Wissenschaftsschranke – Beratungsbedarf
Die an urheberrechtlichen Fragen interessierten Verbände und Institutionen hatten von Anfang Februar bis zum 24. Februar 2017 Gelegenheit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Laut BMJV bestand in der Bundesregierung insbesondere zu folgenden Punkten noch “erheblicher Beratungsbedarf” (vgl. http://www.urheberrecht.org/news/5800/):
- Vorrang gesetzlicher Nutzungsbefugnisse (Schranken) vor vertraglichen Vereinbarungen (§ 60g Abs. 1 UrhG-E);
- Maß der gesetzlich erlaubten Nutzungen (insb. § 60a Abs. 1 UrhG-E: 25 Prozent eines veröffentlichten Werks für Unterricht und Lehre);
- Ausnahmeregelung lediglich für Schulbücher, nicht aber für Lehrbücher (§ 60a Abs. 3 Nr. 2 UrhG-E);
- Art der Berechnung der angemessenen Vergütung nach § 60h Abs. 3 UrhG-E.
Lassen Sie uns diese einzelnen Punkte und deren Auswirkungen anschauen:
Ad 1) Wissenschaftsschranke mit Vorrang vor vertraglichen Vereinbarungen
Wie ist es bislang geregelt?
Mit Verabschiedung des Gesetzes sollen Verlagsangebote, die bislang Vorrang vor der gesetzlich geregelten Nutzung hatten, nach hinten rücken.
Was ist beabsichtigt?
Angestrebt ist ein möglichst barrierefreier Zugang von Wissenschaft, Bildung, Forschung zu wissenschaftlichen Publikationen.
Warum ist das notwendig?
Argumentiert wird mit der “Demokratisierung von Bildung”. Klingt gut – ich verstehe jedoch nicht, was damit genau gemeint sein soll. Schließlich sind Bibliotheken die klassischen Orte, zu denen nahezu alle Interessierten Zugang haben. Dass mit dem Einführen der Wissenschaftsschranke ein Anstieg an Bildung, eine weitere “Demokratisierung von Bildung” zu erwarten ist, wage ich zu bezweifeln.
Vielmehr vermute ich, dass sich die Notwendigkeit aus der Behauptung speist, die Verlagsangebote “funktionierten nicht richtig”.
Das mag sich auf den gescheiterten Hochschulrahmenvertrag beziehen: Mit Blick darauf wurde behauptet, das Registrieren von Texten für den digitalen Semesterapparat sei ein unzumutbarer Mehraufwand. (Auch dazu bei Gelegenheit mehr.)
Es mag sich auf die teuren Angebote internationaler Konzernverlage beziehen: Diese Ausgaben ließen sich durch die Einführung der geplanten “Pauschalvergütung” sicherlich kürzen. Wobei das für Verlage nicht lustig ist, da sie an dieser Pauschalvergütung nicht partizipieren (s.u.).
Was wird dafür gebraucht?
Ein Exemplar der Publikation für die gesamte deutsche Bibliothekslandschaft: Es soll ja auch der Austausch der Bibliotheken untereinander (Fernleihe) gelten. Es muss also die entsprechende Datei ein einziges Mal in einer Bibliothek als Digitalisat vorliegen.
Welche (möglicherweise unbeabsichtigten) Folgen kann dies haben?
Folgen für deutsche Verlage
Folgen international
Die Bereitschaft internationaler Verlage, sich in Deutschland zu engagieren, wird durch das Aussetzen des Verlagsvorrangs vermutlich nicht steigen.
Für internationale Wissenschaftskooperationen könnten neue Regelungsnotwendigkeiten entstehen.
Ad 2) Gesetzlich erlaubte pauschal vergütete Nutzung steigt auf 25%
Wie ist es bislang geregelt?
Bislang war – unter Berücksichtigung des Verlagsvorrangs – eine pauschal vergütete Nutzung von bis zu 12% gesetzlich erlaubt.
Was ist beabsichtigt?
Die gesetzlich erlaubte Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material großzügig zu verdoppeln.
Warum ist das notwendig?
Was wird dafür gebraucht?
Ein Exemplar der Publikation für die gesamte deutsche Bibliothekslandschaft: Es soll ja auch der Austausch der Bibliotheken untereinander gelten. Es muss also die entsprechende Datei ein einziges Mal in einer Bibliothek als Digitalisat vorliegen.
Welche (möglicherweise unbeabsichtigten) Folgen kann dies haben?
Große (z.B. prüfungsrelevante) Teile von Büchern, ganze Zeitschriften- und Sammelbandaufsätze können legal in das Intranet einer Hochschule eingestellt werden. Das Ganze wird pauschal vergütet – Verlage gehen allerdings leer aus (s. Ad 4).
