„Neben dem Politik- und Geschichtsunterricht ist der Philosophie- und Ethikunterricht der vorrangige Ort einer Demokratiebildung in Schulen.” – Interview mit Christian Thein, Mitherausgeber von „Wissenschaftliche Beiträge zur Philosophiedidaktik und Bildungsphilosophie”

 

 

 

Über die Reihe

In der Reihe Wissenschaftliche Beiträge zur Philosophiedidaktik und Bildungsphilosophie erscheinen Monografien und Sammelbänden zur Philosophiedidaktik sowie Bildungsphilo­sophie. Die Buchreihe intendiert, ein Ort zur wissen­schaftlichen Kontroverse zu sein. Beiträge aus den unterschiedlichen Strömungen der Phi­losophie sowie der Philosophiedidaktik sind ausdrücklich erwünscht.

Lieber Christian Thein, welche Art von Publikationen umfasst die Reihe Wissenschaftliche Beiträge zur Philosophiedidaktik und Bildungsphilosophie?

In der Publikationsreihe erscheinen seit 2017 Monografien und Sammelbände, die sich in innovativer wissenschaftlicher Weise den verschiedenen theoretischen und empirischen Fragestellungen der Philosophiedidaktik und der Bildungsphilosophie widmen.

 

Mit welcher Motivation ist das Konzept der Reihe entstanden – welche Lücken möchte sie füllen?

Philosophiedidaktische und bildungsphilosophische Forschungen haben im vergangenen Jahrzehnt deutlich an Relevanz gewonnen – sowohl in den fachwissenschaftlichen Diskursen der Philosophie als auch in der interdisziplinären und öffentlichen Wahrnehmung. Aufgrund der steigenden Nachfrage der Schulfächer Philosophie/Ethik mit Ersatzfachstatus unter SuS und LuL besteht ebenso ein entsprechender Bedarf an wissenschaftlichen Forschungen zum Philosophie- und Ethikunterricht. Zugleich wird die philosophische und ethische Reflexion auf zahlreiche Themen im Zusammenhang mit Bildung, Lehren und Lernen oder auch übergreifenden Fragen wie jene nach Inklusion oder Digitalisierung in Schulkontexten immer relevanter, auch um den Einseitigkeiten von lern- und kognitionspsychologischen Zugängen entgegenzuwirken. Die Reihe schließt in beiden Hinsichten eine Lücke und ist von Interesse sowohl für den fachinternen als auch den interdisziplinären Diskurs.

 

Die Herausgeber*innen des Reihenbandes Werte im Ethikunterricht (2021) diskutieren unter anderem die „Grenzen der Wertneutralität“. Welchen Herausforderungen begegnen Philosophiedidaktiker*innen in der Praxis?

Neben dem Politik- und Geschichtsunterricht ist der Philosophie- und Ethikunterricht der vorrangige Ort einer zeitgemäßen Demokratiebildung in Schulen. Die Themenvielfalt und das Interesse an Reflexion und Kritik in der philosophischen Bildung führen dazu, dass alles, was auch öffentlich und gesellschaftlich kontrovers diskutiert wird, auch auf das Meinungsspektrum des Unterrichts einwirkt. Hier kommt es zu einer herausfordernden Ausbalancierung von Fragen der Ent- und Begrenzung dessen, was in einem problemorientierten Unterricht kontrovers diskutiert werden kann und wo die Lehrkraft intervenieren muss, im Sinne von Prävention oder Aufklärung beispielsweise bei verschwörungsideologischen oder diskriminierenden Motivlagen in Diskursen.

Mit Blick auf die Frage möchte ich aber eine wichtige Unterscheidung treffen: In der Praxis treffen Lehrkräfte und Schüler*innen aufeinander – Fachdidaktik ist immer die methodisch vielgestaltige Erforschung und Reflexion der Praxis. D.h. die Fachdidaktiker*innen analysieren die Problemstellungen und suchen nach Lösungsmöglichkeiten mit Anwendungsrelevanz für das Handeln in der Praxis.

