Forschungsethik in der Sozialen Arbeit. Prinzipien und Erfahrungen
von Julia Franz und Ursula Unterkofler (Hrsg.)
Über das Buch
Zum Kern der empirischen Forschung Sozialer Arbeit gehören die Methoden der Befragung und Beobachtung von Menschen. Dabei sind ethische Kriterien anzulegen, die vielfältige Fragen und Dilemmata in der Planung und Umsetzung von Forschung sowie im Umgang mit Forschungsergebnissen aufwerfen. Der Sammelband legt einen Schwerpunkt auf forschungspraktische ethische Herausforderungen. In den Beiträgen wird der Forschungsethikkodex der DGSA präsentiert und kommentiert, disziplinär eingeordnet und ethisch reflektiert.
Leseprobe: S. 11-17
Zur Einleitung: Ein Forschungsethikkodex für die Soziale Arbeit
Julia Franz und Ursula Unterkofler
1 Forschungsethik in der Sozialen Arbeit – ein Verständigungsprozess
Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) hat seit 2016 in einem mehrjährigen, partizipativen Prozess einen Forschungsethikkodex entwickelt. Dieser Entwicklungsprozess wurde vom Vorstand der DGSA initiiert, von der Fachgruppe Ethik, der Sektion Forschung und der Forschungsethikkommission der DGSA maßgeblich mitorganisiert und von Mitgliedern der DGSA und der Scientific Community Sozialer Arbeit mitgestaltet (ausführlich dazu der Beitrag des Vorstands der DGSA: Köttig et al. in diesem Band). Insbesondere auf einer Arbeitstagung im Mai 2019 in Würzburg waren Wissenschaftler*innen Sozialer Arbeit aufgerufen, Beispiele aus ihren konkreten Forschungsprojekten einzubringen. In diesem Setting wurden forschungsethische Fragen, Probleme und Dilemmata kritisch diskutiert, um so im Prozess zum einen die Breite ethischer Problemstellungen in der Forschung Sozialer Arbeit zu entdecken und zum anderen unterschiedliche Perspektiven auf diese Problemstellungen einzufangen und hinsichtlich gemeinsamer Positionen weiterzuentwickeln. Der gesamte Prozess kann als Verständigungsprozess verstanden werden, der sich innerhalb der Wissenschaft Soziale Arbeit abgespielt hat und weiterhin abspielen wird: zur Wissensproduktion in unterschiedlichen Forschungskontexten, wie Disziplinentwicklung, Praxisentwicklung oder Lehren und Lernen von Forschung.
Dieser Band leistet einen Beitrag, Teile dieses Verständigungsprozesses nachzuzeichnen und zugänglich zu machen, indem er nicht nur den Forschungsethikkodex der DGSA vorstellt, sondern diesen auch rahmt: Ausgehend von der Arbeitstagung in Würzburg und ergänzt durch weitere Perspektiven dokumentiert er die engagiert und teils kontrovers geführten Diskussionen und Standpunkte von Wissenschaftler*innen Sozialer Arbeit. Er zeigt auch auf, dass die Diskussion um Forschungsethik ebenso wie der Forschungsethikkodex selbst nicht als abgeschlossenes Projekt betrachtet werden kann, sondern dass es einer anhaltenden Auseinandersetzung und einer regelmäßigen Weiterentwicklung des Kodex bedarf.
2 Forschungsethische Prinzipien – zur Form des Forschungsethikkodex
Der Forschungsethikkodex der DGSA hat nicht zum Ziel, ‚richtiges‘ forschungsethisches Handeln zu definieren und Normen forscherischen Handelns festzulegen. Vielmehr wurde eine Reihe von Prinzipien entwickelt, auf deren Grundlage sich Handlungsnormen erst begründen lassen. In der Reflexion und Gestaltung von Forschungshandeln sind sie grundsätzlich gleichwertig zu berücksichtigen. Da Prinzipien je nach Fragestellungen, methodologisch-methodischen Ansätzen der Forschung oder Besonderheiten von Forschungsfeldern unterschiedliche Relevanz erlangen, müssen diese jeweils fallspezifisch konkretisiert werden.
