„Die Sprache unseres Rechtssystems ist im Prinzip wie eine Fremdsprache” – Interview mit den Herausgeberinnen von „Strafrechtliche Begriffe verständlich erklärt”

Strafrechtliche Begriffe verständlich erklärt. Ein Wörterbuch für die Praxis im Strafverfahren

herausgegeben von Anne Herrmann, Friesa Fastie und Iris Stahlke

 

 

 

Über das Buch

Begriffe aus dem Strafrecht sind nicht immer leicht zu verstehen – wer in der Psychosozialen Prozessbegleitung, der Jugend-, Bewährungs- und Gerichtshilfe, der Opferhilfe oder der Begleitung von Beschuldigten tätig ist, muss aber um deren Bedeutung wissen, um die Klient:innen unterstützen zu können. In diesem Wörterbuch erklären Expert:innen aus Anwaltschaft, Polizei, Justiz und Rechtspsychologie in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen der Psychologie und Sozialarbeit strafrechtliche Fachbegriffe verständlich, kurz und praxisnah. Der Band vermittelt Grundlagenwissen zu wichtigen Begriffen des materiellen Strafrechts und Strafverfahrensrechts im Jugend- und Erwachsenenverfahren und stellt die korrekte Verwendung der juristischen Fachausdrücke dar.

Liebe Herausgeberinnen, was gab den Anstoß ein Wörterbuch für strafrechtliche Begriffe herauszugeben?

In der Durchführung zahlreicher bundesweiter Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu Psychosozialer Prozessbegleitung durch Recht Würde Helfen – Institut für Opferschutz im Strafverfahren e.V., kurz RWH, ist uns als dort tätige Referentinnen in zahlreichen Gesprächen mit Psychosozialen Prozessbegleiter:innen deutlich geworden, wie schwierig es für Angehörige psychosozialer Berufe ist, sich in die Sprache unseres Rechtssystems hinein zu denken. Im Prinzip ist es wie eine Fremdsprache, da Jurist:innen ganz eigene Begriffe verwenden, die weder mit der Alltagssprache noch der Fachsprache in der psychosozialen Arbeit viel gemein haben. Ein Verständnis dieser Begriffe, aber auch der Abläufe bei Gericht ist jedoch in der Arbeit mit Klient:innen immens wichtig und Brücke wie auch Garant für eine gelungene Zusammenarbeit beider Professionen. Aus diesen Erfahrungen heraus und bezogen auf die Rückmeldungen praktisch tätiger Psychosozialer Prozessbegleiter:innen entstand im Rahmen eines interdisziplinären Treffens der Mitglieder von RWH die Idee, dieses Buch herauszugeben.

 

Welche Zielgruppen hatten Sie beim Editieren des Wörterbuches vor Augen?

Ausgangspunkt waren zunächst Psychosozialen Prozessbegleiter:innen als Zielgruppe. Doch schnell hatten wir weitere Angehörige psychosozialer Berufsgruppen im Blick, die auf unterschiedliche Weise im Strafverfahren tätig werden, wie zum Beispiel Bewährungs- und Gerichtshelfer: innen sowie Mitarbeiter:innen der Jugend(gerichts)hilfe, der Opferhilfe und der Täterarbeit. Das Buch kann aber nicht nur Angehörigen sozialer Berufe eine Hilfe sein. Es richtet sich an alle Professionen, die mit dem Strafverfahren in Berührung kommen, nicht über einen juristischen Hintergrund verfügen und deshalb vor der beschriebenen „Sprachhürde“ stehen können. So sind wir im Laufe der Arbeit auf weitere Berufsgruppen wie die im Strafverfahren tätigen Schöff:innen, Journalist:innen und Dolmetscher:innen aufmerksam geworden, die Nutzen aus diesem Wörterbuch ziehen können.

 

Welche Herausforderungen ergeben sich, strafrechtliche Begriffe verständlich zu erklären?

Die Juristerei versucht, möglichst viele Lebenssachverhalte zusammenzufassen und nach einheitlichen Regeln zu behandeln. Das kann in dem Bemühen, auch die Ausnahmen sowie die Ausnahmen der Ausnahmen mitzuregeln, sprachlich zu langen und verschachtelten Sätzen führen. Diese sind dann zwar inhaltlich korrekt, aber für Außenstehende schlicht unverständlich. Andererseits ist die juristische Sprache sehr präzise und legt großen Wert auf eine korrekte Verwendung ihrer Fachbegriffe, deren Bedeutung genau festgelegt ist. So ist eine Strafanzeige zum Beispiel etwas anderes als ein Strafantrag und es hat unterschiedliche Auswirkungen, ob eine Strafanzeige erstattet oder ein Strafantrag gestellt wird.

