Über das Buch
Vor dem Hintergrund des Konzepts des Habitus und des sozialen Raums Pierre Bourdieus werden in dem Buch studentische Fachkulturen untersucht. Der Autor betrachtet dabei die soziale Laufbahn der Studierenden von der Herkunftsfamilie über die gegenwärtigen Lebensstile bis zur beruflichen Zukunft und erweitert die Analyse um die Ebene des politischen Raums. Auf der Grundlage einer quantitativen Befragung von Studierenden der Fächer Rechtswissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Sozialwissenschaften, Philosophie, Mathematik und Biologie widmet sich das Buch folgender Frage: Welche Wahlverwandtschaften, Korrespondenzen und Homologien bestehen zwischen Lebensstilen, beruflichen Zukunftsorientierungen und politischen Dispositionen?
Lieber Anno Eßer, worum geht es in Studentische Fachkulturen: Lebensstile und politische Dispositionen?
In Studentische Fachkulturen: Lebensstile und politische Dispositionen geht es um den Zusammenhang zwischen dem gewählten Studienfach, dem Lebensstil der Herkunftsfamilie, dem gegenwärtigen Lebensstil, den beruflichen Zukunftsorientierungen und den politischen Denk- und Beurteilungsschemata von Studierenden der Rechtswissenschaft, VWL, BWL, Sozialwissenschaften, Philosophie, Mathematik und Biologie. Die Datengrundlage bildet eine von mir in Vorlesungen und Seminaren unternommene Befragung von 1688 Studierenden der Universitäten Köln und Bonn.
Das Ziel der Arbeit bestand darin, eine vergleichende Untersuchung der ausgewählten Fächer im Rahmen der Habitus-Feld-Praxis-Theorie Pierre Bourdieus auszuarbeiten, wobei die Analyse der Relationen zwischen den Studierenden der verschiedenen Fachkulturen, ihren lebensstilspezifischen und politisch-ideologischen Stellungen und Stellungnahmen im sozialen Raum, den Berufsfeldern und den sozialen Feldern, mit denen die Fächer assoziiert sind, im Vordergrund steht.
Die Arbeit schließt an die in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik entstandene und an Bourdieus Sozioanalyse orientierte Fachkulturforschung an. Die Untersuchung der studentischen Fachkulturen wird dabei um die Analyseebene des politischen Raums, der wie der Raum der Lebensstile eine Ebene des sozialen Raums darstellt, erweitert. Dadurch wird es möglich, Wahlverwandtschaften und Korrespondenzen zwischen der ästhetisch-expressiven und der politischen Ebene des sozialen Raums analysieren zu können.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Ja, in gewisser Weise gab es den, und der Grundgedanke findet sich bereits in Bourdieus „feinen Unterschieden“ im letzten Kapitel „Politik und Bildung“ – ein Ansatz, der bisher vergleichsweise wenig berücksichtigt wurde. Bourdieu entwirft dabei das Konzept eines politischen Raums, der als eine weitere analytische Ebene des sozialen Raums fungiert.
Der Grundgedanke für die Arbeit bestand vor diesem Hintergrund darin, diese politisch-ideologische Ebene des sozialen Raums multidimensional empirisch erfass- und messbar zu machen, sodass das „einfache“ ökonomisch dominierte Links-Rechts-Schema überwunden werden kann und die kulturellen Dimensionen der politisch-ideologischen Dispositionen angemessen berücksichtigt werden. Dafür wurde auf die Theorie der gesellschaftlichen Konfliktlinien (Cleavage-Theorie) zurückgegriffen; die politischen Konfliktlinien werden dabei – analog zu den (Kapital-)Achsen des Raums der Lebensstile – als politisch-ideologische Achsen des politischen Raums aufgefasst.
Wie ist Studentische Fachkulturen: Lebensstile und politische Dispositionen methodologisch aufgebaut?
Das Buch ist in einen kleineren theoretischen und einen größeren empirischen Teil aufgeteilt. Im theoretischen Teil werden zunächst die Grundlagen von Bourdieus Theorie der Praxis erläutert. Es folgt ein Abriss der wesentlichen Arbeiten Bourdieus zur Hochschule sowie der an Bourdieu orientierten Fachkulturforschung in der Bundesrepublik. Anschließend wird das unter Rückgriff auf die Cleavage-Theorie ausgearbeitete Konzept des politischen Raums dargestellt und das Untersuchungsdesign und die Forschungsfragen erläutert.