Vor diesem Hintergrund bieten die unterschiedlichen Prinzipien die Chance, dass Forscher*innen Sozialer Arbeit sich zum einen sensibilisieren für forschungsethische Fragestellungen, die im Forschungsprozess auftreten (können). Ebenso bieten sie Orientierung in der Reflexion und Bearbeitung forschungsethischer Problemstellungen und Dilemmata. Dilemmata entstehen insbesondere, weil sich in konkreten Forschungsprojekten die unterschiedlichen Prinzipien widersprechen können und deren Gewichtung fallbezogen abgewogen werden muss (Unger 2014a: 18). Forschungsethisches Handeln bedeutet damit immer auch, die Relevanz forschungsethischer Prinzipien zu erkennen, diese abzuwägen und dann begründete Entscheidungen zu treffen. Dass hierbei nicht davon ausgegangen werden kann, dass Einvernehmen über Abwägungen und Entscheidungen innerhalb der Wissenschaft Sozialer Arbeit besteht, ist abzusehen – lebt die wissenschaftliche Diskussion ja gerade davon, dass unterschiedliche Zugänge, theoretische, methodologische und methodische Standpunkte und Erfahrungshintergründe eingebracht werden – insbesondere in einer inter- und transdisziplinär gedachten Disziplin wie der Sozialen Arbeit.
Vor diesem Hintergrund bildet auch der Forschungsethikkodex den aktuellen Stand des Verständigungsprozesses in der DGSA ab. Zwar werden alle Prinzipien in einer Kurzbeschreibung gleichwertig beschrieben, die Detailliertheit der weiteren Ausführungen nimmt jedoch zu, je mehr um eine Verständigung gerungen wurde. Hinweise auf verschiedene Kontexte oder Besonderheiten für Felder, in denen das jeweilige Prinzip besondere Relevanz erlangt, finden sich außerdem in zahlreichen Fußnoten. Schließlich wird deutlich gemacht, dass der Forschungsethikkodex eine Kultur der Reflexion befördern soll (Punkt 8), in der Forschungsprozesse als (auch forschungsethische) Lernprozesse verstanden werden und in der eine Weiterentwicklung einer forschungsethischen Haltung ermöglicht wird.
3 Universale oder zielgruppenspezifische Rechte der Forschungsteilnehmenden
Die Arbeit an einem Forschungsethikkodex für die Wissenschaft Soziale Arbeit hat sich laufend als sehr komplex herausgestellt. Was einerseits bereichernd war, brachte andererseits auch die größten Herausforderungen im Verständigungsprozess mit sich: dass die unterschiedlichen Wissenschaftler*innen und Forscher*innen, die am Entwicklungsprozess beteiligt waren, sehr unterschiedliche Perspektiven auf Soziale Arbeit und Forschung eingebracht haben. So wurden Zweifel geäußert, ob es ausreiche, einen universalen Forschungsethikkodex für die Forschung Sozialer Arbeit zu entwickeln, weil
- aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Zielgruppen und Arbeitsfelder die Forschungsfelder der Sozialen Arbeit sehr unterschiedlich seien und ein universaler Forschungsethikkodex zentrale Rechte bestimmter Zielgruppen von Forschung unterbelichten würde und
- unterschiedliche Forschungsstränge und -bereiche in der Sozialen Arbeit, etwa Adressat*innenforschung, Professionsforschung, Organisationsforschung oder Forschung zu gesellschaftlichen Verhältnissen und/oder sozialen Problemen, sehr unterschiedliche Relevanzsetzungen und Konkretisierungsgrade der Rechte der Forschungsteilnehmenden erforderten.
Diese Argumentationen sowie eine Forderung nach speziellen Forschungsethikkodizes zu bestimmten Adressat*innengruppen, Feldern oder Forschungsbereichen (z. B. für die Forschung mit Kindern) sind nachvollziehbar, denn je nach Zielgruppen der Forschung und Besonderheiten der zu erforschenden Felder sind spezifische Machtverhältnisse und damit verbundene Risiken und Belastungen für die Forschungsteilnehmer*innen wirksam. Ein allgemein gehaltener, universal geltender Forschungsethikkodex kann und will eine zielgruppen- oder feldspezifische Konkretisierung nicht (oder nur in Ansätzen, siehe die Fußnoten des Forschungsethikkodex) leisten. Er geht davon aus, dass die aufgenommenen Prinzipien für jegliche Forschung der Sozialen Arbeit relevant sind, dass auch etwa in der Forschung mit Kindern keine Prinzipien relevant sind, die in anderen Forschungsfeldern Sozialer Arbeit nicht relevant wären. Vielmehr verlangt er von Forschenden eine kontextspezifische Auseinandersetzung mit der Bedeutung der von ihm vorgehaltenen Prinzipien – diese werden in den unterschiedlichen Feldern oder Forschungsbereichen unterschiedlich relevant, müssen abgewägt werden und es müssen Entscheidungen getroffen werden: Es geht um Prinzipien der Beteiligung, des Abwägens von Risiken, Belastungen und Nutzen für die betreffenden Interessengruppen, des Instrumentalisierungsverbotes und des sensiblen Umgangs mit Machtverhältnissen. Wie bspw. Forschungsbeziehungen mit Erzieher*innen in Jugendwohngruppen oder mit gewaltbetroffenen Kindern gestaltet werden, ist jeweils durch die kontextbezogene Konkretisierung dieser Prinzipien zu entscheiden.