Während des Prozesses, die dargelegten Begriffe für die Angehörigen aller genannten Berufsgruppen verständlich zu erklären, konnten wir deshalb nicht nur nach kurzen und möglichst fachwortfreien und anschaulichen Erläuterungen suchen. Die Herausforderung war vielmehr sicherzustellen, dass diese Erklärungen am Ende sowohl inhaltlich richtig sein mussten als auch in ihrer Bedeutung nicht etwa durch die Verwendung von leichter verständlichen Worten und Formulierungen verfälscht werden durften.

 

Was sind die häufigsten „Übersetzungsprobleme“, die in der Psychosozialen Prozessbegleitung auftauchen – bei Angehörigen psychosozialer Berufe oder aber auch bei Journalist:innen, die berichten?

Es gibt durchaus viele „Übersetzungsprobleme“, von denen einige hier beschrieben werden sollen. In psychosozialen Arbeitsfeldern wird zum Beispiel der Begriff Prozess verstanden als ein dynamisches Vorgehen und eine Entwicklung, während im juristischen Sprachgebrauch damit der Prozess bei Gericht/das Gerichtsverfahren – die Hauptverhandlung – gemeint ist. Die durch eine Psychosoziale Prozessbegleitung zu unterstützenden Personen werden von den Prozessbegleiter:innen als Klient:innen bezeichnet: das Gericht benennt diese möglicherweise als Geschädigte. Ganz wichtig auch die korrekte Bezeichnung derer, die einer Straftat beschuldigt werden. Sie werden innerhalb der psychosozialen Arbeitsfelder häufig per se als Täter:innen bezeichnet, obwohl bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung gilt. Daher ist je nach Stand des Verfahrens die Bezeichnung als Beschuldigte:r, Angeklagte:r oder Verurteilte:r richtig. Gerade im letzten Beispiel wird deutlich, wie durch eine korrekte oder eben inkorrekte Begriffsverwendung „Tatsachen“ zum Nachteil Einzelner geschaffen werden, die großen individuellen Schaden anrichten können.

 

Darum sind wir Herausgeberinnen bei Budrich:

Der Verlag Barbara Budrich ist uns zum Teil seit seiner Gründung bekannt. Er gilt als renommierter Verlag für eine große Bandbreite anerkannter Fachliteratur mit Anspruch und Haltung in der Sozialen Arbeit, ist offen für den interdisziplinären Blick und scheut auch die Aufnahme von noch wenig bekannten Themen in sein Programm nicht. Das Thema der Psychosozialen Prozessbegleitung im Strafverfahren, insbesondere für Kinder und Jugendliche, konnte auch dadurch aus einer einstigen Nische herausgeholt werden und ist heute nicht mehr wegzudenkender Bestandteil in Gesetz, Theorie, Wissenschaft und Praxis.

 

Kurzvitae der Herausgeberinnen in eigenen Worten

Dr. iur. Anne Herrmann, Oberstaatsanwältin, stellvertretende Leiterin der Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz; zuvor u.a. mehrjährige Referententätigkeit im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz mit Zuständigkeiten für die Bereiche Opfer- und Zeugenschutz und Sexualstrafsachen; Vorstandsmitglied von Recht Würde Helfen – Institut für Opferschutz im Strafverfahren e.V.

 

 

Friesa Fastie, Dipl. Sozialarbeiterin / Sozialpädagogin, Systemische Supervisorin (SG) und Lösungsorientierte Coach (isiberlin); Leiterin des Mädchen-Wohnprojektes Potse, Berlin.

 

 

 

PD Dr. phil. Iris Stahlke, Privatdozentin für Sozialpsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie und Wirtschaftspsychologie an der Universität Bremen; Psychosoziale Prozessbegleiterin in Niedersachsen; Gründungsmitglied Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung; 1. Vorsitzende von Recht Würde Helfen – Institut für Opferschutz im Strafverfahren e.V.

 

 

 

 

Der Titel in unserem Shop

Strafrechtliche Begriffe verständlich erklärt. Ein Wörterbuch für die Praxis im Strafverfahren

herausgegeben von Anne Herrmann, Friesa Fastie und Iris Stahlke