Geblättert: “Diversität in der Hochschullehre – Didaktik für den Lehralltag” von Frank Linde und Nicole Auferkorte-Michaelis

Drei Frauen unterschiedlicher Hautfarben vor Laptops.

Diversität in der Hochschullehre – Didaktik für den Lehralltag

von Frank Linde und Nicole Auferkorte-Michaelis

 

Über das Buch

Wie können Hochschullehrende der Diversität von Studierenden mit einer bewussten Gestaltung von Lehr-Lern-Interaktionen konstruktiv begegnen? Die Autor*innen unterstützen mit diesem Buch Lehrende bei der Gestaltung ihrer eigenen didaktischen Konzepte für Lehrveranstaltungen. Wohlwissend, dass die Studierenden alle unterschiedlich sind, entstehen Ideen für eine diversitätsgerechte Didaktik.

Leseprobe: S. 73-81

 

9 Lehre gestalten: Diversität inklusive

Im nun folgenden Kapitel beziehen wir uns auf zwei typische Formate, die in dem Modell der Lehr-Lern-Settings (vgl. Kapitel 2.2) verortet werden können und die Lehrenden im Hochschulalltag sehr häufig begegnen: Den Lehrvortrag in Form der klassischen Vorlesung (Kap. 9.1) und die Arbeit mit Lerngruppen, wie sie inzwischen in vielen Lehrveranstaltungen (z.B. Seminaren) üblich ist. Gruppen anleiten und begleiten (Kap. 9.2) spielt in vielen Lehrkonzepten eine Rolle, wie z.B. in Projekten, beim forschenden Lernen oder auch bereits dann, wenn Studierende nur temporär zu Gruppen zusammengebracht werden.

 

9.1 Instruktionsorientiert lehren: die Vorlesung

Die Vorlesung ist wohl das klassische Format für die Hochschullehre. Umberto Ecco (1977/2014, 1f.) wirft einen historischen Blick auf die Idee der Vorlesung als Lehr-Lernformat:

Früher war die Universität nur für eine Elite da. Es besuchten sie nur die Kinder von Leuten, die selber studiert hatten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnte jeder, der studierte, über seine Zeit frei verfügen. Die Universitätsausbildung war so angelegt, daß man sie in Ruhe absolvieren konnte – mit ein wenig Zeit zum Studieren und ein wenig für die ‘gesunden’ Ablenkungen des Studentenlebens, vielleicht auch für Aktivitäten in Vertretungsorganen. Die Vorlesungen waren anspruchsvolle Vorträge. Waren sie absolviert, so zogen sich die interessierten Studenten mit Professoren und Assistenten in ausgedehnte Seminare zurück, zehn bis fünfzehn Personen höchstens. […] Aber die Universität von heute ist eine Massenuniversität. An ihr studieren Studenten aller Bevölkerungsgruppen, mit Abschlüssen der verschiedensten Art höherer Schulen. […] In manchen Lehrveranstaltungen sind Tausende eingeschrieben. Der Professor kennt vielleicht dreißig von ihnen, die interessiert mitarbeiten, mehr oder weniger gut. […] Unter ihnen sind viele, die in guten Verhält74 Lehre gestalten: Diversität inklusive nissen leben, in einer gebildeten Familie aufgewachsen sind, mit einer kulturell lebendigen Umgebung Kontakt haben, sich Bildungsreisen leisten können […] Dann sind da noch die anderen Studenten, die vielleicht gleichzeitig einer Arbeit nachgehen […] Studenten, die manchmal zur Vorlesung kommen und sich abmühen müssen, im total überfüllten Hörsaal einen Platz zu finden; und die am Ende der Vorlesung gerne mit dem Dozenten sprechen würden, aber es warten schon dreißig, und sie müssen auf den Zug […].

