Metaphorik von Verschwörungstheorien

Schach: ein weißer Bauer vor zwei schwarzen Figuren

Verschwörungsmythen am Beispiel von QAnon und Neue Weltordnung – Eine rekonstruktive Metaphernanalyse

Charlotte Fehr

Soziologiemagazin, Heft 1-2021, S. 27-43

 

Dieser Beitrag untersucht mit Hilfe der Methode der rekonstruktiven Metaphernanalyse die Wirklichkeitskonstruktion von Verschwörungsgläubigen. Die weite Verbreitung von Verschwörungsmythen deutet darauf hin, dass diese umfassende gesellschaftliche Funktionen übernehmen und rein pathologisierende Beschreibungen von Verschwörungsgläubigen nicht ausreichend sind. Folglich scheint eine systematische Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit notwendig unter Berücksichtigung der Frage, welche Funktionen Verschwörungsmythen für Individuen und Kollektive erfüllen. Anhand eines Interviews und ausgewähltem Textmaterial von Verschwörungsgläubigen wird gezeigt, wie verschiedene Elemente eines Verschwörungsmythos sowie die Verhältnisse dieser Elemente zueinander metaphorisch konzeptualisiert werden. Die verwendeten Metaphern werden dazu nach Bildspendebereichen kategorisiert und die daraus resultierenden Konzepte analysiert. Die Konzeptualisierung von Verschwörungen beispielsweise als „Krieg“, „Jagd“ oder „Theaterstück“ thematisieren potenziell lebensbedrohliche Konflikte, Autonomieverlust sowie Machtungleichheiten und offenbaren Gefühle von Ohnmacht und Angst.

Schlagwörter
Verschwörungsmythen; Metaphernanalyse; Wirklichkeitsrekonstruktion; Neue Weltordnung-Mythos; QAnon

 

Hintergrund
Bei der Betrachtung von Texten oder Videos prominenter Verschwörungsgläubiger (VG) fällt schnell eine hohe metaphorische Dichte auf. Der häufige Rückgriff auf die gleichen Metaphern, Bilder und Konzepte sticht auch in Einträgen auf Online-Plattformen und im persönlichen Gespräch mit VG hervor. Sie begreifen und beschreiben sich als „Informationskrieger“ – die breite Masse besteht hingegen aus „Schlafschafen“, – die sich im Kampf mit den Strippenzieher*innen der globalen Geschehnisse befinden. Die Analyse der verwendeten Metaphorik sowie Identifizierung und Analyse der jeweiligen Bildspendebereiche versprechen einen tiefergehenden Einblick in die subjektive Wirklichkeitskonstruktion von VG, da sich komplexe Muster des Denkens, der Wahrnehmung, des affektiven Empfindens und des Handelns in metaphorischen Konzepten bündeln (vgl. Schmitt 2010: 680). Erkenntnisse bezüglich dieser Realitätskonstruktionen können eine Grundlage zur Beurteilung der Problematik und Erarbeitung von Maßnahmen bieten – schließlich steigern das Internet und mediale Berichterstattungen die Sichtbarkeit radikaler Ansichten, was die Analyse lohnenswert erscheinen lässt (vgl. Anton et al. 2014: 10). Der folgende Beitrag bildet eine rekonstruktive Metaphernanalyse von Verschwörungsmythen ab (vgl. Kruse et al. 2011), die auf Basis einer Auswahl von Texten sowie eines Interviews durchgeführt wird.

Verschwörungsmythen
Verschwörungsmythos ist kein rein analytischer Begriff. Stattdessen handelt es sich um eine Stigmatisierung aus dem öffentlichen Diskurs, welcher zugleich einen „Teil des Kampfes um die Definitionsmacht über soziale Wirklichkeit“ (Anton et al. 2014: 12) darstellt. Auf grundlegende erkenntnistheoretische Probleme wird jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. In diesem Fall soll es um die narratologische Gattung der Verschwörung gehen, denn Verschwörungsmythen bieten Erklärungen für Ereignisse oder Phänomene an, die den offiziellen Erklärungen entgegenstehen (vgl. Imhoff/Bruder 2014: 25). Es geht in diesem Artikel folglich nicht um die Frage danach, ob Verschwörungsmythen in ihren Aussagen wahr oder unwahr sind, sondern um die Erzählstrategien solcher Erklärungsfiguren, die vom Wissen des „Main-Streams“ deutlich abweichen.

