. Eine dieser Geschichten, die in weitere Geschichten mündet, möchte ich heute gern erzählen.
Sie stammt aus der Zeit, als der Verlag Barbara Budrich noch klein war. So klein, dass ich nicht nur Verlegerin war. Ich war auch Lektorin, Buchhalterin, Einkäuferin, Vertriebs- und Marketingchefin und vieles mehr. Ich hatte drei Mitarbeiterinnen auf Minijob- oder Teilzeit-Basis, sodass ich an vielen Stellen nicht alle Arbeiten selbst erledigen musste. Was hervorragend war.
Genau weiß ich es nicht mehr, aber es wird Anfang 2005 gewesen sein. Noch kein Jahr war seit Verlagsgründung vergangen. Die frühere Pressefrau des Verlags Leske + Budrich, Sabine Rehorst, Freundin, ehemalige Arbeits- und Studienkollegin von mir, rief mich an. Sie hatte nach dem Verkauf des Verlages meines Vaters eine Anstellung im Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen gefunden. Ein namhaftes Institut, geführt vom renommierten Historiker, Prof. Dr. Jörn Rüsen.
Übersetzungen brauchen Fördergelder
„Wir haben hier ein Buch, das du auf Deutsch rausbringen musst. Es ist superspannend!“, sagte Sabine. „Auf Deutsch rausbringen“ mag in den Ohren mancher Menschen unschuldig klingen. In meinen Ohren klang es vor allem teuer. Eine Übersetzung ist eine aufwendige Angelegenheit: Die reine Wort-für-Wort-Übersetzung ist schon mühsam genug, aber reicht sie nicht aus, um ein Buch angemessen von einer Sprache und deren kultureller Umgebung in eine andere zu übertragen. Zudem gehört Quellenarbeit dazu: Zitate müssen verifiziert, Quellen in der Zielsprache ausfindig gemacht werden. Gelegentlich braucht es Exkurse, um bestimmte Kontexte zu erläutern. Man braucht viele Durchgänge durch das Manuskript von der ersten Rohübersetzung zur vollständigen Kontrolle bis hin zur fachlichen Überprüfung und zur stilistischen Überarbeitung. Honorare für Übersetzungen sind immer zu niedrig für diejenigen, die die Übersetzung anfertigen – aber für diejenigen, die sie zu bezahlen haben, sind sie ein Riesenbrocken. Die üblichen Produktionskosten kommen ohnehin obendrauf und als Kirsche auf der Sahne sind Lizenzgebühren an den Verlag des Originals zu bezahlen. Und ein kleines Buch, das im Laden keine 20 Euro kosten darf, braucht lang, um dieses Geld einzuspielen. Falls es das überhaupt je schafft.
Ich brauchte keine exakte Kalkulation, um zu antworten: „Übersetzungen können wir uns nicht leisten. Oder gibt es Fördermittel?“ Manchmal gibt es Möglichkeiten, Fördermittel einzuwerben, häufig abhängig von der Originalsprache. Das Buch jedoch lag auf Englisch vor. Eine der Sprachen, bei denen es am schwierigsten ist, eine Subvention für die Übersetzung ins Deutsche zu bekommen.
Sabine erzählte mir noch die Geschichte von der eindrucksvollen Psychologie-Professorin aus Südafrika, die im fraglichen Buch „A Human Being Died That Night“ die Geschichte der Apartheid aufarbeitet. Festgemacht ist die Geschichte an den biografischen Interviews, die Pumla Gobodo-Madikizela mit dem inhaftierten ehemaligen obersten Killer der Geheimpolizei Eugene de Kock geführt hatte. Pumla sei Mitglied der Truth and Reconciliation Commission Südafrikas und komme regelmäßig nach Deutschland. Geld für die Übersetzung gebe es aber leider nicht.
„Das Erbe der Apartheid“: Programmarbeit ist zentral für einen Verlag
Spannend, stimmte ich Sabine zu. Und leider unbezahlbar für mich. Zudem, musste ich einwenden, passten Interviews einer Psychologin auch dann nicht in unser Programm, wenn sie in einen historischen Kontext eingebettet sind. Geschichte ist keiner der fünf Pfeiler unseres Programms und wenn man erst dabei ist, ein Verlagsprogramm aufzubauen, ist es umso wichtiger, die spezifischen Programmsegmente zu bedienen. Die waren mit Erziehungswissenschaft, Gender Studies, Politikwissenschaft, Sozialer Arbeit und Soziologie schon ausreichend aufgefächert, da fehlte mir persönlich Geschichte als Disziplin genauso wenig wie Psychologie.
Es sei aber ein Buch, das wir auch einer breiteren Öffentlichkeit anbieten könnten, insistierte meine Freundin, die jahrelang bei Leske + Budrich Medienarbeit gemacht hatte. Sie wusste genau, wie mühsam es ist, wenn man versucht, außerhalb der eigenen Kreise aktiv zu werden – und konnte es sich möglicherweise vorstellen, wie es ist, diese eigenen Kreise überhaupt erst aufzubauen. „Die breitere Öffentlichkeit“ mag vielversprechend klingen, explodiert doch im eigenen Kopf die Zahl der Bücher, die sich verkaufen lassen. Wir sprechen hier von einem einfachen Dreisatz: Eine kleine, spezifische Zielgruppe, zum Beispiel in der Soziologie, bringt wenige Leser*innen, also kleine Auflagen. Vergrößert man die Zahl der (potenziellen) Leser*innen, indem man aus dem Spezifischen ins Allgemeinere wechselt, hat man auf einen Streich große Auflagen. So einfach ist das… nicht.