Wie kann die hier historisch beschriebene Vorlesung – geeignet für eine homogene Gruppe – für eine vielfältige heterogene Studierendenschaft zu einem Lehrformat werden, in dem Lernende mit unterschiedlichem Vorwissen, Lernerfahrungen, fachlichem Interesse und auch eigenen persönlichen Voraus- und Zielsetzungen auf dem selben Wege die selben Lernergebnisse erreichen? Das ist im Kern eine hochschuldidaktische Frage. Denn als die Vorlesung zu einer Massenveranstaltung wurde, wurde der direkte Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden allein aufgrund der großen Anzahl der Personen zu einer didaktischen Herausforderung. Spätestens seit den Bildungsreformen der ausgehenden 1960er Jahre wird daher versucht, die Vorlesung didaktisch zu gestalten. Mit der Perspektive, das Lehren vom Lernen her zu denken und unter Berücksichtigung empirischer Befunde darüber, wie Lernen funktioniert, galt schon 1987 für die Hochschullehre „so wenig Frontalunterricht wie möglich, aber wenn schon, dann bitte ohne schlechtes Gewissen und mit didaktisch-methodischer Phantasie.“ (Mayer 1987, 193)

Die Vorlesung ist das Format, in dem mit Lehrvorträgen beispielsweise ein Überblick über ein Thema gegeben, in ein Themengebiet eingeführt oder über neue Erkenntnisse berichtet wird. Lernende können durch die Begeisterung von Lehrenden motiviert werde, wenn die eigene Geschichte erzählt bzw. der persönliche Bezug zum Thema von Lehrenden hergestellt wird (Bligh 2000). Insbesondere Letzteres, heute häufig angelehnt aus dem Journalismus als „Storytelling“ bezeichnet, macht abstraktes Wissen durch den persönlichen Bezug lebendig und erleichtert später die Erinnerung. Menschen sind permanent von Geschichten umgeben, kommunizieren durch und über narrative Muster, lenken die Aufmerksamkeit ihrer Gegenüber und werden gelenkt. Daher werden wir nachfolgend hochschuldidaktische Hinweise zu Lehrvorträgen, die diversitätsgerechtes Lehren und Lernen fördern zunächst in Kap. 9.1.1 aufgreifen und dann anschließend in Kap. 9.1.2 dazu einladen, diese mit Storytelling zu gestalten.

 

9.1.1 Lehrvorträge halten

Der Lehrvortrag ist das zentrale Element in instruktionsorientierten Settings wie der Vorlesung oder auch Seminaren mit großen Studierendenzahlen. Solche Lehr-Lernsettings stellen das rezeptive Lernen der Studierenden in den Vordergrund:

Unter ,rezeptivem Lernen‘ wird dabei verstanden, dass der zu erwerbende Inhalt vom Lernenden nicht selbst entdeckt werden muss, sondern bereits in fertiger Form dargeboten wird. Von den Lernenden wird natürlich dennoch eine Reihe wissensbezogener Informationsverarbeitungsprozesse erwartet, etwa das Herstellen eines Bezugs des Gelernten zum Vorwissen. (Gruber & Renkl 2000, 161)

Donald A. Bligh zeigte in „What’s the Use of lectures“ (2000) empirisch geprüfte relevante Ergebnisse auf, dass Studierende während Diskussionen aufmerksamer, aktiver und nachdenklicher sind als während frontaler Vorträge. Er betont, dass die Studierenden, „wenn sie denken lernen sollen, in Situationen gebracht werden müssen, in denen sie dies tun müssen.“ (Bligh 2000, 10) Situationen, die zum selbstständigen Denken anregen, sind jene, in denen Studierende Fragen beantworten müssen, weil Fragen eine aktive mentale Antwort erfordern. Entsprechend empfiehlt Bligh Lehrvorträge eher zur Vermittlung von Informationen und weist darauf hin, dass sich Lehrende nicht darauf verlassen sollten, mit Lehrvorträgen selbstständiges Denken fördern, Einstellungen ändern oder Haltungen sowie Handlungsalternativen entwickeln zu können (Bligh 2000, 20).