Folgen für deutsche Verlage
Für Lehrbücher dürfte das endgültig dazu führen, dass sich keine wirtschaftliche Kalkulation mehr anstellen lässt. Die Rückgänge im Lehrbuchbereich lagen in den vergangenen zehn Jahren trotz historisch gestiegener Studierendenzahlen bei rund 30% (da ist die Abfederung durch digitale Umsätze bereits enthalten). Bei einer Freigabe der Lehrbücher (s. Ad 3) ist ein weiterer Rückgang wahrscheinlich. Damit ist das Verlegen von Lehrbüchern ohne Zuschüsse unmöglich.
Folgen für internationale Verlage
Ad 3) Bereichsausnahme für Schulbuch, nicht aber für Lehrbuch
Wie ist es bislang geregelt?
Bislang wurden – unter Berücksichtigung des Verlagsvorrangs – Lehrbücher behandelt wie alle anderen wissenschaftlichen und Bildungspublikationen auch. Lediglich für Schulbücher galt eine “Bereichsausnahme”: Aus Schulbüchern durfte nicht im gleichen Maße kopiert werden. Die Begründung: Bei Schulbüchern ist der Anteil der urheberrechtlich relevanten Leistung von Verlagen sehr hoch zu bewerten – vielleicht sogar höher als der der jeweiligen Autorinnen und Autoren.
Was ist beabsichtigt?
Lehrbücher sollen keine Bereichsausnahme erhalten, also auch aus Lehrbüchern sollen 25% pauschal vergütet entnommen werden dürfen (s. Ad 2). Was für die meisten prüfungsrelevanten Belange ausreichen dürfte. Studierende, die Lehrbücher kaufen, würden somit nur noch in seltenen Ausnahmefällen zu sehen sein.
Warum ist das notwendig?
Was wird dafür gebraucht?
Ein Exemplar der Publikation für die gesamte deutsche Bibliothekslandschaft: Es soll ja der Austausch der Bibliotheken untereinander gelten. Es muss also die entsprechende Datei ein einziges Mal in einer Bibliothek als Digitalisat vorliegen.
Welche (möglicherweise unbeabsichtigten) Folgen kann dies haben?
Große Teile, vor allem die beliebten prüfungsrelevanten Teile einzelner Lehrbücher sind damit vollständig und legal aus dem Intranet der Hochschule herunterzuladen.
Es wird pauschal vergütet (s. ad 4) – was aber nur für einen Teil der Beteiligten von Belang ist.
Folgen für deutsche Verlage
Für Lehrbücher dürfte das endgültig dazu führen, dass sich keine wirtschaftliche Kalkulation mehr anstellen lässt. Die Rückgänge im Lehrbuchbereich lagen in den vergangenen zehn Jahren trotz historisch gestiegener Studierendenzahlen bei rund 30% (da ist die Abfederung durch digitale Umsätze bereits enthalten). Bei einer Freigabe der Lehrbücher ist ein weiterer Rückgang wahrscheinlich. Damit ist das Verlegen von Lehrbüchern ohne Zuschüsse unmöglich.
Folgen für internationale Verlage
Internationale Verlage erhalten dadurch keinen Anreiz, mit ihren Lehrbuchprogrammen auf den deutschen Markt zu drängen. So gesehen ergibt sich an dieser Stelle eine Abmilderung des internationalen Wettbewerbs für deutsche Verlage. Da diese aber auch keinen Anreiz mehr haben, englischsprachige Lehrbücher zu produzieren und die Internationalisierung der deutschen Wissenschaften intensiv zu begleiten, dürfte sich hier kein Protektionismus-Effekt einstellen.
Ad 4) Die “angemessene Vergütung”
Wie ist es bislang geregelt?
Es gibt zwei Vergütungswege für digitale Nutzungen:
Den einen gibt es (noch) – auch für Verlage: Durch den Verlagsvorrang haben alle Verlage die Chance, für die von ihnen geleistete Arbeit Geld zu bekommen (auch wenn dies per se bereits in manchen Kreisen als unangemessen angesehen wird). Unsere Kundinnen und Kunden bezahlen für die Nutzung unserer Plattformen – utb studi-ebook, scholars eLibrary und budrich journals.
Die pauschale Vergütung – und so steht es auch im Referentenentwurf – läuft zwangsläufig über die entsprechende Verwertungsgesellschaft. Das wäre in unserem Falle die VG Wort. An die VG Wort wurden auch die pauschalen Vergütungen für die Nutzung der digitalen Semesterapparate entrichtet. Nur, leider, leider: Seit dem BGH-Urteil vom April 2016 darf die VG Wort nicht mehr an Verlage ausschütten.