 

Die Philosophie selbst ist traditionell keine empirische Wissenschaft. Wie gelingt es, Bezüge zu den Lebenswelten von Schüler*innen herzustellen und ihnen das Philosophieren „beizubringen“?

Meiner Erfahrung nach sind die zahlreichen Frage- und Problemstellungen, die im Philosophie- und Ethikunterricht behandelt werden können, viel „lebensweltnäher“ als jene aus anderen Schulfächern, denn es handelt sich ja gerade um solche fundamentalen Fragen, die sich Menschen unabhängig von Alter, Herkunft und Geschlecht immer schon stellen. Viele philosophische Fragen – insbesondere ethische, politische und soziale Fragen – sind ja zudem von außerordentlicher empirischer Relevanz, denken wir nur an die Fragen, vor die uns als Gesellschaft die Pandemie oder aktuell die Kriegssituation in Osteuropa stellt.

Schwieriger scheint mir die Frage nach dem „Empiriebezug“ hinsichtlich der fachdidaktischen Forschung. Hier kann sich gerade die Philosophiedidaktik auf ein breiteres methodisches Zugangssetting zur Erforschung und Konzeptualisierung von Fragen des Lehrens und Lernens von Philosophie stützen als andere Fachdidaktiken, die oft recht unreflektiert an die engen methodischen Settings beispielsweise der Lernpsychologie anschließen.

 

In der Grundschule ist Philosophie bisher nicht als eigenständiges Unterrichtsfach etabliert. Welche Perspektiven eröffnet der Philosophie-Unterricht in der Grundschule?

Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen, wird aber nun in verschiedenen Bundesländern als Schulfach und an einigen Philosophischen Instituten schrittweise etabliert. Ich halte die Etablierung des Grundschulfaches für eine mehr als bestmögliche Alternative zu den bestehenden religiösen Schulfächern.

 

Kurzvitae der Herausgeber in eigenen Worten

Nach dem Studium der Fächer Philosophie, Sozialwissenschaften, Geschichte und Erziehungswissenschaften hat Christian Thein von 2007 bis 2013 am Philosophischen Seminar der WWU Münster promoviert, mit einer Arbeit über die Rezeption des Deutschen Idealismus (insbesondere Kant und Hegel) bei Adorno, Habermas und Brandom. Parallel hat er damals sowohl an Schulen unterrichtet und das Referendariat absolviert als auch Lehraufträge an den Philosophischen Instituten in Münster und Dortmund wahrgenommen. 2013 wurde er auf eine Junior-Professur für Fachdidaktik Philosophie am Philosophischen Seminar der JGU Mainz berufen, wo er mit erfolgreicher Zwischenevaluation bis 2018 arbeitete und lehrte. 2018 ist er auf eine Professur für Philosophie mit den Schwerpunkten Fachdidaktik sowie Sozial- und Bildungsphilosophie berufen worden – in 2021 nahm er ein Bleibeangebot der WWU Münster nach Erhalt eines Rufes auf eine Professur für Philosophie und ihre Didaktik an der Universität Kiel an. Derzeit arbeitet er neben seinen fachdidaktischen Projekten an zwei philosophischen Monografien, die sich im Kern um Reformulierung und Aktualisierung von Theorien der „Frankfurter Schule“ bemühen.

 

Helge Kminek ist der Goethe-Universität Frankfurt eng verbunden. Dort hat er zunächst Pädagogik studiert. Es folgte ein Zweitstudium mit Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Philosophie, Ethik, Politik und Wirtschaft. Eineinhalb Jahre lang hat er die Professur für „Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung“ an der Goethe-Universität vertreten. Seit Oktober 2021 ist er als PostDoc am Institut für Allgemeine Pädagogik tätig. Aktuell konzentriert er sich auf seine Habilitation.

 

 

 

 

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