“Das Fach Deutsch als Zweitsprache bewegt sich in einem Widerspruchsverhältnis zwischen Anerkennung und Ausgrenzung.” – 5 Fragen an İnci Dirim und Anke Wegner

3D Cover Dirim WegnerIm Verlag Barbara Budrich ist erschienen: Deutsch als Zweitsprache. Inter- und transdisziplinäre Zugänge von İnci Dirim und Anke Wegner (Hrsg.)

 

 

 

Über das Buch

Der Sammelband nimmt das Fach Deutsch als Zweitsprache als inter- und transdisziplinäres Arbeits- und Forschungsfeld in den Blick und arbeitet das Potenzial der inter- und transdisziplinären Ausrichtung in Bezug auf die theoretische und empirische Fundierung und Ausdifferenzierung heraus. Die Beiträge befassen sich mit schulischen und universitären Studien und Forschungsvorhaben zum theoretischen Diskurs sowie mit darüber hinausreichenden empirischen Untersuchungen. In den Blick genommen wird neben einer allgemeinen Didaktik auch die berufsbezogene Sprachförderung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund oder die Professionalisierung von Lehrpersonen im Kontext von Heterogenität. Auch werden die damit verbundenen methodischen Herausforderungen differenziert beleuchtet.

 

Vitae der Autorinnen in eigenen Worten

Anke Wegner hat die Fächer Französisch, Englisch und Deutsch als Fremdsprache sowie Germanistik und Pädagogik an den Universitäten Kiel und Hamburg studiert. An der Universität Hamburg hat sie im Fach Deutsch als Fremdsprache promoviert und in der Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Schulpädagogik, habilitiert. Anke Wegner war viele Jahre als Lehrerin und dann als Rektorin als Ausbilderin am Studienseminar GHRF in Frankfurt am Main tätig. Sie war außerdem Professorin für Lehrer*innenbildung und Professionalisierungsforschung an der Universität Wien. Seit 2017 ist sie als Professorin für die Didaktik der deutschen Sprache, Schwerpunkt Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, an der Universität Trier beschäftigt.

Dirim, Inci © MartinLifkaPhotographyİnci Dirim ist in der Türkei in einem deutsch-türkisch bilingualen Elternhaus aufgewachsen und hat in Ankara und Bremen die Fächer Linguistik und Germanistik studiert. Während des Studiums war sie in der Erwachsenenbildung als Deutschlehrerin und als Übersetzerin, auch von Kinderbüchern, tätig. Sie promovierte an der Universität Hamburg im Bereich Erziehungswissenschaft und wurde nach mehreren Jahren wissenschaftlicher Tätigkeit an verschiedenen Universitäten 2003 an das Institut für Erziehungswissenschaft der Leibniz Universität Hannover als Juniorprofessorin berufen; 2007-2010 war sie Professorin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg tätig und hat seit März 2010 eine Universitätsprofessur für Deutsch als Zweitsprache an der Universität Wien inne.

 

1) Liebe İnci Dirim, liebe Anke Wegner, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Deutsch als Zweitsprache. Inter- und transdisziplinäre Bezüge für unsere Leser*innen zusammen.

Uns war es wichtig, herauszustellen, dass und wie sehr das Fach durch inter- und transdisziplinäre Bezüge geprägt ist und sein muss. Schule und Unterricht können nicht allein aus der Perspektive einer Fachdidaktik betrachtet werden, sondern sind immer im Zusammenhang mit übergreifenden, inter- und transdisziplinären, gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen zu analysieren und zu innovieren.

Die Publikation zeigt das aus unserer Sicht eingängig: Es finden sich im ersten Kapitel zu inter- und transdisziplinären Verortungen Beiträge, die eine Standortbestimmung des Faches vornehmen, die etwa das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik zu klären suchen, die die Sinnhaftigkeit des generischen Lernens für die Deutsch als Zweitsprache-Didaktik herausarbeiten oder Lernerorientierung sowie ganzheitliches Arbeiten thematisieren. Weitere Beiträge akzentuieren die Notwendigkeit einer interdisziplinären und integrierten Perspektive des Zweitsprachenerwerbs in der Lehrer*innenbildung und zeigen Vernetzungsmöglichkeiten des Faches an der Hochschule auf.

