Möge nun Frieden ausbrechen – Barbara Budrich zum Krieg in der Ukraine – Beginn unserer Blogreihe

Immer wenn ich höre, dass Krieg „ausgebrochen“ sei, werde ich wütend. Krieg ist kein eigenständiger Akteur, der von allein plötzlich ausbricht. Menschen machen Krieg. In unserem Falle, im schönen Jahr 2022, führt die russische Staatsführung – oder sollte es tatsächlich der russische Präsident Putin ganz allein sein? – einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und so, wie die Dinge jetzt stehen, richtet sich auch dieser russische Krieg vielfach aktiv und absichtlich gegen Zivilist*innen. Wer hätte das erwartet?

Den Krieg selbst hatten offenbar nicht einmal die Fachleute auf dem Zettel. (Außer denen, die die NATO-Gespräche kritisch gesehen haben und anmerken, dass im Westen Fehler gemacht wurden. Oder jenen, die beobachten konnten, wie Putins Truppen an der Grenze zur Ukraine strategisch aufgereiht wurden. Aber gut: Hinterher sind wir alle schlauer.) Und wer hatte diese Grausamkeit erwartet? Wer die russische Art der Kriegsführung beobachtet hat, der weiß zum Beispiel von der völligen Zerstörung von Städten wie Aleppo, wie Grosny, bei denen die Zivilbevölkerung keine Rolle gespielt hat.

Von vielen Seiten höre ich die verzweifelte Frage: Was können wir jetzt tun? So viele Menschen in aller Welt möchten der Ukraine beistehen. Die Geflüchteten unterstützen. Den Menschen helfen, die aus den umkämpften und belagerten Städten und Gebieten ausreisen möchten, aber nicht können. Das Leid, die Verzweiflung, die Angst mildern.

Auf der anderen Seite wollen viele klar Stellung beziehen gegen diesen Aggressor. Die Brutalität dieses Krieges gepaart mit der Desinformationskampagne und den harten Eingriffen gegen Meinungs- und Pressefreiheit in Russland selbst – wir stehen da und reiben uns verwundert die Augen. Wer hätte das so erwartet, den Wandel von einem autokratischen Staat mehr und mehr hin zur Diktatur? Nun, vielleicht all jene, die regelmäßig hingeschaut haben – auf die Morde an Journalist*innen und Regimekritiker*innen, auf die Verhaftungen, das Mundtotmachen.

Und dann das Lavieren der Abhängigen. Wir haben tatsächlich daran geglaubt, dass Russland davor zurückschrecken würde, seine guten Kund*innen zu massakrieren. Wir haben wohl daran geglaubt, dass wir, wenn wir unsere Rechnungen in Petro-Dollars zahlen, eine gute Beziehung zu unserem Nachbarn aufbauen. Und dass sich dadurch irgendwelche Machtverhältnisse aufbauen, die uns an irgendeiner Stelle nützlich sein können. Die Machtverhältnisse sind da. Nur leider umgekehrt. Wir haben jetzt die einzigartige Möglichkeit, unseren Energiehunger endlich sozial und ökologisch verträglich(er) zu stillen. Unser Wohlstand, unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sogar der Weltfrieden befinden sich in russischer Geiselhaft.

Doch es ist alles noch viel schlimmer. Denn eine der Kornkammern der Welt – die Ukraine – wird zerstört und vermint, sodass viele, die ohnehin vor allem wenig haben, in naher Zukunft voraussichtlich noch weniger haben werden. Das Zerstören von Infrastruktur, die Sanktionen gegen Russland, selbst ein großer Lebensmittel-Exporteur, verschärfen die Lage zum Beispiel in Ostafrika, wie unter anderem in der Süddeutschen nachzulesen ist.

Während Polen und andere direkte Ukraine-Nachbarn bereits viele Geflüchtete aufnehmen, kommen nun auch langsam in Deutschland mehr und mehr Menschen aus der Ukraine an. Überraschend, dass sogar Staaten wie Polen und Ungarn und Bundesländer wie Thüringen sich bereit erklären, die Geflüchteten aufzunehmen. Ich freue mich darüber. Und auch hier: Wer hätte das erwartet? (Niemand, der sich an strikte Weigerungen von Polen und Ungarn in „der Flüchtlingsfrage“ erinnert und an Thüringer*innen, die sich gegen Busse mit vom Krieg traumatisierten Menschen aus Syrien empörten. Offensichtlich gibt es „falsche„ und „richtige“ Flüchtlinge – welch ein Zynismus!)

Und weil wir uns bei unseren Erwartungen und Einschätzungen so oft täuschen, wünsche ich mir mit Ihnen (wie ich vermute) und so vielen anderen Menschen auf diesem unserem kleinen blauen Planeten, dass nun plötzlich Frieden ausbrechen möge!

Stop this War!

 

Zur Person Barbara Budrich

Im Jahr 1993 begann sie die Arbeit als Lektorin im Verlag Leske + Budrich, der ihrem Vater Edmund Budrich gehörte. Im Jahre 2004, nach dem Verkauf von Leske + Budrich, gründete Barbara Budrich ihr erstes eigenes Unternehmen, den Verlag Barbara Budrich. 2007 gründete sie die Budrich UniPress Ltd., die 2019 in Budrich Academic Press überführt wurde.

Sie hat zahlreiche Bücher und Aufsätze publiziert, wird zu unterschiedlichen Anlässen als Rednerin eingeladen – vom wissenschaftlichen Publizieren bis hin zu Unternehmensthemen – und ist vielfach ausgezeichnet. Weitere Informationen zu ihr auf ihrer eigenen Webseite.

 

Über die Blogreihe „Stimmen zum Ukrainekrieg“

Wir wollen unterschiedlichen Perspektiven auf den Ukrainekrieg eine Stimme geben – wir möchten Debatten erweitern, statt sie zu verengen. In den kommenden Wochen veröffentlichen hier und auf unserem englischsprachigen Blog unsere Autor*innen aus der ganzen Welt Beiträge zur Situation in der Ukraine, in Europa und weltweit. Sie kommentieren das aktuelle Geschehen, teilen Meinungen, kurze Analysen, Einschätzungen und ihre augenblicklichen Gedanken – wissenschaftliche wie persönliche.

Teil 2 – John E. Trent – Ostracize Russia, Respect Russians

Teil 3 –  Jerzy J. Wiatr – Putin’s Historical Error and Its Consequences

Teil 4 –  Den Krieg in der Ukraine im Politikunterricht vermitteln (Hinweis zu Beitrag von Christian Fischer/GWP)

 

Bild Barbara Budrich: Nina Schöner Fotografie.