Die Entwicklung eines universalen DGSA-Forschungsethikkodex impliziert demnach, dass die aufgenommenen Prinzipien für jede Forschung Sozialer Arbeit Relevanz beanspruchen. Sie können und sollen dazu dienen, für jegliche Forschung Sozialer Arbeit Reflexionsprozesse anzustoßen und Orientierung für Abwägung und Entscheidung zu bieten. Ein spezifischerer Forschungsethikkodex wäre mit Konstruktionen und Setzungen bestimmter Zielgruppen oder Felder verbunden. Die forschungsethischen Prinzipien der Wissenschaft Soziale Arbeit dagegen abstrahieren von solchen stets auch verallgemeinernden Setzungen. Gleichzeitig könnten spezifischere Kodizes letztlich nicht die Hoffnung auf Handlungssicherheit einlösen – denn auch sie könnten keine Handlungsnormen zur Verfügung stellen, sondern wären auf Abwägung und Gewichtung angewiesen.
Gleichwohl wäre es denkbar, auf Grundlage einer universalen Forschungsethik für bestimmte Forschungsbereiche oder Stränge ethische Prinzipien zu benennen, die im jeweiligen Kontext besonders relevant erscheinen, oder auf besonders wenig bedachte Prinzipien im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe hinzuweisen. Diese auszudifferenzieren und damit ein feinmaschigeres Reflexionsinstrument zu entwickeln (etwa hinsichtlich des Rechts, an Forschung teilzunehmen bei Kindern), das das Erkennen, Abwägen und Entscheiden fördert, wäre der Auseinandersetzung mit Forschungsethik in der Sozialen Arbeit zuträglich. Grundlage dafür müsste aber immer die Auseinandersetzung über universale forschungsethische Prinzipien der Wissenschaft Soziale Arbeit sein – aus einer solchen Auseinandersetzung könnten wiederum Impulse zur Weiterentwicklung des Forschungsethikkodex aufgenommen werden.
4 Forschungsethik und die Vielfalt der Forschung Sozialer Arbeit
In der Diskussion um forschungsethische Prinzipien und Standards sind unterschiedliche Auffassungen von Forschung erkennbar, die mit bestimmten Ansprüchen an Forschungshandeln verbunden sind. Diese sind zum einen in unterschiedlichen Forschungsgegenständen, Erkenntnisinteressen, Forschungsstilen und methodischen Zugängen begründet, zum anderen in den verschiedenen Organisationsformen und Arbeitsweisen des Forschungshandelns.
Eine starke Gewichtung des forschungsethischen Prinzips der Beteiligung ist bspw. plausibel, wenn Interaktionspraxen von Fachkräften und Adressat*innen im Sinne konkreter Praxisentwicklung untersucht werden. Hier spielt die Kritik an paternalistischer Fürsorge für bestimmte Adressat*innengruppen eine wichtige Rolle. Diejenigen, um die es schließlich geht, die von den Forschungsergebnissen betroffen sind, sind angemessen einzubeziehen, was auch bedeuten kann, sie als Ko-Forschende zu betrachten. Welchen konkreten Nutzen das Vorhaben den Adressat*innen wie auch den Mitarbeiter*innen bringen kann, steht hier vergleichsweise klar vor Augen. Die Gestaltung einer informierten Einwilligung muss sich daran orientieren. Sie muss zudem mögliche Belastungen und Risiken für die Teilnehmenden erkunden, die sich nicht zuletzt auch aus den Arbeitsbeziehungen zwischen Sozialarbeiter*innen und Adressat*innen im Forschungszusammenhang ergeben. (Wie sich hier wieder zeigt, verweisen die Prinzipien der minimalen Risiken und Belastungen, der Beteiligung und der Freiwilligkeit aufeinander.)