Das zweite Kapitel, inter- und transdisziplinäre Thematisierungen, verdeutlicht noch einmal mit spezifischen Schwerpunkten, wie wichtig es ist, über den Tellerrand des Faches hinauszuschauen. Thematisiert werden u.a. Zusammenhänge von Literaturdidaktik, postkolonialen Ansätzen und Mehrsprachigkeit oder berufsbezogene Sprachförderprojekte für neu migrierte Mädchen und Frauen und damit verbundene sozial- und bildungswissenschaftliche Aspekte. Auch wird der kompetente Umgang von Lehrpersonen mit Differenzordnungen im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht fokussiert, es werden Zusammenhänge von Linguistik und Professionalisierung bzw. sprachbezogenen Professionswissens von Lehrpersonen analysiert und aus psychologischer Sicht seelische Belastungen von Kindern im Exil und die Rolle von Übersetzer*innen der psychologischen Praxis erörtert. Auch wird die Frage der Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre am Beispiel des Deutschen als Zweitsprache diskutiert.

Zwei Gastbeiträge schließen den Band mit Einsichten über Romani und Konstruktionen der Roma in Ungarn sowie über Inter- und Transkulturalität in der Fachdidaktik Deutsch.

 

2) Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Wir haben uns 2011 an der Universität Wien kennengelernt und arbeiten sehr gern miteinander. Irgendwann kamen wir auf die Idee, eine Tagungsreihe zu beginnen und auch dann auch die Reihe „Mehrsprachigkeit und Bildung“ ins Leben zu rufen. Im Grunde ging es uns von Anfang an darum, gesellschaftliche und politische Bedingungen und Chancen von Deutsch als Zweitsprache und Mehrsprachigkeit zu thematisieren. Wir möchten in der Reihe aufzeigen, dass alles, was Deutsch als Zweitsprache und Mehrsprachigkeit umfasst, immer eng mit gesellschaftlichen und politischen Fragen des Zusammenlebens verknüpft ist. Der erste Band befasste sich deshalb mit der Frage der Bildungsgerechtigkeit, um das Nachdenken und die Forschung darüber anzustoßen, was es bedeutet, in unseren gegenwärtigen Schulsystemen zu überleben und sich zu beweisen und wie sehr Gesellschaft, Politik und die Schule selbst zu Ausgrenzungen und Benachteiligungen neu Migrierter beitragen. Der zweite Band hatte normative Grundlagen des Faches Deutsch als Zweitsprache und reflexive Verortungen zum Gegenstand, weil wir uns vergegenwärtigen müssen, inwiefern die Fachdisziplin eigentlich Tradiertes, zu wenig reflektierte Theorien und Praxen weiterträgt und wo es denn doch Sollbruchstellen geben muss. Der dritte Band schließt aus unserer Sicht logisch daran an, weil hier die ganze Breite des inter- und transdisziplinären Denkens wenigstens im Spotlight eingefangen wird. Diese dritte Tagung hat übrigens unmittelbar zur Idee der vierten Tagung und des vierten Bandes geführt: Die Tagung in Trier 2018 hatte gezeigt, dass und wie sehr die (Fach)Wissenschaft in diskriminierende Diskurse verstrickt ist. Die kommende Tagung in Wien wird also genau dies aufgreifen.

 

3) Welchen zentralen Herausforderungen steht das Fach Deutsch als Zweitsprache derzeit gegenüber?

