„Es mir ein Anliegen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die gesellschaftspolitischen Kategorisierungen, die uns heute selbstverständlich sind, höchstens 200 Jahre alt sind” – Andrea Günter, Autorin von „Philosophie und Geschlechterdifferenz”

 

 

 

Über das Buch

Seit mehr als 2500 Jahren sind Geschlechterkonzepte heiß umkämpft. Zur Orientierung in diesen Auseinandersetzungen ist es wichtig, ihre Traditionen ebenso wie eroberte Alternativen zu kennen. Simone de Beauvoirs Konzepte der „Existenz“ und „sexuellen Differenzierung“ und Hannah Arendts Begriff der „Pluralität“ stellen entscheidende Prüfsteine dafür dar, die philosophische Kategorienlehre und deren Verstrickungen mit Geschlechtertheoremen zu rekonstruieren. Die Autorin untersucht Geschlechterdiskurse in der Philosophiegeschichte von der Antike bis in die Moderne, macht die zugrunde liegenden Konzepte sichtbar und zeigt darin Kontinuitäten und Brüche auf.

 

Kurzvita von Andrea Günter in eigenen Worten

 

PD Dr. phil. Dr. theol. Andrea Günter, Privatdozentin für Philosophie, u.a. tätig an der Universität Freiburg; freischaffende Referentin in der beruflichen Fort- und Weiterbildung; Coaching-, Team- und Moderationsprojekte.

 

 

Liebe Andrea Günter, in Ihrem Buch Philosophie und Geschlechterdifferenz untersuchen Sie Geschlechterdiskurse von der Antike bis in die Moderne. Welchen Themen und Denker*innen widmen Sie sich im Besonderen?

In meinen Ausführungen gehe ich nicht chronologisch vor, sondern setze mit Simone de Beauvoirs Kritik an dem Komplex „Unterlegenheit, Überlegenheit und Gleichheit“ als Modell für Geschlechterkonzepte an und greife ihre kategorialen Alternativen „sexuelle Differenzierung“ und „Existenz“ auf. Meine Frage ist, welche philosophischen Weichenstellungen und Konzeptbildungen Beauvoir nutzt, um den Geschlechterdiskurs neu zu kategorisieren. Um zu profilieren, was ihr neues Geschlechtertheorem „sexuelle Differenzierung“ meint, ziehe ich Verbindung zu Parmenides, Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Feuerbach, usw. Und um dabei der Logik der Andersheit etwas entgegenzusetzen, verknüpfe ich diese Sichtungen mit Ausführungen über Pluralität bei Hannah Arendt. Was die weiblichen Traditionen der Überwindung des Definitionskomplexes „Überlegenheit, Unterlegenheit und Gleichheit“ betrifft, so lasse ich außerdem Hildegard von Bingen und Jane Austen zur Sprache kommen.

 

Welche Perspektiven auf aktuelle Geschlechterdiskurse eröffnet uns der genealogische Blick?

Das menschliche Sexuelle genealogisch zu konzipieren, stellt die große Alternative zu einer Ursprungs- und Vorordnungsmetaphysik des Geschlechtlichen dar, die behauptet, dass dieses immer schon eindeutig und bestimmt sei. Das Geschlechtliche genealogisch zu konzipieren, verhindert gleichzeitig, in das andere Extrem zu fallen und es als unendlich unbestimmt zu behaupten. Gleichzeitig erlaubt es, gleichermaßen Uneindeutiges und Eindeutiges, Bestimmtes und Unbestimmtes des menschlichen Geschlechtlichen aufzusuchen und zusammenzubinden.

Es handelt sich um ein Denken des Geschlechtlichen in seiner Zeitlichkeit, dass dieses in konkreten Materialisierungen zwischen Vergangenheit – konkreter Herkunft – und Zukunft – Individualität und Individuierung – zu verstehen erlaubt. Das geht mit einem spezifischen Substanzbegriff einher. Ferner bildet das Genealogische eine spezifische Epistemologie, in der Geschichtliches und das Politische aufeinandertreffen, das Politische aber Arendt zufolge nicht aus der Geschichte abgeleitet werden kann, sondern beide zeitliche Ausrichtungen jeweils eigene Denktätigkeiten mit sich bringen, deren Vermittlung eigens entwickelt werden muss.

 

Ist mit der Veröffentlichung Ihrer Publikation eine bestimmte Motivation verbunden?

Oh ja! Als Denkerin der Geschlechterdifferenz bin ich persönlich immer wieder damit konfrontiert, dass „Geschlechterdifferenz“ mit „Geschlechtsunterschied“ gleichgesetzt und in der Logik der Andersheit situiert wird; dieser kategoriale Kurzschluss lässt sich auch in den Bewertungen der konzeptionellen Weichenstellungen von Beauvoir und ihren Nachfolgerinnen finden. Das hat damit zu tun, dass der neue Differenzbegriff, den Hegel in seiner Logik der Wissenschaft herausgestellt hat, kaum tradiert ist, obgleich damit die sogenannte Postmoderne beginnt. Mit diesem Werk setzt ein neues kategoriales Denken ein, auf das Beauvoir explizit zurückgreift und das das Konzept „Differenz“ grundlegend verändert.

 

Gibt es einzelne Theoreme oder Argumentationsfiguren, die Sie begeistern können oder die wir in heutigen Genderdiskursen (wieder) stärker in Blick nehmen sollten?

Über die Auseinandersetzung mit den schon genannten Kategorisierungen hinaus ist es mir ein Anliegen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass die gesellschaftspolitischen Kategorisierungen, die aus den Gesellschaftswissenschaften stammen und die uns heute selbstverständlich sind, höchstens 200 Jahre alt sind. Sie sollten in die Geschichte mit großer Bedachtsamkeit zurückprojiziert werden. Außerdem muss und kann beachtet werden, entlang welcher Kategoriensysteme Menschen vor der Entwicklung der modernen Wissenschaftsdisziplinen das praktiziert haben, was wir heute Gesellschaftskritik nennen. Diese funktioniert(e) entlang der Ontologie- und Metaphysik-Kritik, des Rechtsdiskurses, aber auch der Tugendlehre. Darum stelle ich Hildegard und Austen als Denkerinnen vor, die Geschlechtersysteme transformieren, indem sie Tugendkonzepte entlang patriarchaler Geschlechterkonzepte rekonstruieren und die Position der Töchter stark machen.

 

Darum bin ich Autorin bei Budrich:

Der Barbara Budrich Verlag ist ein renommierter Verlag für Veröffentlichungen zu feministischen und Geschlechterthemen. Die Mitarbeiterinnen des Budrich-Verlags haben mein Geschlechter-Philosophie-Projekt mit großem Wohlwollen und viel Geduld begleitet. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar!

 

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