Betrachtet man die weite Verbreitung von Verschwörungsmythen, wird deutlich, dass eine reine Pathologisierung dem Phänomen nicht gerecht wird (vgl. Goertzel 1994; vgl. Butter 2018: 10; vgl. Zick et al. 2019). Es bietet sich an, Verschwörungsmythen auf ihre funktionalen Aspekte hin zu untersuchen. In Verschwörungsmythen werden hochkomplexe Phänomene auf simple kausale Verkettungen reduziert (vgl. Barkun 2013: 7). Der Glaube an Verschwörungsmythen kann in diesem Zusammenhang als Orientierungs- und Bewältigungsstrategie dienen (vgl. Caumanns/Niendorf 2001). Verschwörungsglauben hängt mit Gefühlen der Angst und dem Empfinden von Sinnlosigkeit, Misstrauen, Verlorenheit und Ohnmacht zusammen (vgl. Goertzel 1994; vgl. Douglas et al. 2019: 8). Durch die Identifikation des Schlechten und die damit einhergehende Möglichkeit zur Umkehrung erhöht sich die subjektive Handlungsfähigkeit, da VG durch ihr exklusives Wissen zu Akteur*innen werden, welche nun potenziell Einfluss auf Geschehnisse nehmen können. Verschwörungsmythen befriedigen soziale Motive und erfüllen bestimmte Funktionen für die individuelle und kollektive Identität, zum Beispiel die Verbesserung des eigenen Selbstbildes sowie das Erschaffen einer Gemeinschaft (vgl. Butter 2018: 100), welche ihre kollektive Identitätswirkung aus der gemeinsamen Ablehnung orthodoxer Wissensbestände beziehungsweise des „Main-Streams“ (Buchmayr 2019: 379) gewinnt. Die Analyse der verwendeten Metaphorik kann dazu beitragen zu verstehen, wie die benannten Funktionen erfüllt werden.

Die rekonstruktive Methaphernanalyse
Das Verständnis von Metaphern in dieser Untersuchung orientiert sich an der Conceptual Metaphor Theory von George Lakoff und Mark Johnson (1998). Sprache, als sinnkonstruierendes Zeichen- und Symbolsystem, hängt mit der Repräsentation von Welt und Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen zusammen (vgl. Goodenough 1957). Diese Grundannahme ermöglicht ein analytisches Vorgehen zur Rekonstruktion der subjektiven Realität der Sprechenden aus dem Gesprochenen, in diesem Fall aus den verwendeten Metaphern. Definitionsgemäß stellen Metaphern eine Bedeutungsübertragung von Eigenschaften von einem Bereich auf einen anderen dar. Dieser Projektionsprozess kommt der Grundstruktur des konzeptuellen mappings gleich (vgl. Lakoff 1993: 206f.). Einzelne Metaphern lassen sich in Konzepten bündeln, die jeweils eine bestimmte Perspektive bezüglich eines Phänomens einnehmen, folglich einige Merkmale betonen, andere wiederum auslassen und mit spezifischen Handlungshorizonten verknüpfen. Ein Beispiel für ein metaphorisches Konzept findet sich in einer Studie von Rudolf Schmitt und Bettina Köhler (2006). Das Konzept „Rauchen ist Essen“ bündelt Metaphern, welche den Appetit auf eine Zigarette benennen oder den Einstieg in den Konsum als Kosten beschreiben. Metaphorische Konzepte und Konzeptsysteme strukturieren menschliche Wahrnehmung und beeinflussen nicht-reflektiertes Alltagshandeln und damit auch subjektive Alltagsrealitäten (vgl. Lakoff /Johnson 2003: 11). Die Autoren illustrieren die Wirkmacht von Metaphern auf menschliches Handeln am Beispiel Argumentieren ist Krieg. Es spiegelt sich in der Sprache unter anderem wie folgt wieder:

– Ein Argument niederschmettern
– Eine Argumentation gewinnen oder verlieren
– Schwachpunkte einer Argumentation angreifen

Wie Metaphern Wahrnehmung und Handeln beeinflussen, zeigt sich darin, dass Personen sich in einer Argumentation zumeist als Gegner*innen definieren und die Auseinandersetzung in der Regel gewonnen beziehungsweise verloren werden kann. In einer Gesellschaft, in welcher das Konzept argumentieren nicht mit kämpferischen Handlungen, sondern mit der Konzeptuellen Metapher Argumentieren ist Tanzen verknüpft wäre, würden sich demnach Argumentationen anders, vermutlich harmonischer, gestalten (vgl. ebd.: 12ff.). Folglich sind Metaphern ein relevanter Baustein der sprachlich-kommunikativen Sinnproduktion (vgl. Kruse et al. 2011: 9).