Auch in der hochschuldidaktischen Aus- und Weiterbildung wird davon abgeraten, Lehrvorträge ausschließlich frontal – von der Lehrperson oder auch durch Referate von Studierenden – zu halten, die länger als 20–25 Minuten andauern. Dieser sehr alte Tipp, bekannt aus Rhetoriktrainings, lässt sich mit einem Augenzwinkern schon bei Kurt Tucholskys Ratschlägen (1930/1975) nachlesen, wie ein schlechter Vortrag garantiert werden kann:

Kündige den Schluß an, und dann beginne deine Rede von vorn und rede noch eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen. Du mußt dir nicht nur eine Disposition machen, du mußt sie den Leuten auch vortragen – das würzt die Rede.

Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst lohnt es sich gar nicht erst anzufangen. Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören – das ist deine Gelegenheit! Mißbrauche sie.

Wie aber werden Lehrvorträge diversitätsgerecht? Lehrvorträge sind für große Veranstaltungen geeignet, um möglichst viele Studierende gleichzeitig zu erreichen; dementsprechend werden hier oftmals grundlegende Wissensbestände der Disziplinen thematisiert. Der Lehrvortrag wird dann häufig von den Lehrenden als Wissen präsentierend konzipiert. In diesem Modell „direkter Instruktion“ wirkt es lernförderlich, wenn eine möglichst strukturierte, aber abwechslungsreiche Interaktion von Lehrenden und Lernenden stattfindet und den Studierenden am Anfang einer Lehr-Lerneinheit eine systematische „Häppchenstruktur“ der vorzutragenden Fachinhalte angeboten wird (Gruber & Renkl 2000, 162). Die grundlegende Idee dabei ist es, nicht zu lange an einem Stück zu reden und abwechslungsreiche kleinere Unterbrechungen für Interaktionen zu nutzen. Kürzere Unterbrechungen des Lehrvortrags in der Vorlesung (oder auch in einem Seminar), in denen studentische Einzelarbeit oder kleinere kurze Phasen von Mini-Gruppenarbeit stattfinden, unterstützen nach diesen Erkenntnissen das Lernen der Studierenden, denn so können unterschiedliche Motivlagen, Kenntnisse und Fragen miteinander, aber auch ggf. mit der Lehrperson besprochen werden. Der Austausch der Studierenden soll mit einer anderen Aktivität (reden statt zuhören) dazu beitragen, Gehörtes zu wiederholen, über Erfahrungen, Kenntnisse und Meinungen Beziehungen zu den Inhalten herzustellen und im Austausch mit anderen weitere Bedeutungszusammenhänge zu erschließen. Eine sinnvolle Unterbrechung sollte entsprechend kurz, das Thema bzw. die Frage knapp und außerdem gut mit einem/r Gesprächspartner*in oder kleinen Gruppe bearbeitbar sein. Diese didaktische Gestaltung fördert das Lernen der Studierenden und unterstützt das diversitätsgerechte Lehren.

Konkrete Anleitungen für einen abwechslungsreichen Methodeneinsatz finden sich mittlerweile in einer großen Anzahl hochschuldidaktischer Handbücher und auch auf vielen Webseiten.

An dieser Stelle möchten wir Ihnen statt vieler zwei einfache Methoden empfehlen, die ohne großen Aufwand durchgeführt werden können und in keiner hochschuldidaktischen „Methoden- Bar“ fehlen dürfen. Sie sind in der Kombination deshalb auch für heterogene Lerngruppen geeignet, weil sie unterschiedliches Interaktionsverhalten erfordern: Reden und Schreiben. Außerdem unterstützen sie die Strukturierung des Lernprozesses. Letzteres ist für eine heterogene Studierendengruppe hilfreich und ermöglicht das Üben des Umgangs miteinander und das Voneinanderlernen. Die erste – Buzz-Groups oder Murmelgruppen – bringt die Studierenden ins Gespräch. Die zweite – One-Minute-Paper – ist eine selbstreflexive kleine Schreibübung, die auch in der größten Massenveranstaltung noch gut durchführbar ist.