Anders stellen sich die forschungsethischen Herausforderungen dar, wenn es in Forschungsprojekten nicht vorrangig um evaluative Fragen der beruflichen Praxis Sozialer Arbeit geht, sondern etwa um Strukturbedingungen (auch kritikwürdiger) professionalisierter Handlungspraxen. Forschungsfragen, die aus disziplinären Diskursen entstehen, sind schwerer mit einem konkreten Nutzen für die Forschungsteilnehmenden zu vermitteln. Das gilt auch für Untersuchungsgegenstände wie biografische Bewältigungsprozesse oder Deutungsmuster gesellschaftlicher Konflikte. Mögliche Risiken und Belastungen für die Forschungsteilnehmenden ergeben sich aus empirischen Zugängen und Strategien zur Sammlung, Übermittlung und Aufbewahrung von Daten, aber auch aus der Aufbereitung und aus Formaten der Veröffentlichung (bspw. statistische Auswertungen, Diagramme, Auszüge aus Transkripten, Protokollen und Akten, Video- und Bildmaterialien). Für die Erhebung verbaler Daten stellt sich das Erfordernis der informierten Einwilligung eindeutiger als in der Feldforschung mit vielen Beteiligten, die nicht unbedingt alle Forschungsteilnehmende werden. Risiken und Belastungen können aber auch aus der Analyse empirischer Daten resultieren. Welche Unannehmlichkeiten sind als Schädigung der Forschungsteilnehmenden zu erwägen, welche sind unvermeidliche Folgen sozialer Konflikte, die in Forschungspraxen untersucht und darin auch virulent werden?
Dass Forschung der Sozialen Arbeit unterschiedliche Zielsetzungen, Traditionen und methodische Zugänge umfasst, ist nicht überraschend. Doch für die Auseinandersetzung mit forschungsethischen Prinzipien ist entscheidend, dass die Vielfalt der Forschungsgegenstände und methodologischen Zugänge mitgedacht wird. In der Diskussion um partizipative Forschung ist uns das sehr deutlich geworden. Forschungsteilnehmende sollen über eine Befragung oder Aufzeichnung hinaus an Planungs- und Auswertungsprozessen beteiligt werden – dies erscheint aus einer Perspektive der Praxisentwicklung als Ideal. Wird dieses aber für jegliche Forschung der Sozialen Arbeit geltend gemacht, als Ideal, das zwar unterschiedlich eingelöst wird, sich aber als Anspruch an jedes Forschungsprojekt stellt, dann werden damit Forschungsinteressen und Zugänge erschwert oder gar ausgeschlossen, die sich etwa mit implizitem Wissen, latenten Sinnstrukturen, im Feld als selbstverständlich hingenommenen Machtstrukturen etc. beschäftigen.
Die Frage der Beteiligung der Forschungsteilnehmenden reicht vom Verbot der Instrumentalisierung bis zum Empowerment durch das Verfolgen eigener Forschungsfragen. Entscheidend sind Differenzen der Ausstattung mit sozialer Deutungsmacht, die Angehörige marginalisierter Gruppen kaum besitzen, andere Zielgruppen von Forschungsvorhaben aber durchaus. Und so ist jeweils konkret zu ermitteln, was die Beteiligung sozialer Gruppen und Akteur*innen an einem Forschungsprojekt bedeutet. Statt Forschungsprojekte als in irgendeinem (oft eingeschränkten) Sinn noch als ‚partizipative Forschung‘ zu etikettieren, ist zu fragen, wer woran zu beteiligen ist und aus welchen Gründen welche Interessen damit verbunden sind und welche Ressourcen benötigt werden. Diese Fragen stellen sich sowohl im Hinblick auf die Erhebung von Daten, die ja nicht als bloßes ‚Abschöpfen‘ zu denken ist, als auch im Hinblick auf die Entwicklung von Fragestellungen, auf die Wahl von Erhebungsmethoden und auf Feldzugänge, die Datenauswertung und die Publikation. Vielleicht geht es auch eher darum, Praxisentwicklung, Evaluation und Forschung zu verschiedenen Fragen und Themenbereichen ins Verhältnis zu setzen, als Ansätze partizipativer Forschung (vgl. Unger 2014b, Wright 2013) zum ‚Goldstandard‘ der Beteiligung zu machen.