Das Fach Deutsch als Zweitsprache bewegt sich in einem Widerspruchsverhältnis zwischen Anerkennung und Ausgrenzung. Auf der einen Seite ist es unerlässlich, Schüler*innen, die sich noch in der Aneignung des Deutschen befinden, in dem von deutschsprachiger Monolingualität beharrenden Bildungssystem bestmöglich zu unterstützen, damit sie in diesem System nicht nur zurechtkommen, sondern auch ambitionierte Bildungsziele verfolgen und erreichen können. Das heißt, dass weiterhin an der Didaktik und Methodik der Sprachförderung und sprachliche Bildung gearbeitet werden muss. Hierin gibt es viele Aufgaben zu bewältigen, z.B. zu erforschen, wie mit der Heterogenität des Deutschen umgegangen werden kann. Auch muss unseres Erachtens Deutsch stärker im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit in den Blick zu nehmen, weil dies aus einer spracherwerbstheoretischen und auch anerkennungstheoretischen Perspektive Sinn ergibt. Genau diese Tätigkeit der Deutschförderung und des Einbezugs von Mehrsprachigkeit ist aber auch prädestiniert, ein Othering zu erzeugen, indem die Schüler*innen als „sprachlich Andere“ und damit „gesellschaftlich Andere“ markiert werden. Eine zentrale Aufgabe des Faches ist es im Hinblick auf Schule aus unserer Sicht daher zu zeigen, wie Deutschförderung und Einbezug von Mehrsprachigkeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen ohne Othering stattfinden können. Auch stellt sich die Frage, wie mit dem Widerspruch umgegangen werden kann, dass das Deutsche sich in der globalisierten Migrationsgesellschaft weiterentwickelt, aber die Schule an dem (imaginierten) Native Speaker orientiert bleibt. Das Fach ist hier in dem „Korsett“ der Institutionen gefangen und muss versuchen Wege zu finden, die starren Konzepte und Zielvorstellungen der voranschreitenden Hybridisierung von Sprachen anzupassen. Wohlgemerkt ist unsere Buchreihe keine „klassische DaZ-Reihe“, sondern stellt den Zusammenhang von Mehrsprachigkeit und Bildung in den Vordergrund. Wir hoffen, dass auch durch die kritische Reflexion des Faches Deutsch als Zweitsprache Entwicklungsperspektiven zum Vorschein kommen werden und wir einen Beitrag zu neuen bildungspolitischen und wissenschaftlichen Konzepten leisten können.

 

4) Welche Aspekte der Forschung zu Deutsch als Zweitsprache werden Ihrer Einschätzung nach künftig stärker in den Fokus rücken?

Aus den genannten Desideraten heraus würden wir es sehr begrüßen, wenn nicht nur Gruppenprozesse, sondern auch Subjektperspektiven und biographische Zusammenhänge in den Blick genommen würden. Mit qualitativen Tiefenanalysen können Voraussetzungen, Ziele, Bedingungen und Einschränkungen der Deutschaneignung und -vermittlung besser in den Blick genommen werden. Wir wünschen uns eine stärkere macht- und gesellschaftskritische Perspektivierung der Forschung im Bereich Deutsch als Zweitsprache, um dem Fach in seinen Verstrickungen inhärente Prozesse der Diskriminierung besser zu verstehen und sogar verändern zu können. Auch wünschten wir uns eine stärkere Öffnung der Bildungspolitik gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen in einer von Globalisierung und Migration geprägten Gesellschaft, in der nicht nur bestimmte „Vorstellungen“ von Schüler*innen der Majoritätsgesellschaft prägend sind. An der Beteiligung an einer Weiterentwicklung von Schule und anderen Bildungsinstitutionen zu Einrichtungen, die Mehrsprachigkeit und Mehrfachzugehörigkeiten akzeptieren, hätten wir großes Interesse. Das Fach ist sehr heterogen, daher ist dies sicher nicht die einzige Entwicklungsperspektive. Gerade diese Heterogenität einzufangen und kritisch zu reflektieren ist ein Anliegen unserer Buchreihe.

 

5) Darum sind wir Autorinnen bei Budrich

AW: Ich arbeite sehr gern mit dem Verlag Barbara Budrich zusammen. Ich mag die gute Betreuung und den persönlichen Kontakt sehr. Über die Jahre habe ich zum Beispiel mit Miriam von Maydell etliche Gespräche geführt, sehr gern beim Budrich-Stand während der ECER-Tagungen irgendwo zwischen Istanbul und Kopenhagen. Die Mitarbeiterinnen des Verlags stehen für alle Fragen zur Verfügung und helfen umgehend und immer freundlich, auch wenn es zeitlich eng wird.

İD: Dem kann ich mich nur anschließen! Ich schätze es auch sehr, dass die Kolleg*innen sehr geduldig mit der akademischen Dauerüberlastung umgehen, von der wir als „alte Häsinnen“ auch immer wieder ergriffen werden! Was mir außerdem sehr gut gefällt, ist, dass der Verlag Barbara Budrich für ungewöhnliche Themen offen ist und kritischen neuen Visionen Raum gibt.

 

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3D Cover Dirim Wegnerİnci Dirim, Anke Wegner (Hrsg.): Deutsch als Zweitsprache. Inter- und transdisziplinäre Zugänge

Mehrsprachigkeit und Bildung, Band 3

 

 

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© Foto Anke Wegner: privat, © Foto Inci Dirim: MartinLifkaPhotography

 

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