Das Grundgerüst der rekonstruktiven Metaphernanalyse stellen drei Axiome dar (vgl. ebd.: 28ff.): (1) Wirklichkeit ist stets konstruierte Wirklichkeit, (2) alles hat beziehungsweise ergibt einen Sinn und (3) nichts ist selbstverständlich. Mithilfe der rekonstruktiven Metaphernanalyse können „über die Analyse der metaphorischen Wahlen von Sprechern bzw. Sprecherinnen (…) mehr oder weniger direkt die ihnen zugrunde liegenden Repräsentations- und Relevanzsysteme rekonstruiert werden“ (ebd.: 8). Die Methode basiert auf verschiedenen semiotischen, linguistischen und kognitionspsychologischen Grundlagen (vgl. ebd.: 8) und eignet sich zur Auswertung aufgrund ihrer einfachen Struktur, der Fokussierung auf Sinnrekonstruktion sowie der Übereinstimmung mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung von Metaphern.

Es wird davon ausgegangen, dass die „sprachlich-kommunikative Konstruktion von Metaphern und (…) ihre konkrete, d.h. situative, Verwendung (…) auf den allgemeinen semiotischen Grundlagen der Sinnkonstruktion durch die Ver- bzw. Anwendung von (sprachlichen) Zeichen [basiert]“ (ebd.: 34). Zeichen werden als Stellvertreter verstanden, welche keine eigene Bedeutung in sich tragen, sondern auf etwas (das Bezeichnete) verweisen (vgl. ebd.: 31). Sprachliche Ausdrücke transportieren mehr als das Gesagte. Dahinter steht ein zunächst verborgener Sinn sowie die Entscheidung gegen andere Ausdrücke, in diesem Fall andere Metaphern und damit verbundene metaphorische Konzepte und Sinngebungen. Diese Entscheidung ist zumeist weder bewusst noch individuell, da Metaphern symbolisch vorstrukturiert sind. Um möglichst wenig eigenen Sinn in den fremden Sinn eines Textes hineinzulegen, ist jede Interpretation systematisch am Textmaterial zu belegen. Es bedarf also einer strikten Rückbindung an die erhobenen Daten. Diese Rekonstruktionshaltung äußert sich auch durch das Prinzip der Offenheit. Fremder Sinn ist aus dem Text Schritt für Schritt herauszuarbeiten, ohne vorschnelle Interpretation. Es ist die Konsequenz der Problematik des Fremdverstehens und Idexikalität. Dementsprechend sollte stets eine Reflexion des eigenen Relevanzsystems vorgenommen werden (vgl. ebd.: 40ff.).

Die rekonstruktive Metaphernanalyse vollzieht sich in vier Schritten: Im ersten Schritt werden metaphorische Passagen gesammelt, um ein Inventar anzulegen. Anschließend werden Metaphern nach Bezügen und Aspekten sortiert und nach Bildspendebereichen kategorisiert (zweiter Schritt). Im dritten Schritt werden Metaphern abstrahiert und vervollständigt (metaphorische Ableitung). Dies geschieht durch das Weiterdenken des bildspendenden Bereichs und durch erneute Anwendung auf den Zielbereich. Auch für den zweiten und dritten Schritt sind Inventare anzulegen. Schließlich wird die Metaphorik interpretiert und hinterfragt. Betrachtung finden hier unter anderem die Konnotationen, Aussparungen, Kohärenzen, angenommene Selbstverständlichkeiten und vermittelte Normalitäten (vierter Schritt) (ebd.: 94-102).