In der Entwicklung des Forschungsethikkodex hat sich dann auch gezeigt, dass einzelne Prinzipien nicht grundsätzlich übergeordnet gelten können. Vielmehr sind Beteiligungsrechte, Informations-, Schutz- und Freiheitsrechte der betreffenden Personen abzuwägen, und dies stellt sich je nach Forschungsstrategie unterschiedlich dar. Die Art der Beteiligung an Forschung muss dem Forschungsgegenstand und dem Erkenntnisinteresse angemessen sein, was z. B. bedeuten kann, dass Forschungsteilnehmende zu ihren Einstellungen befragt werden oder auf andere Weisen ihre Perspektiven zu Protokoll geben. An der Analyse beispielsweise rassistischer Weltsichten müssen die Personen, die diese geäußert haben, nicht beteiligt werden. Das bedeutet nicht unbedingt, gegen forschungsethische Prinzipien zu verstoßen: Forschungsteilnehmende dürfen weder zu Forschungszwecken geschädigt noch instrumentalisiert werden, und Ergebnisse der Analyse sollen ihnen nicht vorenthalten werden. Ob und inwiefern die Rückmeldung von Ergebnissen aber als kommunikative Validierung gewertet werden kann (Miethe 2003: 226), ist nur gegenstandsbezogen und methodologisch zu klären.
Forschungsethische Mindeststandards wie die Nichtinstrumentalisierung der Forschungsteilnehmenden und die Vertretbarkeit der Belastungen und Risiken, die sich aus der Teilnahme ergeben, sind verbunden mit der Notwendigkeit, Entscheidungen auf der Grundlage forschungsethischer und methodischer Prinzipien und gegenstandstheoretischer Überlegungen zu treffen, etwa ob und wie bestimmte gegenstandsbezogene Voraussetzungen vorab kommuniziert werden, ob und wie die informierte Einwilligung geboten oder begründet auf sie zu verzichten ist, ob und wie Forschungsergebnisse an die Teilnehmenden zurückgemeldet werden.
Als zentral für die Abwägung forschungsethischer Prinzipien und die damit verbundenen Entscheidungen erweisen sich Reflexionen über die Reproduktion gesellschaftlicher Dominanzverhältnisse im Forschungshandeln. Mit den Forschungsgegenständen sind teils machtvolle Adressierungen im Forschungsprozess verbunden, und es besteht die Gefahr, dass diese als Zuschreibungen sozialer Identität wiederholt werden und die Handlungspraxen darunter subsumiert werden. Dies gilt indessen auch, wenn Angehörige marginalisierter Gruppen in Forschungsprozesse einbezogen werden.
Schließlich stellen sich die Ansprüche an das Forschungshandeln in ganz bestimmten Forschungssettings. Insbesondere im Zusammenhang mit Forschungsförderprogrammen ist es erforderlich, die Forschungspraxis in hohem Maße vorauszuplanen (d. h., Arbeitspakete und Meilensteine genau zu definieren, auch in Bezug auf Samplingstrategien, Erhebungs- und Auswertungsprozesse und ggf. Praxiskooperationen). Für Forschungsförderanträge werden auch unabhängige Ethikgutachten verlangt, die Auskunft über Bedenken zu solchen Planungen geben sollen. Der Forschungsethikkodex hat zudem die Funktion einer Grundlage der Forschungsplanung und der Begutachtung durch die DGSA-Forschungsethikkommission. Darüber hinaus stellt er aber den Stand der Diskussion zur Forschung der Sozialen Arbeit dar, der auch aus den Konflikten, Erfahrungen und Überlegungen von Forschungspraxen entstanden ist.
Weniger institutionalisierte Forschungspraxen wie Praxisforschungsprojekte und begleitete Selbstevaluationen, Lehrforschung, selbstständige studentische Forschung sowie nicht drittmittelgeförderte Forschung an Hochschulen sollten in Bezug auf die forschungsethische Auseinandersetzung nicht als unterentwickelt betrachtet werden, bloß weil keine Begutachtung erfolgt und möglicherweise auch weniger vorab festgelegt wird. Forschungsethische Fragen stellen sich laufend in Forschungsprozessen, teilweise ergeben sie sich auch erst dann. In den unterschiedlichen Organisations- und Praxisformen von Forschung findet auch eine intensive Auseinandersetzung mit den hier genannten Problemstellungen statt, zumal Bezüge zur Berufsethik in der Sozialen Arbeit naheliegen. Der DGSA-Forschungsethikkodex richtet sich an die unterschiedlichen Forschungspraxen und soll alle Forscher*innen der Sozialen Arbeit zur Reflexion, Auseinandersetzung und Verständigung anregen.
***
Sie möchten gern weiterlesen?
Jetzt versandkostenfrei im Budrich-Shop bestellen
Julia Franz, Ursula Unterkofler (Hrsg.): Forschungsethik in der Sozialen Arbeit. Prinzipien und Erfahrungen
© Pixabay 2021 / Foto: Peggy_Marco