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An dieser Stelle möchten wir Sie gerne einladen, das Buch für eine halbe Stunde aus der Hand zu legen, dem nachfolgenden Link zu folgen und in der unten angegebenen Methodensammlung zu stöbern. Lassen Sie sich inspirieren von den beschriebenen Methoden und suchen Sie sich einige aus, die sie ausprobieren möchten. Dabei berücksichtigen Sie bitte, • dass Sie alle 20 Minuten eine didaktische Unterbrechung der Vortragssituation planen, die Studierende alleine für sich oder maximal zu vier Personen nutzen, um • „Gehörtes“ nachzuvollziehen, beispielsweise einen kurzen Text zu lesen, Notizen zu machen, Fragen zu formulieren oder/und miteinander ins Gespräch über die Fachinhalte zu kommen. • Für die Lösung von Aufgaben gilt unsere „didaktische Faustregel“, dass Studierende die doppelte Zeit für ihre Gedanken und Antworten benötigen als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Beispiel einer Methoden-Bar online mit Murmelgruppen und One-Minute-Paper: https://methopedia.eu/de/categories/methode/

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Der Lehrvortrag sollte durch Visualisierungen begleitet werden, die sowohl Text, Grafiken, Quellen, Bilder, Ton und Filme enthalten können. Die Visualisierungen öffnen einen weiteren Kommunikationskanal zu den Studierenden und unterstützen – auch bei unterschiedlichem Vorwissen – dem Vortrag besser folgen zu können. Hierbei sind insbesondere Angaben wissenschaftlicher Quellen eine wichtige Information, in denen Studierende beispielsweise vorausgesetztes Wissen nachlesen können. Für einige Studierende sind aber auch Visualisierungen mit Verständnishürden verbunden, die fern fachwissenschaftlicher Kontexte liegen: diversitätsgerechtes Lehren bedeutet auch bei der Vorbereitung von Visualisierungen, sich mit Barrierefreiheit zu befassen (vgl. hierzu auch Kap. 3). Visualisierungen mit Folienpräsentationen beispielsweise können von Studierenden mit Sehbeeinträchtigungen besser verstanden werden, wenn Sie u.a. auf einen starken Kontrast zwischen Text und Hintergrund achten und den Text, der ggf. in den genutzten Bildern enthalten ist, in Ihrer Präsentation wiederholen. Die von Ihnen genutzte Software, wie z.B. Powerpoint, bietet i.d.R. die Möglichkeit, die Folien mit Audiokommentaren zu versehen. Nutzen Sie dies, wenn Sie Ihre Folien den Studierenden in einem Lernmanagementsystem (z.B. ILIAS oder moodle) zur Verfügung stellen oder achten Sie zumindest darauf, dass die Sprachausgabe den Inhalt Ihrer Folien in der von Ihnen beabsichtigten Reihenfolge wiedergibt. Hinweise und unterstützende Funktionen wie einen Check für Barrierefreiheit oder ein Test für die Sprachausgabe sind in der Software verankert und über die Bedienungshilfen nutzbar. Zu einem solchen Check gehört es auch, visuelle Darstellungen dahingehend kritisch zu überprüfen, ob die gesellschaftliche Vielfalt berücksichtigt wird oder eher Rollenstereotype rekonstruiert werden (z.B. Journalistinnenbund 2020).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Lehrvorträge als instruktionsorientiertes Lehr-Lern-Setting diversitätsgerecht gestaltet sind, wenn Raum für Interaktionsmöglichkeiten besteht, visuelle Elemente diskriminierungsfrei eingesetzt werden und bewusst auf unterschiedliches Lernverhalten von Studierenden eingegangen wird.