Idealerweise ist die Methode in ein integratives Basisverfahren einzubetten. Die Metaphernanalyse stellt zwar einen vielversprechenden Ansatz zur Rekonstruktion der Sinnzusammenhänge von VG dar, jedoch kann der subjektive Sinn der Befragten kaum vollständig ohne die Verwendungen weiterer Analysetechniken rekonstruiert werden, da jede Analysemethode eine spezifische Perspektive einnimmt beziehungsweise einen spezifischen Zugang bietet (vgl. ebd.: 48). Es ist ratsam, eine Metaphernanalyse in einer Forschungsgruppe durchzuführen, um unterschiedliche Identifikationen und Deutungen von Metaphern zu diskutieren und damit die methodische Kontrolle des Problems des Fremdverstehens zu unterstützen (vgl. ebd.: 47).

Material und Methodik
Zentrales Datenmaterial stammt von einem Anhänger (männlich, 32 Jahre alt, Handwerker mit abgeschlossener Lehre) des Verschwörungsmythos der Neuen Weltordnung (NWO) sowie aus Artikeln aus der Sphäre von NWO und QAnon. Während die NWO einen spezifischen Verschwörungsmythos darstellt, begreifen sich Anhänger*innen von QAnon als Bewegung, die sich um eine Vielzahl von Verschwörungsmythen organisiert und dabei auch Teile des NWO-Mythos aufgreift. Beide thematisieren das Streben nach Weltherrschaft und Kontrolle durch eine politische Elite und sind geprägt von Antisemitismus und Globalisierungskritik. Der Kontakt wurde durch Facebook-Gruppen aufgebaut, die aufgrund ihrer Größe, Zugänglichkeit und hohen Aktivität ausgewählt wurden („Gemeinsam gegen die Neue Weltordnung“: ca. 40.000, „QAnon deutsch blumenberger“: ca. 27.000 Mitglieder). Zusätzlich wurden drei Artikel (T1: Tagesereignis (2019), T2: aikos2309 (2020), T3: Fulford (2020)) zu Verschwörungsmythen ausgewählt, welche den Hauptinhalt bereits erwähnter Facebook-Gruppen darstellen (Neue Welt Ordnung, Theorien der QAnon-Bewegung). Bei der Auswahl der Texte und Verschwörungsmythen galten folgende Kriterien: Aktualität, Medienpräsenz (vgl. Dachsel 2018; vgl. MDR Sachsen 2020), politischer Einfluss (vgl. Cosentino 2020; vgl. Veritas Liberabit Vos 2020) und (bezüglich der Artikel) Veröffentlichung in den genannten Facebook- Gruppen. Es wurde auf diese Texte zurückgegriffen, da nur ein Interviewpartner einer Tonaufzeichnung zustimmte.

Insgesamt gestaltete sich die Identifizierung von Interviewpartner*innen schwierig. Obwohl das Forschungsvorhaben Interesse weckte, erschien die Hürde zu hoch, auf einer Aufnahme die eigenen Überzeugungen darzulegen. Personen, die bereits einem Interview zugestimmt hatten, äußerten nach Überlegungen Misstrauen und Verunsicherung. In der vorliegenden Arbeit zeigte sich das Problem der sozialen Erwünschtheit in der Interviewsituation dadurch besonders prägnant, dass viele im öffentlichen Diskurs als besonders problematisch angesehene Positionen wie Holocaustleugnung erst nach Beendigung der Aufnahme geäußert wurden.

Als Interviewverfahren wurde ein leitfadengestütztes, problemzentriertes Interview nach Witzel (vgl. 1985) ausgewählt. Der Interviewmethode folgend wurde zwischen verschiedenen Gesprächsblöcken (Gesprächseröffnung, allgemeine Sondierungen, spezifische Sondierungen und Ad-Hoc-Fragen) und Fragetechniken (erzählgenerierend, verständnisgenerierend, zurückspiegelnd) unterschieden. Es wurden keine Versuche unternommen, den Interviewpartner zur Verwendung von Metaphern zu verleiten, um das Antwortverhalten bezüglich verwendeter Metaphorik und deren Häufigkeit nicht zu verfälschen. Leitfragen beziehen sich auf die Erläuterung der NWO und Beschreibung der verschiedenen Elemente dieses Verschwörungsmythos (Verschwörer*innen, Unwissende, VG). Das zweistündige Interview wurde Sonntagnachmittag bei gemütlicher Atmosphäre in der Küche des Befragten geführt. Das Interview wurde aufgezeichnet (Tonträgeraufzeichnung) und anschließend transkribiert (inhaltlich-semantische Transkription nach Dresing/Pehl 2018).

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