Also: Aktuell gibt es keine Beteiligung an pauschalen Vergütungen für Verlage. Diese Gelder fließen zur Gänze an die VG Wort, die lediglich an entsprechend Berechtigte – also bestimmte AutorInnen – ausschüttet (allerdings z.B. nicht an AutorInnen, die im nicht-europäischen Ausland ansässig sind).
Was ist beabsichtigt?
Der Referentenentwurf regelt ausdrücklich, dass die dort angesetzte pauschale Vergütung nur über eine Verwertungsgesellschaft laufen kann; also die VG Wort (andere Verwertungsgesellschaften dürften im Übrigen auch nicht an Verlage ausschütten…).
Warum ist das notwendig?
Was wird dafür gebraucht?
Eine Verwertungsgesellschaft, die die Vergütungen einsammelt und nach entsprechenden Schlüsseln an die Berechtigten ausschüttet. Verlage, nationale wie internationale, wie auch internationale AutorInnen würden sich natürlich freuen, ebenfalls entschädigt zu werden.
Welche (möglicherweise unbeabsichtigten) Folgen kann dies haben?
(Obwohl ich mich hier schwertue von “unbeabsichtigt” zu sprechen.)
Folgen für deutsche Verlage
Unser Primärmarkt würde auf einen winzigen Teil zusammenschrumpfen.
Durch den Wegfall des Verlagsvorrangs müsste eine Bibliothek in Deutschland ein Exemplar unserer Publikationen erwerben; dann könnten über Fernleihe- und neue Kopierregelungen alle übringen Bibliotheken versorgt werden. Für diese Nutzungen würden wir in keinster Weise entschädigt.
Alle User, die für einen VPN-Zugriff von Zuhause aus sorgen, können in ihrer Hochschulbibliothek auf all unsere derart bereitgestellten Publikationen bzw. Publikationsteile problemlos zugreifen. Für diese Nutzungen würden wir in keinster Weise entschädigt.
Unsere Plattformen würden kaum mehr frequentiert; die Investitionen würden sich nicht weiter lohnen. Unser Angebot – aktuell zu 85% aus dem Verkauf von Büchern und Zeitschriften erwirtschaftet – würde zu 100% durch Zuschüsse und Dienstleistungen kalkuliert werden müssen.
Folgen für internationale Verlage
Fazit
Es ist wohl so, dass §52 a und b des Urheberrechtsgesetzes änderungswürdig ist, weil er schwammig und unspezifisch formuliert ist. Das mag sein. Ich bin keine Juristin. Wenn Juristen mir das so sagen, dann glaube ich das gern.
Diese Regelungen sind im Jahr 2003 in Kraft getreten. Gegen massiven Widerstand von Verlagsseite: Die Wissenschaftsverlage waren besorgt, dass die darin geregelte Freigabe von bis zu 12% eines Werkes zu Unterrichtszwecken für Einbußen bei den Verkäufen z.B. von Lehrbüchern führen könnten.
Der seither erfolgte Einbruch um rund 30% im Lehrbuchbereich – ein Einbruch von über 40% im Print-Bereich, der über digitale Angebote abgefedert wurde – ist vermutlich nicht allein auf §52a und b zurückzuführen. Doch sind sie Faktoren, die zu diesem Rückgang beigetragen haben – trotz eines zugleich historischen Hochs von Studierendenzahlen.
Die Berüfworter des Referentenentwurfs überziehen uns Wissenschaftsverlage mit Hohn und Spott, weil wir noch leben, obwohl wir damals bei der Einführung von §52a, b Widerstand geleistet hatten – mit Verweis darauf, dass unsere wirtschaftliche Existenz bedroht sei.
Weiter werden wir mit Hohn und Spott überzogen, weil wir erneut Widerstand leisten. Erneut sehen wir unsere wirtschaftliche Existenz bedroht. Noch in diesem Jahr müssen wir die VG-Wort-Verlagsanteile zurückzahlen, die wir in den Jahren 2012 bis 2015 erhalten hatten, und können die Verlagsanteile der VG Wort fürderhin für unsere Kalkulationen nicht mehr berücksichtigen. Und da kommt der Referentenentwurf auf den Tisch, der noch in dieser Legislaturperiode Gesetz werden soll.
Als ich mit meiner Plagen-Serie begann, zitierte ich: Paranoia ist keine Garantie dafür, nicht verfolgt zu werden. Doch ist es verwunderlich, dass ich den Eindruck habe, “man” habe es auf uns Verlage abgesehen?