 

9.1.2 „Storytelling“: Lehren mit der Leiter des Erzählens

Den eigenen Lehrvortrag mit Storytellingmethoden zu gestalten, leistet einen Beitrag zu diversitätsgerechter Lehre, indem die Anonymität und die Distanz zwischen der Gedankenwelt von Lehrenden und Lernenden überwunden wird. Lehrende nutzen die Möglichkeit, ihr Fach und ihre Beziehung zu fachwissenschaftlichen Erkenntnissen persönlich zu machen.

Die Verständlichkeit wird exemplarisch durch die Verknüpfung mit lebensweltlichen Situationen erzeugt. Nachfolgend gehen wir ausführlicher auf das Lehren mit der Leiter des Erzählens, einem grundlegenden Prinzip des Storytellings, ein.

„Storytelling“ erlebt nicht nur in der Werbe- und Unternehmenskommunikation eine wachsende Aufmerksamkeit, auch in der Hochschullehre werden immer öfter intuitiv narrative Techniken genutzt (Friedmann 2019, 36). Das Erzählen von Geschichten hat eine sehr alte und gleichzeitig wirkungsvolle Tradition. Menschen sind permanent von Geschichten umgeben, kommunizieren durch und über narrative Muster. Storytelling wird in der Hochschullehre eingesetzt, um die dramatische Struktur des mündlichen Vortrags zu optimieren und so eine gewisse Spannung zu erzeugen. Anders als in Stegreiferzählungen oder Anekdoten werden Storytellingtechniken genutzt, um Fakten zu strukturieren, Sachverhalte, Beiträge oder auch Texte verständlich zu erklären, attraktiv und (mit)erlebbar zu machen. Die Vorteile des Storytellings ergeben sich aus der Personalisierung, Problematisierung und Emotionalisierung des Vortrags und werden beispielsweise im Kontext von Vorlesungen, Erklärvideos und Gamification eingesetzt, da Lernen, das mit Emotionen oder Affekten verknüpft ist, als besonders nachhaltig gilt (Friedmann 2019, 38).

Storytelling folgt der Idee, den Geschichten in den Fakten auf die Spur zu kommen, um bei Hörenden oder Lesenden konkrete und individuelle Anknüpfungspunkte zu ermöglichen. Storytelling heißt, eine Sprache zu finden, die Hirn und Herz gleichzeitig anspricht (Lampert & Wespe 2017, 11). Eine Geschichte macht nicht nur neugierig, sie spricht die Studierenden unmittelbar emotional an, weil sie das Erzählte vor dem inneren Auge visualisieren und mit eigenen Erlebnissen abgleichen. Es entsteht so ein persönlicher Bezug zu dem, was fachlich präsentiert wird. Das narrative Gedächtnis wird aktiviert und speichert das Aufgenommene als Handlungsmuster, die die Wahrnehmung unserer Realität bestimmen (Adamczyk 2015, 16).

Um Diversitätsaspekte in den eigenen auf das Fach bezogenen Geschichten zu finden, kann es hilfreich sein, sich die Diversität der Studierendenschaft vor Augen zu führen. Die diversitätssensible Gestaltung der Hochschullehre kann so mit einem lebensweltlichen Bezug beginnen, wie z.B. Mehrsprachigkeit, kulturelle Vielfalt, Alter etc. Gleichzeitig wird damit etwas für die Zielgruppenorientierung getan, die beim Storytelling im Mittelpunkt steht (Ettl-Huber 2014, 18). Zentral ist die Akzentuierung des Warum der Geschichte und nicht des Was. Die Studierenden sollen nicht abstrakt begreifen, sondern Fachinhalt als etwas Reales mit persönlicher Bedeutung verstehen. Storytelling kann in diesem Zusammenhang an ganz unterschiedlichen Stellen eingesetzt und unterschiedlich komplex verwendet werden. Es können kleine Geschichten zu Beginn eines Vortrags sein, oder auch eine komplexe Rahmengeschichte, die sich durch ein ganzes Semester zieht. Die Geschichte ist facettenreich, erklärt das „Warum“ für Entscheidungen, Meinungen und Wege der Erkenntnis. Ein diversitätsgerechter Moment ist, dass individuell nachvollziehbar wird, wie hierbei Normen, Wertvorstellungen und individuelle Motivation berücksichtigt wurden. So müssen diese zwar nicht inhaltlich geteilt werden, sie werden aber nachvollziehbar und aus dem Kontext heraus verständlich.