Die Herausforderung liegt im Erreichen dieser großen Zielgruppe, die von allen Seiten ohne Unterlass Lesestoff angeboten bekommt. Wir bewegen uns aus dem Lesen-und-Wissen-Müssen des wissenschaftlichen Diskurses in eine Welt des Lesen-Wollens. Auf einmal konkurrieren wir nicht mit anderen Publikationen für Lehre und Forschung, sondern mit Romanen, Biografien, Erzählungen und dem Genre der wissenschaftlichen Sachbücher. Das alles braucht andere Vertriebskanäle und eine neue Ausrichtung von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Diese Maschinerie für eine einzige kleine Veröffentlichung aufzusetzen – keine Chance!
Wir verabschiedeten uns in aller Freundschaft, nachdem wir uns auf eine Pizza verabredet hatten, um mal wieder in Ruhe zu quatschen. Und ich vergaß Pumla Gobodo-Madikizela und das Buch über Eugene de Kock und das Erbe der Apartheid in Südafrika. Natürlich war mir die Biografie Nelson Mandelas in groben Zügen geläufig. Ich hatte Desmond Tutu in den 1980er Jahren in Australien bei einer Predigt erleben dürfen und bewunderte die Arbeit der Truth and Reconciliation Commission. Doch mehr wusste ich nicht über Südafrika. Und 2005 war ich stärker mit dem Aufbau meines Verlages beschäftigt als damit, mir neue Länder und Kontinente zu erschließen.
Nur mit rationalen Entscheidungen kann ein Unternehmen erfolgreich sein
Als ein paar Tage später mein Telefon erneut klingelte und Prof. Dr. Jörn Rüsen persönlich am Telefon war, fühlte ich mich einerseits geehrt. Natürlich kannte ich viele Professor*innen aus den vom Verlag betreuten Disziplinen. Einer der schönsten Aspekte der Verlagsarbeit ist schließlich, mit den eigenen Autor*innen gute Arbeitsbeziehungen bis hin zu Freundschaften zu pflegen. Dass mich aber ein renommierter, quasi fachfremder Wissenschaftler persönlich anrief, das bedeutete etwas für mich und mein Unternehmen im Aufbau.
Sein Anliegen jedoch nervte mich. Ich solle die deutsche Übersetzung des Buches von Pumla Gobodo-Madikizela in meinem Verlag veröffentlichen. Sorgfältig setzte ich ihm auseinander, warum das keine gute Idee sei – weder für das Buch, weil ich die Zielgruppe nicht erreichen könne, noch für meinen Verlag, weil dieser nicht über entsprechende Gelder verfügte.
An dieser Stelle zieht in meiner Erinnerung undurchdringlicher Nebel auf. Ich bilde mir ein, dass Jörn Rüsen ein zweites Mal anrufen und auf mich einreden musste. Aber vielleicht ist das auch nur die Eitelkeit meiner Vernunft, die sich selbst im Nachgang gute Argumente überlegen musste, warum wir der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe des Buches letzten Endes doch zustimmten.
Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung
Um die Übersetzungskosten nicht bezahlen zu müssen, fertigte ich selbst die Übersetzung an. Das ist eine typische Reaktion von Selbstständigen: Die eigene Zeit wird so gering geschätzt, dass sie in Tätigkeiten investiert wird, für die wir kein Geld in die Hand nehmen wollen oder können. Andererseits bin ich studierte Anglistin, sodass ich zwar ohne Übersetzerdiplom aber wenigstens nicht völlig fachfremd bin.
Allerdings hatten wir einen Termin, zu dem die deutsche Ausgabe fertig sein musste, weil im April 2006 ein erneuter Deutschlandbesuch der Autorin anstand. Jörn Rüsen lieferte einen Text für die Rahmung des Buches und Nelson Mandela verfasste ein Vorwort. Desmond Tutu sagte über Pumlas Veröffentlichung: „Ein Buch, das unsere Menschlichkeit anrührt, unser Mitgefühl und unseren Anstand.“
Und „Das Erbe der Apartheid“ ist wahrlich ein Buch, das anrührt. Ich kann gar nicht sagen, wie häufig ich mir beim Übersetzen und Überarbeiten des Textes Tränen aus den Augen wischen musste. Die Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind – das ist so häufig gesagt worden und hat bis heute Gültigkeit und sie bleibt unfassbar. Auf der anderen Seite die Hoffnung, die in der Möglichkeit von Vergebung steckt. Zwei Seiten des Menschlichen, die Anlass geben für Resignation und Zuversicht gleichermaßen, die in der Geschichte Südafrikas verankert sind und im Buch entsprechend Raum finden.
Zwei Kolleginnen mussten mir beim finalen Korrekturlesen helfen, damit wir den Erscheinugstermin erreichen konnten. Wir brauchten die Bücher für eine große Tagung in Würzburg und die Deutschlandreise, auf die ich Pumla persönlich begleiten durfte. Dieses Buch wurde zum Anfang für meine persönliche Entdeckungsreise zu einem neuen Kontinent, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Ein mit Herzblut verfasstes Buch mit vielen besonderen Geschichten – nicht nur für die Autorin.
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Pumla Gobodo-Madikizela:
Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung
© Titelbild gestaltet mit canva.com | Foto Titelbild: unsplash.com, Priscilla Du Preez