Im empirischen Teil steht die Untersuchung der Stellungen und Stellungnahmen der Studierenden, fach- und geschlechtsspezifisch differenziert, im Raum der Lebensstile und im politischen Raum im Zentrum der Analyse. Zunächst wurden die sozialen Räume der Herkunftskultur, der gegenwärtigen Lebensstile und der beruflichen Zukunftsdispositionen der Studierenden separat untersucht. Dafür wurde als Auswertungsverfahren die adjustierte multiple Korrespondenzanalyse verwendet. Die beiden Räume der herkunftsspezifischen und der gegenwärtigen Lebensstile sind durch die Achsen des ökonomischen und des kulturellen Kapitals charakterisiert; der Raum der beruflichen Zukunftsorientierungen durch die zwei Achsen intrinsische vs. extrinsische Dispositionen sowie privat-zentrierte vs. beruflich-zentrierte Selbstentfaltung. Im Anschluss an die Einzelanalyse erfolgte die Untersuchung des Gesamtmodells des sozialen Raums der Studierenden, um die Wahlverwandtschaften zwischen Herkunft, Gegenwart und Zukunft aufzudecken.
Danach folgt die Untersuchung der politischen Dispositionen der Studierenden. Dafür wird als Verfahren die kategoriale Hauptkomponentenanalyse angewendet. Der politische Raum setzt sich dabei aus drei politischen Konfliktdimensionen zusammen: Postmaterialismus-Multikulturalismus, soziale Gerechtigkeit (Umverteilung, Solidarität vs. Marktliberalismus) und Konservativismus-Autoritarismus. Um Schwerpunkte bzw. Typen der politisch-ideologischen Habitusausrichtung zu identifizieren, wurde eine Clusteranalyse mit dem Latent-Gold-Ansatz über die politischen Dimensionen durchgeführt.
Zum Abschluss des empirischen Teils werden die lebensstil- und beruflich-zukunftsspezifischen sowie die politisch-ideologischen Dispositionen der Studierenden der sieben Fächer zusammengefasst diskutiert. Dazu wurden die drei politischen Konfliktdimensionen als klassifizierte Variablen, die fünf identifizierten politischen Cluster sowie die Parteipräferenz in das Gesamtmodell des sozialen Raums der Studierenden hineinprojiziert.
In der Schlussbetrachtung der Arbeit werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst und die Stellungen der Fachkulturen im studentischen sozialen Raum mit den Stellungen der mit den Fachkulturen assoziierten (Berufs-)Felder im gesamtgesellschaftlichen sozialen Raum und im Machtfeld in Beziehung gesetzt und interpretiert.
Wie würden Sie die Ergebnisse Ihrer Erhebung in maximal drei Sätzen zusammenfassen?
Die Analyse des sozialen Raums der Studierenden deckt fachkulturelle sowie geschlechtsspezifische symbolische Grenzziehungen und Reproduktionsstrategien der Habitus auf, die von der Stellung der Herkunftsfamilie im sozialen Raum über die gegenwärtigen Lebensstile und politischen Dispositionen bis zur antizipierten Zukunft reichen.
Zentral ist dabei der Gegensatz zwischen der Fächertrias Jura, Volks- und Betriebswirtschaftslehre und der Fachkultur der Philosophie – vor allem in den Stellungen und Stellungnahmen der Studierenden dieser Fächer zeigt sich die Teilung der Herrschaftsarbeit zwischen dem kulturellen, eher intrinsisch, solidarisch und postmaterialistisch sowie gering konservativ-autoritär ausgerichteten und dem ökonomischen, eher extrinsisch, marktliberal und konservativ-autoritär sowie gering postmaterialistisch charakterisierten Pol des sozialen Raums und des Felds der Macht.
Zwischen den beiden Polen, allerdings immer noch relativ deutlich auf der durch das Übergewicht des kulturellen Kapitals gekennzeichneten Seite des sozialen Raums, stehen die Fachkulturen der Studierenden der Sozialwissenschaften, der Biologie und der Mathematik, wobei insbesondere die Mathematik durch eine Verringerung des Gesamtkapitals gekennzeichnet ist.
Darum bin ich Autor bei Budrich
Durch die Möglichkeit in der Bonner Reihe der Empirischen Sozialforschung zu veröffentlichen, konnte die Arbeit als Buch bei Budrich erscheinen.
Die Zusammenarbeit mit Budrich gestaltete sich dabei sehr kooperativ, freundlich und professionell – meine Wünsche wurden berücksichtigt, meine Fragen beantwortet und ich hatte ausreichend Zeit mit Hilfe der Gutachten, die (aufgrund der vielen Tabellen und Grafiken vergleichsweise komplexe) Arbeit für die Veröffentlichung zu bearbeiten.
Kurzvita in eigenen Worten
Studium Politik und Gesellschaft sowie Gesellschaften, Globalisierung und Entwicklung an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und anschließendes Promotionsstudium der Soziologie in Bonn.
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Bonner Reihe der Empirischen Sozialforschung, Band 4
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