Wie finde ich als Lehrende*r denn nun eine gute Story? Wie kann ich eine gute Lehrvortragsgeschichte entwickeln? Mithilfe der Erzählleiter beginnen Marie Lampert und Rolf Wespe ihre Handreichung für Storytelling für Journalisten (2013, 13), die auch für die Hochschullehre genutzt werden kann:

Wenn ich „Bett, Teppich, See, Berg“ sage, dann produzieren Leute Bilder im Kopf. Abstrakte und komplexe Begriffe wie „Subprime-Papiere“, „Bereich“, „Konzept“, „onomatopoetisch“, „Philosophie“ lösen in der Regel keine Bilder aus. Sie gehen oft bei einem Ohr hinein und beim andern [sic!] wieder heraus.

Mit einer dreistufigen Leiter als Bild erläutern Lampert & Wespe (2013, 14) eine einfache Technik des Storytellings: Auf der obersten Sprosse liegt das abstrakte Thema, mit den unteren Stufen wird das Thema immer konkreter. In der Mitte liegen „halbabstrakte, nicht sinnliche Fakten“. In der Hochschullehre – wie im Journalismus – werden diese bemüht, um komplexe Sachverhalte zu erläutern oder zu belegen, sie bleiben aber häufig unverstanden. Ohne die untere Stufe bedarf es eines „Klimmzugs“, um das abstrakte Thema erreichen zu können. In einem Lehrvortrag liegt die Kunst darin, die Leiter rauf und runter zu steigen, ohne dabei Sprossen auszulassen, d.h. Konkretes und Abstraktes miteinander zu verbinden.

Ein gutes Beispiel findet sich bei Barack Obama, der sehr eloquent mit diesen verschiedenen Ebenen (Sprossen) spielt:

Wir messen die Stärke unserer Wirtschaft nicht daran, wie viele Milliarden wir haben. […] Sondern daran, dass Leute mit guten Ideen ein Risiko eingehen und ein eigenes Geschäft aufbauen können. Oder daran, ob eine Kellnerin, die vom Trinkgeld lebt, einen Tag frei machen kann, wenn ihr Kind krank ist, ohne dass sie ihren Job verliert. Wir wollen eine Wirtschaft, welche die Würde der Arbeit respektiert. (Leanne 2009, 200 nach Lampert & Wespe 2013, 16)

Der konstruktivistische Didaktiker Kersten Reich (o.J.) kommt in seiner Beschreibung des Frontalunterrichts ebenfalls zu dem Schluss, dass auch in Texte gefasste Stories den „Vortrag“ übernehmen können:

Erzählungen, Parabeln, Metaphern, Rätsel und Paradoxien, sie alle können gute Lehrer sein, weil sie konkret und anregend sind, weil sie übertragbar auf andere Situationen sind […]. Jedes Fach hat seine eigenen Texte, die hier relevant sein können, aber gerade dort, wo frontal ausgebildet wurde, haben wir diese vielleicht bisher nicht kennengelernt. Wir müssen uns auf die Suche machen.

Die Bearbeitung der Texte kann dann in Gruppen erfolgen, die ihre Lernergebnisse teilen und dadurch erweitern.

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3D Cover Linde Auferkorte-MichaelisFrank Linde, Nicole Auferkorte-Michaelis: Diversität in der Hochschullehre – Didaktik für den Lehralltag

 

 

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